Privatgrundstück wird Schulfläche: Ein Lehrstück in Sachen Enteignung
Öffentliche Bauflächen sind Mangelware. In Friedrichshain erklärt der Bezirk jetzt ein Privatgrundstück zum künftigen Schulstandort.
Die Fläche, etwa so groß wie drei Fußballfelder, zwischen Andreas-, Krautstraße und Lange Straße soll zu einem Schul- und Sportstandort werden. Das Areal wird „für öffentliche Bedarfe im Bereich Infrastruktur gesichert“, heißt es vom Bezirksamt nüchtern. Dafür werden die Planungsziele des Bebauungsplans entsprechend geändert, von einem Mischgebiet, das für eine Bebauung mit Wohn- und Bürogebäuden vorgesehen war, zu einem Gebiet für Schule und Sport.
Der Vorgang ist ungewöhnlich, denn der Beschluss des Bezirksamtes bedeutet für den Eigentümer, dass er mit seinem Grundstück faktisch nichts mehr anfangen kann. Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) betont im Gespräch mit der taz das „Recht der Kommune“, ihren Gemeinbedarf festzulegen. Es sei normal, mit Privaten über die Bereitstellung von Flächen, etwa durch Tauschgeschäfte zu verhandeln, so Schmidt, „ungewöhnlich ist die Komplettbeanspruchung“ des Grundstücks.
Diese sei jedoch notwendig, begründet der Bezirk, da es für Schulneubauten keine geeigneten nicht privaten Flächen mehr gebe. Im denkmalgeschützten Fabrikgebäude auf dem Gelände will sich eine private Hochschule einrichten.
Verkauf oder Enteignung
Schmidt, sonst gerne als Spekulantenschreck unterwegs, vollzieht in diesem Fall, was das Schulamt als Bedarf angemeldet und das Bezirksamt beauftragt hat. „Der Bezirk wird dem Eigentümer ein Kaufangebot machen“, so Schmidt. Wenn dies nicht zum Erfolg führe, kann nach Abschluss des Bebauungsplanverfahrens in etwa zwei Jahren ein „Enteignungsverfahren“ durchgeführt werden. „Die Entschädigung wäre überschaubar“, so Schmidt; er hoffe jedoch auf die Einsicht und das „soziale Verantwortungsbewusstsein des Eigentümers“.
Danach sieht es allerdings nicht unbedingt aus: Der taz teilten die Eigentümer Achaz von Oertzen und Roland Berger von der Saltire GmbH mit, dass durch den „Beschluss des Bezirksamts der gewünschte Schulstandort keineswegs zeitnah umsetzbar ist“. Vielmehr könne der Bezirk seinen Gemeinwohlbedarf „nur im Einvernehmen mit uns, den Eigentümern“, realisieren. Weiterhin heißt es: „Unser Grundstück ist ausreichend groß, um sowohl den öffentlichen als auch unseren Interessen gerecht zu werden.“ Hinter der verbalen Kompromissbereitschaft lässt sich herauslesen: Einfach verkaufen wollen sie wohl nicht.
Die Noch-Eigentümer sind in Berlin bekannt, zumindest die mit ihr verbundene Gesellschaft Cesa Investment. Der Gruppe gehörte etwa die vor wenigen Wochen kurzzeitig besetzte Patzenhofer-Brauerei in der Landsberger Allee 54, die Cesa bis zum Verkauf mindestens fünf Jahre leerstehen ließ. Für das Gebiet am Ostbahnhof stellte der Bezirk schon 2011 fest, dass es seit über zehn Jahren brachliegt. Während hier also auf den Zeitpunkt für die maximale Verwertung gewartet wurde, wird in Mitte richtig geklotzt. Auf Filetgrundstücken in der Alexander- und Holzmarktstraße planen die Investoren Hotel- und Bürotürme.
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