Hausbesetzungen in Berlin: Da tat sich tatsächlich wat

Eine Schnitzeljagd, um die Polizei abzuhängen, zwei Hausbesetzungen, Aktionen gegen Airbnb: Es war viel los bei den „Tu mal wat“-Aktionstagen.

Besetzer zünden aus dem haus heraus Pyrotechnik

Euphorische Stimmung bei den Besetzern Foto: Erik Peter

BERLIN taz | Die Schnitzeljagd beginnt am Samstagmorgen 12 Uhr im Bilgisaray in der Oranienstraße. In dem nichtkommerziellen Stadtteilladen gibt es zu Kaffee und Apfelstreuselkuchen Informationen über den Weg zur angekündigten Hausbesetzung. Anders als bisher hat das Bündnis #besetzen seine Aktion öffentlich angekündigt. Eine massenhafte Hausbesetzung soll der Höhepunkt der „Tu mal wat“-Tage der linken Szene sein, die an diesem Wochenende den Kampf für räumungsbedrohte Projekte wie die Potse oder die Meuterei sowie für neue Freiräume forciert.

Während die Polizei die Oranienstraße auf und ab fährt, verlassen Kleingruppen möglichst unauffällig das Bilgisaray in Richtung Alexanderplatz. Dort soll es neue Informationen über den geheim gehaltenen Ort der Besetzung geben. Auch vom Nettelbeckplatz und der Großbeerenstraße haben sich potenzielle Besetzer auf den Weg zu weiteren Schleusungspunkten gemacht. Während die Aktivisten am Alex auf weitere Auskünfte warten, macht schon die Nachricht einer ersten Hausbesetzung des Tages die Runde.

Eine Personengruppe ist in die alte Schultheiss-Brauerei in der Landsberger Allee 54 eingedrungen. Einige hangeln sich an gespannten Seilen, andere stehen auf dem Dach. An der Backsteinfassade haben sie Transparente angebracht, etwa für das queerfeministische Hausprojekt Liebigstraße 34. Die Besetzergruppe nennt sich Villa 54 und ist unabhängig von #besetzen aktiv. Die Polizei ist schnell vor Ort, auch einige Unterstützer sammeln sich auf der gegenüberliegenden Straßenseite. „Amore, Anarchia, Autonomia“, rufen sie herüber.

Wer besetzen oder blockieren will, soll in Kleingruppen zum Zielort geführt werden

„Die müsste man alle verhaften“, schimpft dagegen eine ältere Anwohnerin, die sich vor dem Regen schützend in einen Hauseingang gedrängt hat. Sie hat die Szene eine Weile beobachtet. „Ich selbst lebe hier seit 1967 und habe einige Jahre in der Brauerei gearbeitet“, sagt sie. Als sie erfährt, dass die Besetzer auch für bezahlbaren Wohnraum kämpfen, wird sie verständnisvoll: „Auch mein Haus wurde von Akelius gekauft. Seitdem habe ich immer Stress.“

Schnitzeljagd durch die Stadt

Am Alex kriegen die Aktivisten einen Zettel in die Hand gedrückt, der sie nach Lichtenberg in einen kleinen Park nördlich der Frankfurter Allee lotst. Ab 14 Uhr sammeln sich hier immer mehr Linke. Wer besetzen oder blockieren will, soll in Kleingruppen zum Zielort geführt werden. Eine Stunde später ist es so weit. Schwarz gekleidete Gruppen schleichen durch das ehemalige Stasi-Gelände. Die ersten Besetzer haben da schon durch den Hinterhof den leer stehenden Häuserblock in der Frankfurter Allee 187 betreten. Immer neue kommen hinzu und helfen dabei, die Zugänge zum Hof und ins Haus zu verbarrikadieren.

Gegen halb vier werden Transparente aus den Fenstern entrollt. Die Strategie ist aufgegangen. 200 bis 300 Aktivisten haben es von der Polizei unbemerkt ins Haus und zu den Blockaden der Eingänge geschafft. Vermummte stehen auf einem Balkon und zünden Pyrotechnik, vor dem Haus wird ein Pavillon mit Informationsmaterialien der Besetzer aufgebaut. Die Stimmung ist ausgelassen.

Im Mai vergangenen Jahres hatte #besetzen erstmals ein Haus okkupiert. Auf diesen „Frühling der Besetzungen“ folgten weitere Aktionen im Herbst. Mit Ausnahme einer Wohnung in der Großbeerenstraße wurden alle Besetzungen am selben Tag geräumt. So auch der bislang letzte Versuch im Frühjahr in einem leer stehenden Ladengeschäft in der Wrangelstraße. Jetzt soll die vierte #besetzen-Jahreszeit den Erfolg bringen. Die Aktivisten wollen ein Haus halten und die Berliner Linie überwinden, nach der die Polizei Besetzungen binnen 24 Stunden räumt.

In der alten Brauerei beginnt die Polizei auf Antrag der privaten Eigentümerfirma am frühen Abend mit der Räumung. Über einen Feuerwehrkran verschaffen sich die Beamten Zugang zum Dach. Drei Besetzer, die sich an der Hausfassade abgeseilt haben, werden gesichert; insgesamt zehn Personen werden vorübergehend festgenommen.

Plötzlich Verhandlungen

In der Frankfurter Allee vergehen derweil die Stunden mit Diskussionen darüber, ob eine Kundgebung direkt vor dem Haus abgehalten werden darf. Schließlich vertreibt die Polizei die Menschen vom Bürgersteig und umzäunt das Gelände. Zur Räumung kommt es aber nicht.

Auf Twitter schreibt unterdessen Kultursenator Klaus Lederer (Linke), dass das Haus an den Bund übertragen werden soll, der dort den „Campus der Demokratie“ plant. Die Unterstützung dafür habe das Abgeordnetenhaus beschlossen. Die Grünen-Politiker Daniel Wesener und Andreas Otto widersprechen: Ein Verkauf sei damit nicht beschlossen.

Nach Anbruch der Dunkelheit stehen plötzlich der Geschäftsführer der landeseigenen Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM), Sven Lemiss, und die Linken-Abgeordnete Katalin Gennburg an den Absperrgittern und diskutieren mit Vertretern der Besetzer.

„Wenn das Haus weiter verfällt, ist das Resultat auch kein gutes“, sagt Gennburg, die eine Räumung verhindern will und sich für eine Zwischennutzung starkmachtLemiss verweist auf andere, legale Wege, über die die Stadtgesellschaft Platz für ihre Projekte einfordern könne. Ein Aktivst hält ihm entgegen: „Wir sind in Berlin. Viele gute Projekte sind aus Besetzungen entstanden.“ Die Entscheidung, einen Räumungsantrag zu stellen, will Lemiss aber nicht treffen. Schließlich bietet er „ernsthafte Verhandlungen“ über eine Nutzung des Gebäudekomplexes an, wenn die Besetzer bis Sonntag 15 Uhr das Haus freiwillig verlassen.

Doch dazu kommt es nicht. Weil auf Druck der Polizei weder der freie Zugang zum Haus noch das Hineintragen von Schlafsäcken gestattet wird und weil die Bedingung, das Haus vor den Verhandlungen verlassen zu müssen, auf Ablehnung stößt, entscheiden sich die Besetzer, in der Nacht das Haus zu verlassen. Immerhin: Sie bleiben straffrei. Womöglich wollen einige von ihnen noch das Gespräch mit der BIM suchen.

Widerstand gegen Airbnb

Was von den „Tu mal wat“-Tagen noch bleibt: Der Widerstand in der Stadt gegen Ferienwohnungen und Konzerne wie Airbnb wächst. Am Freitag zog eine Satire-Demo durch Friedrichshain entlang zahlreicher Häuser, in denen kaum noch Mieter wohnen, sondern mit Ferienappartements und anderen Formen von Kurzzeitvermietung Profit gemacht wird. Die vermeintlichen Airbnb-Sprecher priesen ihr „Portfolio“ an, die mit Rollkoffern ausgestatteten Teilnehmer skandierten: „Wir kaufen euch alle“.

Transparent "This is our Kiez"

Airbnb-Demo vor dem Frankfurter Tor Foto: Erik Peter

Bei einem Kiezspaziergang in Kreuzberg wurde ebenfalls auf Zweckentfremdung hingewiesen, etwa durch den Anbieter Wunderflats, der das Verbot der Kurzzeitvermietung durch die Vermietung möblierter Wohnungen ab einer Dauer von zwei Monaten umgeht.

Auf dem YouTube-Kanal der Aktionstage wurde zudem ein Video veröffentlicht, das Sabotageaktionen an und innerhalb von Ferienwohnungen zeigt. Zu sehen ist, wie Schlüsselboxen und Türschlösser verklebt werden und in einer Wohnung Chaos gestiftet wird. An der Wand hinterließen die Eindringlinge die Parole: „Die fetten Jahre sind vorbei.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.