Prioritäten in der Coronapandemie: Kultur ist ein Menschenrecht
Ein Experiment in Barcelona zeigt, dass Konzerte selbst in einer Halle sicher durchgeführt werden können. Die Politik sollte daran anknüpfen, um Kultur zu ermöglichen.
A ls über die sogenannte Bundesnotbremse verhandelt wurde, sprach man über vieles, nur eines nicht: die Kultur. Sie scheint in Zeiten der Pandemie zu vernachlässigen zu sein. Denn eine Folge des Gesetzes ist, dass alle Konzepte, sichere Kulturveranstaltungen stattfinden zu lassen, für die Schublade geschrieben wurden.
Die Museen sind wieder geschlossen, die Theater zu musealen Orten geworden. Bis 30. Juni, so lange gilt das Gesetz, wird Deutschland eine kulturlose Zone bleiben, außer die Inzidenzzahl fällt fünf Werktage lang unter die magische Marke von 100.
Ja, wir dürfen weiter Bücher lesen und Filme schauen, das war’s aber auch schon. Wenn uns Ministerpräsidenten nun erzählen, sie hätten einen „Gipfel der Hoffnung“ erklommen, könnte man zum Schluss kommen: Sie unterschätzen den Stellenwert der Kultur für eine freie, demokratische und pluralistische Gesellschaft. Man muss kein Epidemiologe sein, um zu wissen, dass sich virenbelastete Aerosole unter freiem Himmel schwerlich zu einem gefährlichen Cocktail akkumulieren. Mit Tests, Maskenpflicht, entzerrtem Einlass lässt sich das Risiko für Veranstaltungen im Freien stark minimieren.
Das Land Berlin hatte im Winter das Projekt „Draußenstadt“ geplant, aber angesichts steigender Inzidenzzahlen nicht initiiert. Nun hoffte man, loslegen zu können. Da kam die Bremse.
Teilnahme an Kultur ermöglichen
Ein Experiment in Barcelona zeigt, dass Konzerte selbst in einer Halle sicher durchgeführt werden können. Am 27. März besuchten 5.000 Menschen den Musikpalast Sant Jordi. Tags zuvor waren sie einem Antigen-Test unterzogen worden, zwei Wochen danach einem PCR-Test.
Das Ergebnis: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es innerhalb der Veranstaltung zu Ansteckungen kam. Ein Konzert in Innenräumen mit vorherigem Antigen-Screening ist laut der untersuchenden Ärzte eine sichere Aktivität. Der Einlass wurde über vier Eingänge über mehrere Stunden abgewickelt, um Ansammlungen zu vermeiden. Der öffentliche Nahverkehr wurde so entlastet. Soziale Distanz wurde nicht verlangt, aber das Tragen einer FFP2-Maske. In den Niederlanden kamen Experimente zu ähnlichen Ergebnissen.
Es wird Zeit, dass die Politik die Entwicklung von Konzepten anstößt, die uns die Teilnahme an Kultur ermöglichen. Der Schutz von Leben und Gesundheit geht vor, keine Frage. Aber wir alle haben „das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, uns an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben“. Das ist nicht irgendein Recht. Es ist ein Menschenrecht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen