Pressegewerkschafter über Lützerath: „Angriffe auf Journalisten“
Der Pressegewerkschafter Jörg Reichel kritisiert, wie die RWE-Security mit Medienvertreter*innen umgeht. Das geschehe mit Hilfe der Polizei.
taz: Herr Reichel, Sie sind zum Zeitpunkt dieses Gesprächs unterwegs nach Lützerath, als Beobachter für die Pressefreiheit. Wie ist die Lage?
Jörg Reichel: Schon vor der Räumung wurde die Pressearbeit behindert. Es gab zwei körperliche Angriffe, einmal durch RWE Security und einmal durch die Polizei. Seit der Räumung, Stand Mittwochmittag, gibt es vermehrt Behinderungen von Pressearbeit: polizeiliche Maßnahmen gegen Journalist*innen und einen Fall, wo die Polizei die Löschung von Bildern verlangt hat. Selbst im öffentlichen Teil von Lützerath haben Security und Polizei Journalist*innen nicht durchgelassen. Lützerath ist aktuell noch über den östlichen Teil für die Presse zugänglich. Wir gehen aber davon aus, dass sich das ändern wird, weil die Polizei da einen Ring drum herum machen wird.
Wie kommt es dazu – Löschung von Bildern, tätliche Angriffe?
Aufseiten der RWE-Security gehen wir davon aus, dass das unausgebildete Mitarbeiter sind, die denken, sie müssten Konflikte lösen, indem sie sich körperlich durchsetzen gegenüber Journalist*innen. Wir hatten einen Fall, wo eine Journalistin gepackt wurde, an Armen und Körper. Letzte Woche haben wir von der Polizei Aachen gefordert, dass die RWE-Security die formalen Voraussetzungen erfüllen muss, um dort Reihe in Reihe mit der Polizei zu stehen – denn das tut RWE ja. Darauf hat dann das Polizeipräsidium nicht reagiert. Zum Fall der Löschung von Bildern gibt es noch keine Erklärung vonseiten der Polizei Aachen. Ich habe am Mittwoch ungefähr zehnmal mit der Polizei telefoniert und auch in den letzten Tagen mehrmals täglich.
ist Landesgeschäftsführer Berlin-Brandenburg der Deutschen Journalisten- und Journalistinnen-Union (DJU) von der Gewerkschaft Verdi.
Der andere körperliche Übergriff, durch die Polizei, war ein typisches Schlagen gegen das Handy. Das kommt bei größeren Demonstrationen relativ häufig vor – dass mal ein Polizist zuschlägt, hinlangt.
Ist das eine spontane Überreaktion aus dem Affekt oder ist es politisch gewollt?
Es gibt oberflächlich die Absichtserklärung, Pressefreiheit überall zu gewähren. Die Polizei macht sich aber selber klein und sagt, sie handele in Prokura von RWE. Das kritisieren wir. Dem Land NRW, aber auch der Polizei würde es gut zu Gesicht stehen, sich rechtlich pro Pressefreiheit zu positionieren und nicht im Geschäftsauftrag von RWE zu handeln. Es gibt Rechtsauffassungen, die sagen: Wenn öffentliches Interesse überwiegt, dann muss auch von privatem Grund aus berichtet werden. Insbesondere bei der Zutrittsbehinderung an der Landstraße 12 in Lützerath gehen wir davon aus, dass sie politisch gewollt ist. Da berichten auch parlamentarische Beobachter, dass sie abgewehrt werden von der Polizei.
Sind Angriffe durch Aktivistinnen kein Risiko?
Nein. Wir haben bisher nur den Fall eines Flaschenwurfes, der einen Fotografen getroffen hat. Der Wurf galt aber nicht dem Journalisten. Die größte Unsicherheit für Journalist*innen sind unqualifizierte Sicherheitsmitarbeiter von RWE und heiß gemachte Polizeieinheiten, die nach ein, zwei Tagen vor Ort den Frust rauslassen. Das ist für uns eine negative Bilanz für die Pressefreiheit.
Wie vertrauenswürdig sind vor diesem Hintergrund Pressemitteilungen von der Polizei?
Gar nicht. Die Polizei ist nur eine Quelle neben vielen. Polizeimeldungen sind kein Journalismus, sondern die einseitige Darstellung vonseiten der Polizei.
Journalist*innen mussten einen Haftungsausschluss von RWE unterschreiben, um Zutritt zu erhalten. Was hat es damit auf sich?
RWE will sich rechtlich absichern, sodass im Schadensfall der Journalist auf ihrem Gelände die Risiken trägt und die Haftung hat. Und RWE tut so, als ob sie ein natürliches Recht hätten, das von jedem Journalisten zu verlangen. Das ist aber unüblich. Als es zum Beispiel Proteste auf der A 100 in Berlin gab, haben die Bauherren dort Journalisten aufs Gelände gelassen. Es ist einfach nicht seriös, so was jemandem auf den Tisch zu legen und zu sagen: Unterschreib mal, sonst kannst du nicht weiter journalistisch arbeiten.
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