Pressefreiheit unter Netanjahu: Israels Regierung boykottiert Zeitung „Haaretz“
Die israelische Zeitung „Haaretz“ stößt immer wieder Debatten an – auch über die Regierung. Die will fortan nicht mehr mit ihr kommunizieren.

Die israelische Regierung würde dem gerne ein Ende bereiten: Am Sonntag nahm das Kabinett laut Kommunikationsminister Shlomo Karhi einstimmig einen Vorschlag an, der allen Regierungsvertretern und Angestellten von staatlich finanzierten Organisationen vorschreibt, nicht mehr mit der Zeitung zu kommunizieren oder dort Anzeigen zu schalten.
„Wir befürworten eine freie Presse und Meinungsfreiheit, aber auch die Freiheit der Regierung, Aufhetzen gegen den Staat Israel nicht zu finanzieren“, hieß es in Karhis Mitteilung.
Haaretz warf der Regierung in einer Stellungnahme vor, der Boykott sei „ein weiterer Schritt auf Netanjahus Weg, die israelische Demokratie zu zerstören“. Vize-Chefredakteurin Noa Landau schrieb beim Onlinedienst X: „Wir werden uns nicht einschüchtern lassen.“ Im Schatten eines Krieges die Medien und das Justizsystem zu schwächen, entspreche dem „Handbuch einer jeden Diktatur“. Die Zeitung kritisierte, dass der Vorschlag im Vorfeld nicht auf der Tagesordnung gestanden habe und nicht wie üblich vom Büro der Generalstaatsanwaltschaft geprüft wurde.
Die Haaretz-Redaktion hat seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober eine Reihe von Recherchen über das Fehlverhalten hochrangiger Regierungsbeamter und Armeeangehöriger veröffentlicht und einen Waffenstillstand zur Befreiung der in Gaza gefangenen israelischen Geiseln befürwortet.
Weitere Pläne für israelische Medienlandschaft
Karhi rechtfertigte den Boykott mit Äußerungen des Haaretz-Herausgebers Amos Schocken. Dieser hatte über die völkerrechtswidrigen israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland gesagt: „(Die israelische Regierung) ignoriert den Preis der Verteidigung der Siedlungen für beide Seiten, während sie palästinensische Freiheitskämpfer bekämpft, die Israel Terroristen nennt.“ Er habe sich nicht auf die Hamas bezogen, erklärte er später. Haaretz veröffentlichte einen Leitartikel mit dem Titel „Terroristen sind keine Freiheitskämpfer.“
Karhi dürften die Details kaum interessieren: Er hatte einen Boykott bereits 2023 gefordert und der Zeitung die Verbreitung „defätistischer und falscher Propaganda während eines Krieges“ vorgeworfen. Für die israelische Medienlandschaft hat er noch weitergehende Pläne: Wenige Stunden nach dem Boykottbeschluss, sprach sich die Regierung für einen Gesetzesvorschlag aus, dem zufolge der öffentlich-rechtliche Sender KAN 11 binnen zwei Jahren entweder privatisiert oder geschlossen werden soll. Die Regierung soll mehr Kontrolle über das Budget des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie über die Erhebung von Einschaltquoten erhalten.
Israels Pressefreiheit dürfte das weiter schaden. Das Land liegt im globalen Index von Reporter ohne Grenzen bereits heute auf Platz 101 von 180. Im Mai hatte Israel das lokale Büro des katarischen Senders Al Jazeera geschlossen.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Leak zu Zwei-Klassen-Struktur beim BSW
Sahras Knechte
Friedensforscherin
„Wir können nicht so tun, als lebten wir in Frieden“
Nach Hitlergruß von Trump-Berater Bannon
Rechtspopulist Bardella sagt Rede ab
CDU-Chef Friedrich Merz
Friedrich der Mittelgroße
Wahlentscheidung
Mit dem Wahl-O-Mat auf Weltrettung