: Die Wunde ist nicht verheilt
Sechs Jahre nach dem Mord am Journalisten Ján Kuciak gilt die Pressefreiheit in der Slowakei immer noch als prekär. Bei der Umsetzung seiner Pläne sieht Premierminister Fico in Journalist*innen vor allem ein Hindernis
Aus Bratislava Ann-Kathrin Leclere
Am Mittwoch erinnert die Slowakei an den Auftragsmord an Ján Kuciak, der an diesem Tag sechs Jahre zurückliegt. Kuciak wurde nur 27 Jahre alt. Der Doppelmord an Kuciak und seiner Partnerin Martina Kušnírová folgte auf Kuciaks Arbeit als Investigativjournalist zu Korruption im Land. Nach seinem Tod wurden Recherchen zu Verbindungen von hohen Staatsbeamten zur italienischen Mafia und Veruntreuung von EU-Agrarhilfen veröffentlicht. Als die Zivilgesellschaft realisierte, wie korrupt das Land ist, folgten Protestwellen der Empörung. Auf den Straßen in Bratislava, in Košice, in Banská Bystrica, überall kamen Tausende zu Protesten zusammen – so viele wie seit der sogenannten Samtenen Revolution zur Beendigung des Kommunismus 1989 nicht mehr.
2018 forderten sie Gerechtigkeit für Ján Kuciak und wollten sich nicht mehr gefallen lassen, dass schmutziges Geld in die Taschen der Regierung wanderte. Und ihre Wut zeigte Wirkung: Robert Fico musste als Premierminister zurücktreten und mit ihm Schlüsselpersonen in Staat und Polizei. Auch der Fall Kuciak landete vor Gericht, 2023 gestand der Ex-Soldat Miroslav Marček den Auftragsmord an Kuciak. Auch weiterhin gibt es Demonstrationen, die des ermordeten Journalisten gedenken. 2022 kam ein Denkmal aus kantigem Metall in Bratislava dazu. Es stellt die Wunde dar, die der Mord damals in die Gesellschaft gerissen hat.
Doch heute, sechs Jahre später, sind die politischen Verhältnisse von damals beinahe wiederhergestellt. Denn Fico wurde 2023 wiedergewählt. Und mit ihm eine homophobe, antieuropäische Regierung. Was bedeutet sein Wahlsieg für die Pressefreiheit im Land?
Der prorussische Premierminister baut das Land seit seinem Amtseintritt vor vier Monaten nach seinen Vorstellungen um. Im Schnellverfahren hat Fico etwa eine Justizreform veranlasst, die Strafen für Korruption deutlich heruntersetzen könnte.
„Fico hat verstanden, dass ihn damals auch die unabhängigen Medien zu Fall gebracht haben“, sagt Matúš Kostolný, Chefredakteur der slowakischen Investigativzeitung Denník N. Deshalb gehe der Premierminister heute härter als in seinen bisherigen Amtszeiten gegen Medien vor. Zu seinem Diffamierungsprogramm gehört unter anderem die Androhung, den öffentlich-rechtlichen Sender RTVS zu zerschlagen. Das kritisierte Mitte Januar bereits das EU-Parlament in einer Resolution. Seit Januar beantwortet er außerdem keine Fragen von wichtigen Medien mehr, darunter das Nachrichtenportal Aktuality, für das Kuciak arbeitete.
„Als Fico zurücktrat, dachte ich, das wäre das Ende. Ich habe mich komplett verschätzt“, sagt Kostolný. Denn damals habe die Zivilgesellschaft eine gemeinsame Stärke bewiesen. Niemals habe der Chefredakteur so viel Zuspruch erlebt, wie nach Kuciaks Ermordung. Und die Abonnent*innen sind der Zeitung erhalten geblieben. Aber das Land sei eben so polarisiert, wie etwa in den USA. Es gebe einen Teil, der glaube, dass Fico und seine prorussische Ausrichtung und harte Hand die beste Lösung wäre, versucht Kostolný Ficos Wiederwahl zu erklären.
Auch Presseanfragen von Denník N beantwortet der Premierminister seit Anfang des Jahres nicht mehr. „Zum Glück sind wir im Gegensatz zu vielen anderen Institutionen unabhängig von Oligarchen und der Regierung“, sagt Kostolný. Deshalb könne die Zeitung trotz Ficos Drohungen kritisch berichten.
Neben der öffentlichen Diffamierung von etablierten Institutionen und Medien baut Fico seine Macht in selbsternannten alternativen Medien aus. „Das ist ein Riesenproblem“, sagt Dominika Hajdu, politische Leiterin des Zentrums für Demokratie und Resilienz Globsec. Fico wird für diejenigen präsenter, die sowieso auf solchen Plattformen unterwegs sind. Außerdem mache die Regierung verschwörungstheoretische Inhalte in einem größeren Teil der Gesellschaft salonfähig, sagt Hajdu.
Umfragen von Globsec zeigen, dass Slowak*innen im Vergleich zu anderen Ländern in Mittelosteuropa besonders anfällig für Desinformationen sind. Demnach glaubte 2019 mehr als die Hälfte der Befragten (53 Prozent), dass das Weltgeschehen von geheimen Gruppen entschieden wird, die eine totalitäre Weltordnung errichten wollten. Laut Hajdu fehlt vielen aufgrund von schlechter Bildung die Fähigkeit des „kritischen Lesens“.
Auch, dass es häufig prorussische Propaganda ist, spielt eine Rolle. Um das zu verstehen, müsse man tief zurückgehen in die Geschichte der slowakischen Nationenbildung, sagt Kostolný. „Manche haben immer noch diese dumme Hoffnung, dass Russland uns als eine slawische Nation helfen wird, ein eigenständiges Land zu sein“, sagt Kostolný von Denník N. „Obwohl wir über zwanzig Jahre von Russland besetzt waren.“ Auch Premierminister Fico spricht diejenigen an, die nostalgisch an den Kommunismus denken.
Heute ist das Land aber Mitglied der EU und Nato. Die aktuellen Einschnitte in der Pressefreiheit und Demokratie im Land bleiben deshalb in diesen Institutionen nicht unbeachtet. Am vergangenen Freitag war bekannt geworden, dass die Europäische Kommission droht, EU-Gelder einzufrieren, sollte die Justizreform so umgesetzt werden. „Es ist sehr wichtig, dass wir als EU-Institution Werkzeuge an die Hand geben, um Journalist*innen zu schützen“, sagt Vladimír Bilčík, Mitglied des EU-Parlaments (EVP). Hilfreich sei dafür etwa der auf den Weg gebrachte European Media Freedom Act sowie die volle Transparenz über Eigentumsverhältnisse von Medien in der Slowakei, um das Vertrauen wieder zu stärken.
Im April sind Präsidentschaftswahlen in der Slowakei. Die liberale Präsidentin Zuzana Čaputová hat bereits verkündet, das sie nicht wieder antreten wird. Damit an ihre Stelle nicht einer von Ficos Gefolgsleuten gelangt, muss die demokratische Opposition auch einen Teil der Fico-Wähler*innen überzeugen. Auch bei der Europawahl dieses Jahr wird die Positionierung des Landes bedeutend sein. Die unabhängigen Medien im Land versuchen weiterhin, gegen die Polarisierung anzuarbeiten. „Wir werden von der Regierung gehasst“, sagt Kostolný. Das sei ein gutes Zeichen. Noch sei die mediale Situation nicht so schlimm wie etwa in Ungarn, und vielleicht könne sich, wie in Polen, alles zum Besseren wenden.
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