Der Slowakei droht die Orbánisierung

Der Populist Róbert Fico gewinnt bei den Parlamentswahlen. Vielen gilt er als linke Version von Ungarns Ministerpräsident – auch was die Haltung zur Ukraine und zu Russland angeht

Wahlgewinner Róbert Fico am 1. Oktober vor der Parteizentrale der Smer-Partei in der Hauptstadt Bratislava Foto: Eva Kornikova/reuters

Von Alexandra Mostyn, Prag

Die Slowakei hat gewählt – und das Ergebnis entspricht den Erwartungen und Befürchtungen zugleich. Der als prorussische geltende Róbert Fico, vor fünf Jahren wegen seiner mafiösen Verstrickungen aus dem Amt gejagt, ist zurück. Von 2006 bis 2010 und von 2012 bis 2018 war er bereits als Ministerpräsident im Amt. Seine linksna­tio­nale, populistische Partei Smer konnte nun 23 Prozent der Stimmen verbuchen.

An zweiter Stelle folgt die liberale grüne Partei Progressive Slowakei, die zum ersten Mal im slowakischen Parlament vertreten sein wird. Schrieben ihr die letzten Vorwahlumfragen noch einen Wahlsieg zu, blieb sie mit einen Stimmanteil von 17,6 Prozent weiter hinter der Smer zurück als erhofft. An dritter Stelle kommt der Smer-Ableger Hlas (Stimme), die Ficos einstiger Kronprinz Peter Pellegrini vor drei Jahren nach Unstimmigkeiten mit seinem politischen Ziehvater gegründet hat. Mit ihren 14,8 Prozent verfügt die Hlas über ein großes Koali­tions­potenzial und dürfte bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen als Zünglein an der Waage gelten.

Eine funktionierende Koalition wird nur möglich sein, wenn auch die weiteren vier Parteien berücksichtigt werden, die in diesen Wahlen den Sprung in den Nationalrat geschafft haben.

Die Erfahrungen der vergangenen Legislaturperiode sind eine Warnung vor einer Koalition mit der populistischen OĽaNO und der wirtschaftsliberalen SaS (Freiheit und Solidarität): Denn die mangelnder Führungskompetenz von OĽaNO-Chef Igor Matovič und seine testosterongeschwängerten Streitigkeiten mit dem SaS-Vorsitzenden Richard Sulík führten die Regierungskoalition von 2021 damals in eine lange Krise und brachten sie schließlich zum Scheitern.

Auch die Slowakische Nationalpartei (SNS) schaffte es mit ihrer autoritativen und xenophoben Rhetorik über die Fünfprozenthürde.

In der slowakischen Politik ist alles möglich. Denn sie folgt ihrem eigenen pragmatischen Imperativ: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich. Gleich in der Wahlnacht schlossen Fico und der „Verräter“ Pellegrini eine gemeinsame Koalition nicht aus. Und auch wenn beide ihre jeweiligen Parteien gerne mit dem Attribut „sozialdemokratisch“ versehen, wird es kaum Berührungsängste mit den Na­tio­nalisten der SNS geben. Im Gegenteil: Alle drei Parteien treffen sich in ihrer Entschlossenheit, die Balkanroute für Flüchtende zu schließen, auch mit Hilfe der Armee.

In den Nachbarländern Polen und Tschechien sorgt Ficos Wahlsieg für Angst. In seiner Wahlkampagne hatte der 59-Jährige Verschwörungserzählungen und ein prorussisches Narrativ bemüht – dem laut Umfragen beinahe die Hälfte der Slowaken glauben.

Drei mögliche Koalitionsparteien treffen sich in ihrer Entschlossenheit, die Balkanroute für Flüchtende zu schließen, auch mit Hilfe der Armee

So hat Fico wiederholt die Ukraine zu einem Kriegstreiber erklärt, der allein US-amerikanische Interessen verfolge, und angekündigt, die Ukraine-Hilfe der Slowakei zu stoppen. Keine einzige Munitionskugel werde unter seiner Regierung in die vom Krieg gebeutelte Ukraine geliefert werden, so Fico. Er lehnt EU-Sanktionen gegen Russland ab und hatte angekündigt, einen Beitritt der Ukraine zum Verteidigungsbündnis Nato blockieren zu wollen.

Sollte Wahlsieger Fico die nächste Regierung der Slowakei anführen, wird er im Schulterschluss mit Ungarns Ministerpräsident Victor Orbán das Paradigma der mitteleuropäischen Solidarität mit der Ukraine zum Bröckeln bringen und prorussische Positionen weiter salonfähig machen.