Pressearbeit in Corona-Krise: 120 Anfragen an einem Tag
Die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts schafft es nicht mehr, alle Anfragen zu beantworten. Wird aus der Corona-Krise eine Informationskrise?
Für das Abarbeiten von Presseanfragen seien sie eigentlich nur zu zweit. In Krisen kämen noch mal ein bis zwei Kolleginnen dazu. „Das war’s“, sagt Glasmacher. Und dann erzählt sie von der aktuellen Überforderung. „Mein Leitbild war stets: Antworte allen. Das haben wir auch eine ganze Weile noch geschafft. Aber irgendwann mussten wir das aufgeben. Es ist nicht mehr zu schaffen.“ Sie sortiere nun, vor allem nach der Reichweite der Medien.
Die Wissenschaftspressekonferenz hat mit der Coronakrise einen „Krisenstammtisch“ gegründet. An den Videokonferenzen nehmen bis zu 30 Fachjournalist:innen teil. „Viele haben erzählt, dass sie bei einzelnen Pressestellen telefonisch gar nicht mehr durchkommen und auch auf E-Mails oft keine oder nur sehr knappe Reaktionen erhalten“, sagt Medizinjournalistin und Vorstand Nicola Kuhrt.
Die Lage am RKI, dem „derzeit für die wissenschaftliche Berichterstattung entscheidenden Nadelöhr“, sei schwierig, aber auch bei anderen Instituten, Universitäten und Gesundheitsministerien beim Bund und bei den Ländern.
Die Großen haben es leichter
„Wir sind dort gut vernetzt“, sagt Kuhrt, die selbst das Portal Medwatch mitgegründet hat und sonst für diverse Magazine berichtet. Expert:innen wollten sich bei öffentlichen Äußerungen aber mit ihrer Pressestelle abstimmen. „Das ist natürlich völlig in Ordnung. Es hilft aber nicht, wenn die Pressestelle dann drei Tage nicht erreichbar ist.“
Vor allem in den großen Sendern halten sich die Schwierigkeiten in Grenzen. Der WDR, bei dem die Wissenschaftsredaktion Quarks angesiedelt ist, meldet mit der Frage, welche relevanten Fragen im Kontakt von Politik und RKI auf der Strecke blieben: „Nach unseren bisherigen Erfahrungen keine.“ Und für den Leiter des ZDF-Hauptstadtstudios, Theo Koll, sind die Informationszugänge „insgesamt gut in dieser Krisenphase“, auch zu politischen Akteuren – „als hätten sie plötzlich abends alle Zeit“. Es gibt aber auch andere Erfahrungen.
NDR-Journalist Christian Baars recherchiert für „Tagesschau“ und „Panorama“. „Manchmal geht es richtig schnell, bei anderen Anfragen muss ich nachhaken“, sagt er über das RKI – wenngleich er Verständnis habe: „Gerade das RKI wird zugeballert mit Anfragen.“
Ein größeres Problem habe er ohnehin mit dem Bundesgesundheitsministerium: „Dass da konkrete Fragen beantwortet würden, kann ich leider nicht berichten.“ Schon „ein paarmal“ habe er gar keine Antwort erhalten, und wenn, dann nur „allgemeine Statements“. Das sei schon früher so gewesen. „Aber es ist gerade in dieser Situation wahnsinnig unbefriedigend.“
Verweis auf Zeitungsartikel
Als Baars zu Beatmungsgeräten recherchierte, habe er nur einen Verweis auf eine Pressekonferenz und auf einen Zeitungsartikel erhalten – „nach ganzen zwei Tagen“. Medizinjournalistin Kuhrt hatte für den Stern zum selben Komplex Fragen gestellt. „Die Antwort kam auch, aber eine Woche später“, berichtet sie. „Da war das Stück längst gedruckt.“ Was sie nicht weiß: Warum die Antwort dauerte. „Solche Hinweise bleiben derzeit auf der Strecke. Da hält sich mein Verständnis für Verzögerungen eher in Grenzen.“
Die Wissenschaftspressekonferenz hat in einem offenen Brief bessere Informationszugänge angemahnt. „Nach der Veröffentlichung gab es einige Gespräche“, berichtet Kuhrt. „Wir wissen, dass sich viele ernsthaft bemühen. Und dennoch sagen wir auch heute noch: Wir wünschen uns eine größere Unterstützung und auch eine Wertschätzung unserer Arbeit.“ Mit besseren Erklärungen könne zudem die Akzeptanz der Maßnahmen steigen.
Könnten Journalist:innen ihre Anfragen koordinieren? RKI-Sprecherin Glasmacher berichtet immerhin: Sie erreiche „aus größeren Häusern Anfragen zur gleichen Fragestellung aus ganz unterschiedlichen Redaktionen“. Bei den Journalist:innen heißt es indes: Die Anforderungen etwa einer Nachrichtensendung oder -seite für schnelle Reaktionen sei anders als die eines Polit- oder Nachrichtenmagazins, das eher an Details interessiert sei. Also ist das eher keine Lösung.
Eine andere Möglichkeit wären Datenbanken mit Antworten auf bereits gestellte Fragen. Damit würden Kapazitäten frei für neue Recherchen. Die Wissenschaftspressekonferenz überlegt zudem, gemeinsam mit der Bundespressekonferenz Vertreter:innen aus Wissenschaft und Politik einzuladen. „So könnten Kolleg:innen sowohl des Wissenschafts- als auch des Politikressorts gleichzeitig teilnehmen“, sagt Kuhrt. „Expertinnen und Experten müssten sich dann auch nicht mehr überlegen, wofür sie überhaupt Zeit haben.“
Machtverschiebung in der Kommunikation
Das Kölner Science Media Center, das auf eine Initiative der Wissenschaftspressekonferenz zurückgeht und von Stiftungen und Spender:innen finanziert wird, organisiert bereits seit Jahresbeginn „Pressebriefings“ zu Corona. An den Veranstaltungen nehmen neben Wissenschaftler:innen zwischen 25 und 90 Journalist:innen teil.
Volker Stollorz, Leiter des Zentrums, beobachtet aber auch „eine Machtverschiebung“: Institutionen laden zunehmend selbst zu Runden ein. Dann würden aber nicht Journalist:innen moderieren, sondern die Wissenschaft sich selbst. Vor allem bei den Pressekonferenzen des RKI rate er zur Umsicht. Da es dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt sei, falle es eher nicht unter die Wissenschaftsfreiheit. Klar erkennbar sei dann auch das „One Voice Prinzip“: Auf den pro Woche zwei Pressekonferenzen des RKI spreche nur die Hausleitung. Abweichende Meinungen seinen keine zu hören, obwohl Diskurs zwingend Teil der Wissenschaft sei.
RKI-Sprecherin Glasmacher sagt wiederum, ihre Expert:innen müssten in dieser Lage sehr viel bewältigen und daneben auch wissenschaftlich publizieren. Gespräche mit Medien seien „in dieser Situation nur im Ausnahmefall möglich“. Ihren kleinen Apparat mal eben aufstocken, das funktioniere auch nicht. Und PR-Agenturen wären eher Risiko statt Hilfe: „Jede ungeschickte oder unpräzise Aussage wäre in der angespannten Lage ein Problem.“
Wenn sie sich etwas wünschen könnte, sagt Glasmacher, dann wäre es, dass mehr Journalist:innen Verständnis hätten für ihre Situation. Sie tue jedenfalls mit ihrem Team, was sie könne, um so viele Anfragen wie möglich abzuarbeiten. Allein: „Wenn uns dann noch Einzelne in vier Tagen fünf Fragenkataloge schicken und dazu mehrfach anrufen, um ihrer Sache Nachdruck zu verleihen, dann fragen wir uns schon, ob das sein muss.“
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