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Präsidentschaftswahlen in NordzypernErdoğan verliert, die EU gewinnt

Der Sozialdemokrat Tufan Erhürman hat die Präsidentschaftswahlen in Nordzypern klar gewonnen. Der von der Türkei unterstützte Kandidat scheitert.

Will Nordzypern auf EU-Kurs bringen und findet dafür Unterstützung: Wahlsieger Tufan Erhürman am Sonntag, 19. 10. 2025 Foto: Nedim Enginsoy/ap
Jürgen Gottschlich

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Jürgen Gottschlich aus Istanbul

taz | Es ist eine heftige Schlappe für den türkischen Präsidenten Erdoğan: Bei den Präsidentschaftswahlen in Nordzypern hat der Oppositionskandidat der sozialdemokratischen CTP, Tufan Erhürman, bereits im ersten Wahlgang klar mit 62,8 Prozent gewonnen. Der vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan unterstützte amtierende Präsident Nordzyperns, Ersin Tatar, schaffte nur blamable 35,8 Prozent.

Der Rest der Stimmen entfiel auf weitere fünf Kandidaten, die aber von Beginn an nur unter ferner liefen antraten. Der entscheidende Unterschied zwischen dem oppositionellen Erhürman und dem regierenden Tartar ist die Haltung zum griechischen Südzypern.

Während Tatar wie sein Großprotektor Erdoğan vorgegeben hatte, sich für einen eigenständigen Staat Nordzypern einzusetzen, will Erhürman zurück zu Gesprächen mit den Griechen, um einen gemeinsamen föderalen Staat Zypern zu erreichen. Seit der Teilung Zyperns zwischen Griechen und Türken 1974 wurde unter Federführung der UN immer wieder versucht, durch eine diplomatische Lösung die Teilung zu überwinden.

Der letzte große Anlauf war 2004 die Abstimmung über den sogenannten Annan-Plan des damaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der einen zypriotischen Bundesstaat mit geteilter Macht zwischen den beiden Volksgruppen vorsah. Während die türkische Minderheit mit großer Mehrheit dem Plan zustimmte, lehnte die Mehrheit der griechischen Zyprioten ihn ab. Seit diesem großen Fehlversuch sind zwar immer wieder noch Verhandlungen geführt worden, die aber allesamt nicht mehr zum Ziel führten.

Auf der türkischen Seite, die den Annan-Plan unterstützt hatte, macht sich zunehmende Frustration breit, die letztlich bei Erdoğan dazu führte, ganz auf die diplomatische Anerkennung Nordzyperns als eigenem Staat zu setzen. Doch kein Staat außer der Türkei, nicht einmal der engste Verbündete Aserbaidschan, ist bereit, Nordzypern als eigenen Staat anzuerkennen.

Die Folge ist eine zunehmende Isolation der türkischen Nordzyprioten, die auch wirtschaftlich verheerende Folgen hat. Während das griechische Südzypern kurz nach der Ablehnung des Annan-Plans Mitglied der EU wurde und wirtschaftlich stark davon profitierte, geriet Nordzypern immer mehr in die Abhängigkeit von der Türkei und erlebte ökonomisch eine Art mafiösen Kasinokapitalismus, bei dem die meisten türkischen Zyprioten immer mehr in die Armut rutschten.

Das will der neue Mann Tufan Erhürman nun ändern. Durch Gespräche mit der griechischen Seite will er vor allem die Isolation durchbrechen und auch den türkischen Teil der Insel näher an die EU heranführen. De jure gehört ganz Zypern zur EU, faktisch wird im türkischen Norden EU-Recht aber nicht angewandt. Der Präsident der griechischen Seite, Nikos Christodoulides, hat Erhürman gratuliert und erklärt, er sei zu Wiederaufnahme substantieller Verhandlungen bereit.

Um tatsächlich zu Ergebnissen zu kommen, müssten aber beide Seiten bereit sein, den gesamten Prozess einer Wiederannäherung neu zu denken. Bislang sind alle Verhandlungen daran gescheitert, dass die große Mehrheit der Griechen, die Zypern als ihre Insel ansehen, zu keiner echten Machtteilung mit der türkischen Minderheit bereit sind.

Um tatsächlich zu Ergebnissen zu kommen, müssten aber beide Seiten bereit sein, den gesamten Prozess einer Wiederannäherung neu zu denken

Die griechische Seite stellt sich eine Lösung wie bei der deutschen Wiedervereinigung vor, wo die andere Seite einfach inkorporiert wird, mit ein paar kulturellen Minderheitenrechten für die Türken. Das haben die Türken bislang nicht akzeptiert und wollen es auch zukünftig nicht. Erhürman strebt deshalb einen Staat an, der mit einigen wenigen gemeinsamen Bundesinstitutionen aus zwei Föderationen besteht, der griechischen und der türkischen Föderation. Dabei sollen die Grenzen aber völlig durchlässig sein und auch der türkische Teil würde ökonomisch Teil der EU.

50 Jahre Teilung

Der Weg dahin ist allerdings weit und kann auch nur gelingen, wenn er von der Türkei und Griechenland unterstützt wird. Sowohl die Türkei als auch Griechenland müssten ihre Truppen von der Insel abziehen und den Zyprioten die Verhandlungen überlassen. Diese müssten schwierige Eigentums- und Landfragen klären. An sich käme eine solche Lösung aber der Realität entgegen, weil nach 50 Jahren Teilung die türkische und griechische Community sich doch weit auseinandergelebt haben.

Es ist aber sehr fraglich, ob Erdoğan bei einer solchen Lösung mitmachen würde. Zwar hat er Erhürman zähneknirschend gratuliert, aber gleichzeitig angekündigt, für „die souveränen Rechte unserer zyprischen Brüder und Schwestern“ weiterkämpfen zu wollen.

Auf Zypern ist Erdoğan mit seiner autokratischen und wirtschaftlich desaströsen Politik mit der Wahl Erhürmans gescheitert. Die türkische Oppositionspartei CHP sieht im Sieg ihrer Schwesterpartei einen Vorboten für kommende Wahlen in der Türkei. „Wir teilen die Hoffnungen der zypriotischen Wähler und sind sehr zufrieden mit der Wahl Erhürmans“, sagte CHP-Parteichef Özgür Özel.

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5 Kommentare

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  • Mittlerweile geht es in deutschen Medien bei Wahlen nur noch in "schwarz/weiß', sprich "gegen EU / für die EU". "Natürlich ist "für die EU" die gute Seite und alles andere ist das "Böse". Sehr schade.

    Und ja, genauso wie im aktuellen Ukraine-Krieg, ist Griechenland und sind die griechisch-sprechenden Zyprioten nicht ganz unschuldig, warum die Türkei in Zypern einfiel - was aber nicht als Rechtfertigung angesehen werden darf.

  • Im Artikel ist von einer "Teilung Zyperns zwischen Griechen und Türken 1974" die Rede. Das erweckt den falschen Eindruck, die Griechen hätten an der Teilumng mitgewirkt. Tatsächlich haben die türkischen Streitkräfte Nordzypern 1974 besetzt. Fast 200.000 Menschen mussten fliehen. Die 1983 ausgerufene "Türkische Republik Nordzypern" wird außer von der Türkischen Republik von keinem einzigen Staat auf der Welt als Staat anerkannt, wie im Artikel zutreffend angegeben wird. Nordzypern ist widerrechtlich besetzt. Die Begriffe "besetzt" und "Besatzung" finden sich aber nicht im Artikel. Und das ist kein Einzelfall. Sowohl in der deutschen Politik als auch in der Medienöffentlichkeit wird die Besatzung so gut wie nie thematisiert, geschweige denn ein Abzug der Besatzer gefordert. Auch die EU äußert sich allenfalls zurückhaltend. Und das, obwohl es sich um EU-Gebiet handelt. Vernehmliche Kritik an "Besatzung" ist hierzulande wie in der EU anscheinend für einen anderen Staat reserviert, der kein EU-Territorium besetzt hält.

  • Die Ablehnung des Annan-Plans durch die griechische Seite ist 2004 wohl auch im Hinblick auf die EU-Mitgliedschaft gescheitert. Das ist jetzt anders. Insofern ist die Wahl Erhürmans ein Zeichen, das man nicht hoch genug einschätzen kann.

  • Falls es bald heftige Spannungen gibt, die aus fadenscheinigen Gründen entstanden sind, dann hat jemandem l das Wahlergebnis nicht gefallen...

  • Ja, das ist mal eine gute Nachricht für Zypern, aber auch für die Türkei und für Europa.



    Die Vorschläge des künftigen nordzyprischen Präsidenten Erhüman für eine zypriotische Föderation halte ich für gut und sinnvoll, zeitgemäßer und besser als die griechischen Pläne zur Wiedervereinigung, nach denen den türkischen Zyprioten lediglich einige Autonomierechte zugestanden werden sollen.



    Jetzt ist es an der Zeit, dass die griechisch-zypriotische Seite aus ihrem national-chauvinistischen Schmollwinkel herauskommt und einen Schritt auf die Gegenseite zugeht.



    Zypern muss sich weder von Athen noch von Ankara bevormunden lassen, das haben sie in Nordzyperns mit dieser Wahl bewiesen.