Präsidentschaftswahl in Taiwan: Eine klare Botschaft an Peking
Die China-kritische Präsidentin Tsai Ing-Wen gewinnt deutlich. Vor allem Jüngere haben für sie gestimmt – auch wegen der Lage in Hongkong.
Nur einen Steinwurf entfernt wartet der 31-jährige Ingenieur Willy Liu auf die erste Rede der Präsidentin, die bei der Wahl am Samstag mit rund 57 Prozent in ihre zweite Legislaturperiode gehievt wurde. „Das Ergebnis ist ein Sieg für die gesamte Republik. Wir wollen eine Person an unserer Spitze, die der Welt deutlich macht, dass wir ein eigenes Land sind – und kein Teil von China“, sagt er.
Vor dem Hauptgebäude oppositionellen Kuomintang-Partei, dessen Spitzenkandidat Han Kuo-Yu mit 38 Prozent Stimmenanteil eine klare Niederlage eingefahren hat, ist die Stimmung bedrückt. „Auch wenn ich Han unterstützt habe, kann ich die Entscheidung dennoch akzeptieren. Taiwan ist eben ein demokratisches Land“, sagt der 30-jährige Wei Shen, ein junger Mann mit langer Rocker-Mähne, Baseball-Cap und Dosenbier.
Er habe den Konservativen gewählt, weil der kein konventioneller Politiker aus dem Establishments sei, sondern ein Mann des Volkes. Wei Shen bezeichnet sich als Teil der Arbeiterklasse, der mit seinem Job an einer Supermarktkasse nur gerade so über die Runden kommt: Die Löhne in Taiwan seien niedrig, die Mieten hingegen am Steigen.
Peking Paroli bieten
Statt der wirtschaftlichen Probleme hat sich jedoch bei den Präsidentschaftswahlen die Beziehung zur Volksrepublik China die Agenda dominiert. Präsidentin Tsai steht für einen selbstbewussten Kurs, der Pekings Einschüchterungen Paroli bietet. Die Kuomintang hingegen möchte die Beziehungen mit dem großen Nachbarn verbessern – hauptsächlich der Wirtschaft wegen.
Bei früheren Wahlen hat Peking nicht selten mit militärischen oder rhetorischen Drohungen versucht, die Taiwaner einzuschüchtern. In diesem Jahr ist die Kommunistische Partei auffallend stumm. Kritiker behaupten jedoch, dass die Beeinflussung im Internet-Zeitalter lediglich subtiler abläuft.
„Falschinformationen zu lancieren ist billiger, als militärische Angriffe zu starten. Das ist eine reine Kosten-Nutzen-Rechnung“, sagt der 70-jährige Su Tzen-Ping. Der einstige Journalist sitzt in den Büroräumlichkeiten des Fact Checking Center Taiwans, eine Handvoll Mitarbeiter verfolgen an diesem Abend vor Lunchboxen und Bubble-Tea genauestens die sozialen Netzwerke. Die Aufgabe der NGO es, gegen die grassierenden Fake News anzugehen.
Seit Donnerstag kursiert die angebliche Nachricht, dass ein kürzlich in China ausgebrochenes Virus sich nun auch in Taiwan ausgebreitet habe – eine bösartige Falschmeldung, die anscheinend die Bevölkerung vom Urnengang abhalten soll. Herr Su ist sich sicher, dass Teile solcher Manipulationsversuche vom großen Nachbarstaat stammen: „China nutzt die Demokratie in Taiwan für ihre Zwecke aus, um die Meinung der Bevölkerung hier zu beeinflussen“.
Gelungen ist das offensichtlich nicht. Abseits der Resultate ist die Präsidentschaftswahl in Taiwan zu allererst ein Sieg der Demokratie: Über zwei Drittel aller Wahlberechtigten haben an diesem Samstag ihre Stimme abgegeben.
Vor der Ximen-Grundschule im Stadtzentrum Taipeis haben sich bereits am Samstagmorgen lange Warteschlangen gebildet. Für die meisten Taiwaner hält die diesjährige Wahl eine ganz besondere Bedeutung. „Wenn ich diesmal nicht wähle, kann ich in der Zukunft vielleicht überhaupt nicht mehr wählen“, sagt die 37-jährige Kauffrau Tsai Wan-Jen, die sich als Wechselwählerin beschreibt. Am meisten ist sie über den wachsenden politischen Druck aus Peking besorgt.
Der Pragmatismus der Älteren
Dennoch wollen vor allem viele ältere Taiwaner eine pragmatische Annäherung mit China. „Irgendwie müssen wir doch miteinander kooperieren“, sagt etwa der der 50-jährige Taxifahrer Chen Shih-Hong. Seitdem die linksgerichtete Präsidentin Tsai Ing-Wen im Amt ist, kämen kaum mehr Touristen aus Festlandchina nach Taipei. Für Herrn Chen bedeutet dies ein um ein Drittel geringeres Einkommen und längere Arbeitstage, um über die Runden zu kommen. Deshalb stimmt er für den Kuomintang-Kandidaten Han.
Auch dies ist ein ironischer Wink des Schicksals: In den 1940ern kämpfte die Kuomintang gegen die Rote Armee um die Vorherrschaft der Volksrepublik. Nach der schmachvollen Niederlage floh dessen General Chiang Kai-Shek nach Taiwan, wo er die als Taiwan bekannte „Republik China“ auf die Insel Taiwan transplantierte. 70 Jahre später scheinen sich die einst verfeindeten Fraktionen näher als je zuvor.
Die gesellschaftlichen Risse in Taiwan sind eine Generationenfrage: Die meisten Älteren betonen die kulturellen und geschichtlichen Gemeinsamkeiten zu China. „Wir und China sind das gleiche Volk. Wir sollten die Harmonie wahren und uns nicht gegenseitig provozieren“, sagt etwa ein älterer Herr bei der letzten Kuomintang-Wahlveranstaltung in Taipei.
Sorgenvoller Blick nach Hongkong
Für die 37-jährige Mode-Designerin Aurora Lee jedoch ist das autokratisch regierte Nachbarland reines Ausland, eine gemeinsame Verbindung spüre sie nicht. „Die blutigen Proteste in Hongkong waren für uns ein Schlüsselmoment. Wir mussten uns entscheiden, auf welcher Seite wir stehen“, sagt sie. Taiwan dürfe sich niemals in Abhängigkeit Chinas begeben, sonst würde es das das gleiche Schicksal ereilen wie die einstige britische Kolonie Hongkong.
Das glaubt auch ein komplett in schwarz vermummter Aktivist aus Hongkong, der anlässlich der Wahl nach Taipei gereist ist. „Heute Hongkong, morgen Taiwan“ steht auf dem weißen Banner, welches er am Freitagabend bei der finalen Wahlveranstaltung von Präsidentin Tsai vor sich trägt. „Wie auch immer das Ergebnis ausfällt, die Taiwaner können frei wählen, was sie wollen – im Gegensatz zu uns in Hongkong“, sagt er. Spontan bildet sich eine Menschentraube aus Passanten, die im Takt jubelnde Solidaritätschöre in den Nachthimmel Taipeis ausruft.
Doch sowohl für Hongkong als auch Taiwan werden die angespannten Beziehungen zu China weiter ungemütlich. „Ich glaube, dass der Druck aus Peking künftig stärker wird“, sagt die frisch gewählte Präsidentin Tsai Ing-Wen am Wahlabend: „Ich mahne jedoch die Regierung in Peking dazu auf, den demokratischen Willen der Taiwaner zu respektieren“.
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