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Präsident Milei feiert JubiläumEin Jahr lebt Argentinien mit dem Choleriker

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Der libertäre Präsident Argentiniens lobt in seiner TV-Ansprache seine schwarze Null. Die rasche Senkung der Inflation hatte einen zu hohen Preis.

Nur noch zuschauen? Protestmärsche gegen Milei werden weniger, weil Organisationen keine finanziellen Mittel mehr erhalten Foto: Agustin Marcarian/Reuters

I n spätestens drei Monaten ist der Choleriker wieder weg. So sahen viele das Schicksal des politischen Outsiders Javier Milei. Doch nach einem Jahr sitzt der libertäre Präsident fester auf seinem Stuhl als bei seinem Amtsantritt am 10. Dezember 2023.

„Wir haben die Feuerprobe bestanden, wir verlassen die Wüste, die Rezession ist vorbei und das Land hat endlich angefangen zu wachsen“, verkündete der 54-Jährige am Dienstagabend in seiner landesweit gesendeten Rundfunk- und Fernsehansprache.

Dabei hob er vor allem den Rückgang der Inflation und das Nulldefizit im Staatshaushalt als Erfolge seiner Wirtschafts- und Finanzpolitik hervor.

Wer den Geldhahn so brutal zudreht, den Konsum abwürgt und die Wirtschaft in die Rezession treibt, kann eine sinkende Inflationsrate nur als logische Folge, nicht aber als Erfolg ausweisen.

Schwarze Null zu einem hohen Preis

Wer alle öffentlichen Investitionsausgaben einfriert, ganze Ministerien und Behörden schließt und über 30.000 Staatsbedienstete vor die Tür setzt sowie den Rentnern eine Erhöhung ihrer unter der Armutsgrenze liegenden Mindestrenten verweigert, kann auch eine schwarze Null im Staatshaushalt nur als logische Konsequenz, nicht aber als wundersamen Erfolg verbuchen.

Dass der Anteil der Armen in seinem ersten Amtsjahr von 40 Prozent auf 52 Prozent der 46 Millionen Ar­gen­ti­nie­r*in­nen gestiegen ist, ist eine weitere logische Konsequenz. Der Erfolg von Milei liegt darin, dass er trotz dieser Kahlschlagpolitik nicht durch eine soziale Revolte aus dem Präsidentenpalast gefegt wurde.

Doch vielleicht nicht einmal das ist sein Verdienst, sondern auch nur ein Effekt des desaströsen Erbes von sechzehn Jahren kirchneristischer Regierungspolitik und vier konservativen Jahren des Ex-Präsidenten Mauricio Macri.

Eitergemisch aus Misswirtschaft und Korruption

Denn egal wo man drückt, überall fließt ein Eitergemisch aus Misswirtschaft, Korruption und Klientelismus heraus. Glaubt man den Umfragen, will die Mehrheit der Bevölkerung unter keinen Umständen ein Zurück in die Zeit vor Milei.

Und während sich die beiden politischen Lager gegenseitig die Schuld dafür geben, ist Mileis Formel ganz einfach: Alle vor mir sind schuld. Dass der Aufstand ausgeblieben ist, liegt auch daran, dass Milei den sozialen Basisorganisationen die finanzielle Grundlage entzogen hat.

War es zuvor gängige Praxis, Sozialleistungen über diese Organisationen an Bedürftige zu verteilen, geschieht dies nun direkt mit Geldkarten für Nahrungsmittel- und Kinderbeihilfen.

Kein Druckmittel mehr für Protestmärsche

Die Basisorganisationen haben nicht mehr das Druckmittel, nur jenen staatliche Hilfe zukommen zu lassen, die auch zu den Protestmärschen gehen.

Waren große Aufmärsche und Blockaden vor Milei die Regel, sind sie in Mileis erstem Amtsjahr zur Ausnahme geworden. Wer dafür das verschärfte Demonstrationsrecht verantwortlich macht, liegt falsch.

Große Erwartungen setzt Milei in das Rigi-System zur Förderung von Großinvestitionen mit einem Volumen von mindestens 200 Millionen Dollar, das mit seiner Laufzeit von 30 Jahren potenziellen Investoren eine Fülle von Steuer- und Devisenvorteilen einräumt.

Hemmungslose Ausbeutung entlang der Anden geplant

Woher der Präsident die Zuversicht nimmt, dass das für große Bergbau- und Ölkonzern maßgeschneiderte System Argentinien nicht auf Jahrzehnte hinaus zum Rohstofflieferanten macht, bleibt sein Geheimnis.

Was der hemmungslosen Ausbeutung von Kupfer, Gold und Silber entlang der Anden noch im Weg steht, ist das Gletscherschutzgesetz, für Milei jedoch ein Kostenfaktor, der noch zu beseitigen ist.

Der Wahlkampf für Teilwahlen ist eröffnet

Spätestens mit seiner gestrigen Rede hat Milei den Wahlkampf für die im kommenden Jahr anstehenden Teilwahlen zum Kongress eröffnet. Mit 10 Prozent der Sitze in der Abgeordnetenkammer und 15 Prozent im Senat ist Milei in einer stark ausbaubedürftigen Minderheitsposition.

Seine Schwester Karina Milei arbeitet eifrig am Aufbau einer landesweiten Parteistruktur. Mit dem Versprechen auf glückliche Zeiten und mit der Ankündigung von noch viel tieferen staatlichen Einschnitten geht Milei auf Stimmenfang. Das Erste darf bezweifelt werden, das Zweite nicht.

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Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
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7 Kommentare

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  • Herr Vogt ist zweifellos sehr sachlich. Angesichts der Tatsache, dass er seit fast 20 Jahren in Buenos Aires lebt, hätte ich jedoch etwas mehr Informationen und Tiefgang erwartet. Aus Bolivien betrachten wir die „Option Milei“ mit großem Interesse. Meiner Meinung nach schießt sein Fokus auf vollständige Einsparungen (auch bei sinnvollen Fördergeldern) und Libertarismus (unter Missachtung ökologischer Aspekte) weit über das Ziel hinaus.

  • "Die Basisorganisationen haben nicht mehr das Druckmittel, nur jenen staatliche Hilfe zukommen zu lassen, die auch zu den Protestmärschen gehen."



    Das wiederum kann man nur als positiv betrachten. Es kann ja wohl nicht sein, dass staatliche Hilfen von der Teilnahme an Protestmärschen abhängig sind.

  • Die ersten Erfolge Mileis sind unbestritten und haben sehr viele überrascht. Kompliment, dass die TAZ eine sachliche Analyse bemüht.



    Es bleiben die Fragen der weiteren Entwicklung und der Nachhaltig.

  • Milei sitzt fester im Sattel als jemals zuvor. Alle Umfragen im Lande deuten darauf hin. Schön, dass Herr Vogt auch beschreibt, dass die 16 Jahre vor Milei eine einzige Korruptions- und Allimentierungskatastrophe waren. Ob man da was für andere Länder, gar für uns daraus lernen kann? Was nicht sei darf, dass nicht sein kann. Alle machen alles richtig, von den Demokraten in US bis SPD und Grün hierzulande. Isklar.

  • Es gibt da immer das Problem, dass man bei solchen Entwicklungen leicht (aus sicher guten Gründen) den Teufel an die Wand malt, und wenn es dann doch nicht ganz so schlimm kommt, ist man selber derjenige, der blöd dasteht und die "andere Seite" lächelt nur.

    Das ist ein ewiges Rückzugsgefecht, damit kann man nicht gewinnen. Aber eine Lösung habe ich natürlich auch nicht.

  • Da sprechen manche Kommentatoren von Nomen est Omen, und ich werde in diesem Artikel trotzdem bestätigt.

    Es ist einfach eine Katastrophe, die in Argentinien zugerollt ist und nicht aufhört, und kaum einer hat die Mittel, dagegen etwas zu unternehmen. Raubbau ohne Limit, sowie Armut um die Reichen zu bedienen.

    Leider wird die Kettensägenpolitik weitere Nachahmer finden. Auch in Europa.

  • Ich denke, Milei ist auf dem richtigen Weg. Nach einem Jahr können natürlich noch nicht alle Folgen von über 70 Jahren Mißwirtschaft beseitigt sein, geben wir ihm noch etwas Zeit.



    Schauen wir auf den gegenteiligen Weg: Gleich, ob dieser von Maduro oder Kirchner oder anderen "Wohltätern" beschritten wurde, so führte dieser doch stets ins Elend.