Postkolonialismusforscherin über Wissen: „Weißsein wird als Norm gesehen“
Die afroportugiesische Forscherin Grada Kilomba über Marginalisierte in dominanten Räumen, Wissen im Postkolonialismus und weiße Professoren als Norm.
taz: Grada Kilomba, Sie touren momentan mit Ihrer Perfomance „Decolonizing Knowledge“ um die Welt. Um was genau geht es Ihnen damit?
Grada Kilomba: Ich zeige eine Collage meiner literarischen und visuellen Arbeiten und hinterfrage die andauernde Kolonialität, in der wir leben. Ich erkunde Fragen wie: Was wird als Wissen anerkannt? Wessen Wissen ist das? Und wer darf überhaupt dieses Wissen produzieren? Ich möchte einen hybriden Raum eröffnen, in dem Grenzen zwischen akademischer und künstlerischer Sprache verschwimmen, um die Strukturen von Wissen und Macht zu dekolonisieren.
Das klingt erst einmal etwas abstrakt. Was soll das denn sein, Wissen zu dekolonisieren?
Damit sollen die Strukturen von Unterdrückung aufgebrochen werden. Marginalisierte Gruppen haben immer Wissen geliefert, aber dominante Räume haben keinen Platz gemacht, zuzuhören. Man muss anfangen, Wissen subjektiver zu produzieren. Zu sagen, wer man ist, von welchem Standpunkt aus man schreibt. Das ist ein Teil des postkolonialen Diskurses.
Erreichen Sie mit Ihrer Lecture-Performance überhaupt andere Menschen als die aus der Community, die postkoloniale Ideen bereits kennt?
Es gibt ein großes Interesse und Bedürfnis, das zu machen. Und Menschen kommen auch, weil sie sich für Film interessieren, Theater oder Genderthemen. Sie sind manchmal erfolgreicher in Gemeinschaften als in diesen traditionellen klassischen Räumen. Dann sind die KuratorInnen überrascht. Auf einmal kommt ein Publikum, das sie vorher in ihrem Haus nie gesehen haben.
Also kommen die Leute doch, weil sie Sie sehen wollen. Sie sind in einigen Communitys sehr bekannt.
Grada Kilomba wurde in Lissabon geboren und lebt und arbeitet als interdisziplinäre Künstlerin seit 2015 in Berlin. Bis August 2016 tourt sie mit ihrer Lecture-Performance „Decolonizing Knowledge“ vor durch allem Europa. Ihre Lecture-Performance „Decolonizing Knowledge“ ist Teil eines größeren Projekts.
„Performing Knowledge“ erscheint im September 2016 in Buchform. 2005 war sie Mitherausgeberin von „Mythen, Masken und Subjekte“ (Unrast Verlag, Münster). Ebendort erschien auch ihre aktuelle Veröffentlichung „Plantation Memories“ (152 Seiten)
Aber es ist gut, diese Komfortzone zu verlassen und in all diesen europäischen, südamerikanischen und afrikanischen Städten meine Performance zu halten. Ich kam gerade aus São Paulo zurück, vorher war ich in Brüssel, nächste Woche fliege ich nach Accra in Ghana. Wenn ich meine Arbeiten in Häusern vorstelle, die sich normalerweise nicht mit diesen Themen beschäftigen, übertrete ich dabei Grenzen, die zuvor geschlossen waren.
Welche Grenzen meinen Sie damit?
Dinosaurier, wie ich diese großen Museen, Theater und Kunstakademien nenne, haben normalerweise eine Liste von Gästen, die sie stets interviewen und einladen. Sie sind sehr an konservativere und klassische Arbeiten oder Formate gewöhnt. Dann entdecken sie auf einmal, dass sie eine andere Welt haben können mit einem anderen Publikum und anderer Kunst. Und dann sieht man, dass man eine Grenze übertritt.
Was lernen die „Dinosaurier“ dabei?
Diese Institutionen lernen mit einem neuen Publikum auch ein neues Wissen kennen. Sie werden mit Perspektiven konfrontiert, die sie vorher nicht hatten. Und so verändert man Gesellschaft. Man besetzt und transformiert Räume, die sich nie damit auseinandersetzen mussten. Durch die Performance, weil sie mich im Programm haben.
Was geschieht mit einem Publikum, das zum ersten Mal Begriffe wie „dekolonisieren“ und „Wissensproduktion“ hört?
Es schaut zu Hause vielleicht etwas nach und denkt weiter. Und informiert sich vielleicht über Musik, Filme oder Bücher, die erwähnt wurden. Das geht zurück zur Übung, das Zuhören zu lernen. Einfach einer neuen Perspektive zuzuhören. Einem neuen Wissen. Und zu schauen, was dies mit einem macht.
Dafür, dass Ihre Themen recht hart sind, wirkt Ihre Performance freundlich und ruhig. Sie lesen Texte vor, zeigen Videos und interagieren mit dem Publikum.
Ich bin eine sanfte Person. Ich arbeite gerne mit diesem Widerspruch. Meine Arbeit ist kein Kampf, sondern mehr eine Würdigung. Ich bemühe mich nicht, gehört oder verstanden zu werden. Und die, die zuhören wollen, können das gerne tun. Ich kämpfe nicht mit dem Publikum. Oder schreie, um gehört und verstanden zu werden.
Sind Sie nicht trotzdem manchmal ungeduldig, wenn sich Ihre Ideen oder Meinungen nicht durchzusetzen scheinen?
Wir sollten sanft sein, denn wir haben diese 500-jährige Kolonialgeschichte. Kaum jemand in Deutschland weiß darüber Bescheid. Die meisten hören zum ersten Mal davon, wenn sie Mitte 20 sind. Wenn man also erst dann damit konfrontiert wurde, muss man sanft bleiben. Ich bin da nicht besorgt. Es ist ein Prozess, dem man Platz einräumen muss, damit er sich entwickeln kann.
Sie haben als Professorin an der Berliner Humboldt-Universität am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien gelehrt. Dort wird diskutiert, eine schwarze Professur einzuführen. Wofür braucht man denn unbedingt eine schwarze Professur?
Das liegt doch auf der Hand. An Institutionen wie der Universität müssen wir die äußere Gesellschaft abbilden. In ihr leben viele unterschiedliche Menschen und Gemeinschaften. Wir haben verschiedene Biografien und Perspektiven, die darin repräsentiert werden. Wenn alle ProfessorInnen weiß sind, braucht man definitiv mehr Diversität. Wir können nicht Gender-Studies unterrichten in einem Institut, an dem ausschließlich Professoren arbeiten und sagen: „Aber wir haben die Bücher gelesen und wir unterrichten Geschlechterstudien.“ So einfach geht es nicht.
Aber dann geht es doch sehr um die eigene Identität. Man muss sich doch nicht immer nur darauf konzentrieren.
Es ist aber unmöglich, es nicht zu tun. Weil Identität und der Weg, wie Identitäten in der Gesellschaft platziert sind, definiert, wer Zugang zu etwas hat. Und wer welche Fördergelder und Finanzierung bekommt. Weißsein, wie Männlichkeit, wird als Norm und Normalität gesehen. Und das definiert alles, beschreibt alle. Wenn wir mit Identitäten arbeiten, kann man dies ändern. Weil man sich selbst in seiner Arbeit positionieren muss.
Glauben Sie, dass das überhaupt zu erreichen ist? Manche Dinge brauchen mindestens eine oder zwei Generationen.
Ich weiß es nicht. Aber ich arbeite oft in London und es wird immer normaler, dass People of Color und schwarze KünstlerInnen Teil von Strukturen sind. Das ist in London schon relativ selbstverständlich. Und man besetzt Räume schon auf eine andere Art.
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