Pornografie und Künstliche Intelligenz: Digitale Sexpuppen
Generative KI erreicht die Erotikbranche. Mithilfe von Bildgeneratoren werden Pornobilder erstellt – auch mit den Köpfen von Prominenten.
Blaue Augen, schwarze Haare, charmantes Lächeln, dazu ein verführerischer Blick – Claudia ist eine Frau, von der viele Männer träumen. Im Internetforum Reddit bot sie intime Fotos von sich an – gegen Bezahlung. Doch Claudia existiert in Wirklichkeit gar nicht. Sie ist ein Fake, ein fiktives Computerwesen. Hinter dem Account „u/Cl4ud14“ stecken in Wahrheit zwei Informatikstudenten, die mithilfe einer Bild-KI eine Frau gebastelt haben. 100 Dollar sollen sie nach Recherchen des Magazins Rolling Stone mit dem Fake-Model verdient haben.
Generative KI hat die Erotikbranche erreicht. Mithilfe von Bildgeneratoren kann heute jeder seine Traumfrau designen. Augenfarbe, Haarfarbe, Hautfarbe – das lässt sich alles konfigurieren, wie ein Neuwagen im Autohaus. Doch bevor die Moralpolizei nun Betrug ruft, weil ein paar Männer für ihr Geld keine „echte“ Ware bekommen, sollte man sich ein paar grundlegende Gedanken über Wahrheit und Pornografie machen.
Schon seit einiger Zeit kursieren im Netz Deep-Fake-Pornos. So wurde beispielsweise der Kopf der Schauspielerin Emma Watson auf den Körper einer Erotikdarstellerin montiert. Auch Michelle Obama wurde bereits Opfer solcher Bildmontagen. Die Nachfrage nach Deep-Fake-Pornos ist massiv angewachsen. Die Polizei nutzt bereits seit einigen Jahren KI-generierte Kinderpornografie, um sich im Darknet Zugang zu einschlägigen Foren von Pädokriminellen zu verschaffen. Klar, moralisch ist diese Praxis völlig anders zu bewerten, aber es macht deutlich, dass auch Strafverfolgungsbehörden falsche Bilder in Umlauf bringen.
Die Imagination kehrt zurück
Der Begriff der Fake-Pornografie ist ein Pleonasmus, weil schon Pornografie an sich fake ist: Schauspieler simulieren einen Liebesakt, der einzig dazu dient, dass sich der Betrachter selbst befriedigt. Insofern müsste man fragen, ob die Männer, die auf Reddit Nacktfotos erwerben, über den Inhalt getäuscht wurden. Hatten sie erwartet, dass sich eine echte Frau für sie auszieht?
Die Käuferin einer Modezeitschrift lässt sich von der Photoshop-Technik hinters Licht führen, mit der die Gesichtszüge eines Covergirls gestrafft werden, und der Mann, der in der Telefonsex-Hotline anruft, macht sich ja auch Illusionen über die Attraktivität der Dame, die vielleicht ganz anders aussieht als in der Imagination ihres Kunden. Die Täuschung ist eingepreist, und sie stört im Grunde niemanden.
Technologien haben die Vor- und Darstellung von Sexualität verändert, und sie haben die Art und Weise verändert, wie Menschen Sex haben. Als die Fotografie um 1830 erfunden wurde, dauerte es nicht lange, bis die ersten Hardcore-Porno-Fotos unter der Ladentheke verkauft wurden. Das Internet hat die Pornografie aus der Schmuddelecke von Erotikfachgeschäften befreit und in die Wohnstuben transportiert. Wo alte Geschäftsmodelle wie Erotikzeitschriften starben, entstanden neue im Netz, zum Beispiel Webcamgirls.
Pornografie hat erotische Vorstellungskraft zerstört
Die meisten Jugendlichen haben heute schon mal Videos von Sexpraktiken wie Bukkake oder Gang Bang gesehen, bevor sie ihre eigenen sexuellen Erfahrungen gemacht haben. Man kann sagen: Pornografie hat die erotische Vorstellungskraft zerstört. Durch Bildgeneratoren als Fortsetzung der Fotografie kehrt die Imagination ironischerweise zurück. Jeder kann heute wie ein Pornofilmemacher seine sexuelle Fantasie ausleben und Regieanweisungen an fiktive Darstellerinnen und Darsteller geben. MAZ ab zum Fake-Porno!
Werden KI-Models Erotikdarstellerinnen bald ersetzen? Wenn ja – wäre das so schlimm? Einerseits liegt darin die Utopie, das ausbeuterische Geschäft des Pornobusiness auszutrocknen. Andererseits besteht die Gefahr, dass Sexarbeiterinnen ihre – durchaus wertgeschätzten – Jobs verlieren könnten. Entscheidend dafür wird sein, ob Konsumenten bereit sind, für KI-generierte Pornoinhalte zu bezahlen. Die sterilen, häufig ausdrucksleeren Fotos, die Bild-KIs bislang erzeugen, haben maximal den Reiz von Sexpuppen. Noch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin