Pop-Kultur Festival in Berlin: Pop als Work in Progress

Am Mittwoch startet die fünfte Ausgabe des Festivals „Pop-Kultur“ in Berlin. Was man dort nicht findet: Bequemes und Konventionelles.

Die Sängerin Ilgen-Nur steht mit ihrer Gitarre am Mikrofon und singt, sie hat langes braunes Haar

Die Sängerin Ilgen-Nur kann man beim Festival auch erleben. Sie heiratet sich in ihren Songs selbst Foto:

BERLIN taz | Der Elefant hat den Raum verlassen: In diesem Jahr kann man endlich über das Berliner Festival Pop-Kultur sprechen, ohne implizit die Reichweite fragwürdiger BDS-Kampagnen zu erweitern. Nachdem in den letzten Jahren antisemitisch motivierte Absagen die Wahrnehmung dominierten, kann sich das Festival in seiner fünften Ausgabe nun endlich dem widmen, was es am besten kann: eine Explosion von Lieblingsmusiken, Ungehörtem und Unerhörtem in dicht kuratierten Programmen von Diskurs und Kunst.

Ob es an der sinkenden Sexyness der BDS-Kampagne liegt oder daran, dass ihr nahestehende Künstler*innen von vornherein abgesagt haben, wird offen bleiben – tatsächlich ist die Kampagne vor allem dort erfolgreich, von wo das Festival seinen Fokus wegbewegen will: in Großbritannien und den USA, dem klassischen Terrain der Popkultur.

Die Pop-Kultur legt hingegen in diesem Jahr einen Schwerpunkt auf Pop-Positionen aus selten erschlossenen Regionen. Diversität war immer ein wichtiges Schlagwort für das Kurator*innentrio Katja Lucker, Martin Hossbach und Christian Morin. Pop von Menschen sichtbar machen, die im üblichen Business wenig Aufmerksamkeit erhalten, immer ihr Anliegen. Die Reihe Pop-Hayat wird mit Talks, Konzerten und Installationen queere Clubkultur und postmigrantische Perspektiven erschließen.

„I’ve got 99 problems but being a feminist listening to rap ain’t one“, heißt etwa die Veranstaltung mit der österreichischen Rapperin Ebow, bei „Let’s talk about gender, baby“ wird Elektronikkünstler*in Plan­ningto­rock sprechen. Und auch die Kooperation mit dem RambaZamba-Theater wird fortgeführt, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam künstlerisch tätig sind: Zusammen mit dem Berliner Künstler Jens Friebe führt die Hausband 21 Downbeat eine Pop-Version von Richard Wagners „Ring“ auf.

Diversität reicht diesmal über den engen Bereich der Identitätspolitiken hinaus

Diversität reicht diesmal über den engen Bereich der Identitätspolitiken hinaus und hinein ins Geografische. Darum gibt es kommende Woche viele Künstler*innen aus Ländern Osteuropas, der Balkanregion und Südafrika. „Man kann sich das nicht einfach vornehmen. Wir wollten da auch wirklich hin“, erklärt Kurator Martin Hossbach. Auch dort bildeten sich Netzwerkstrukturen, Festivals, die auf internationale Vernetzung abzielen.

Postmigrantische Identität

Hossbach und Morin reisten so im vergangenen Jahr etwa nach Minsk, Ljubljana, Thessaloniki und Tallinn. Hinzu kommt oft der Zufall, wie Hossbach berichtet: „In Wien erzählte mir jemand: In einer albanischen Disko spiele jemand, Dacid Go8lin, die sei toll. Und dann stand ich mitten unter Albanern und hörte albanischen Rap“ – die Künstlerin tritt jetzt bei Pop-Kultur auf.

Genau wie Alyona Alyona alias Alyona Savranenko: Die Psychologin arbeitet als Vorschullehrerin in der Ukraine – und berichtet in längst über die Grenzen der Ukraine hinaus gehypten satirischen Rapvideos voller kultureller Bezüge vom Alltag in ihrer Heimatstadt Baryschiwka. „Es geht aber auch um OsteuropäerInnen, die in Deutschland leben. Wie gehen sie mit ihrer Identität um? Was ist eigentlich das Postmigrantische?

Da beschäftigen wir uns mit dem, was dahinter liegt“, erklärt Katja Lucker. „Fragen nach der Herkunft liegen auf der Hand, sie brennen den Menschen unter den Nägeln. Diese Diskussionen werden oft populistisch geführt und führen zu Ausgrenzung. Es ist die Aufgabe von uns als Kulturschaffenden, diese Diskurse auf den Boden zu holen, sie ernsthaft zu verhandeln und zu zeigen, welche Bereicherung darin liegt“, ergänzt Christian Morin.

Vor allem in den Auftragsarbeiten ist das in diesem Jahr zu spüren. Die Hamburger Songwriterin Ilgen-Nur heiratet sich selbst. Lisa Morgenstern, Pianistin zwischen Klassik und Am­bient, setzt sich in dem gemeinsamen Werk mit dem Frauenchor Bulgarian Voices Berlin mit bulgarischer Folklore und ihrer Herkunft auseinander. Auch An­drra steht zwischen Rave und Tradition: Ihre Arbeit erzählt von der Migrationsgeschichte im und aus dem Kosovo. Aufgewachsen in Bayern, berichtet die Musikerin von ihren Großeltern und ihrer Generation, von ihren Cousins, die nicht ausreisen dürfen, und ihren Vorstellungen von Deutschland.

Popmusik für alle

Dass diese Vielstimmigkeit von drei „Kartoffeln“ kuratiert wird, reflektiert das Team. Und auch, dass das Festival vor allem ein Publikum erreicht, das im klassischen Sinn divers ist, insofern es Menschen aller Hautfarben und Geschlechtsidentitäten vereint. So überdenkt Pop-Kultur mit jeder weiteren Ausgabe, wie man Barrieren für Menschen mit Behinderungen abbaut, es aber dennoch innerhalb der Stadt nur in einer bestimmten Blase wirklich angenommen wird, meist gekoppelt an Schicht und Einkommen.

Wie erreicht man Menschen, die vor solchen Diskursen die Augen verschließen? Wie ließe sich Popmusik für Menschen öffnen, die lieber rechtspopulistischen Schlager hören oder misogynen Deutschrap? Das bleibt für das Festival Pop-Kultur ein Work in Progress. Aber nach fünf Jahren ist man voller Optimismus, dass auf vielen Ebenen an den entscheidenden Unterschieden gearbeitet wird.

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