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Polizist zum Geordnete-Rückkehr-Gesetz„Wir sind keine Abschiebepolizei“

Sven Hüber von der Gewerkschaft der Polizei hat verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber Gesetzespaket zu Migration und Asyl.

Abschiebung mit dem Flugzeug (Symbolfoto) Foto: imago images/Rene Traut
Dinah Riese
Interview von Dinah Riese

taz: Herr Hüber, bei der Gewerkschaft der Polizei finden Sie es gut, die Durchsetzung von Abschiebungen zu erleichtern. Trotzdem kritisieren Sie den Entwurf für das Geordnete-Rückkehr-Gesetz. Warum?

Sven Hüber: Wir haben zu Teilen des Gesetzentwurfs verfassungsrechtliche Bedenken. Etwa was die schleichende Ausweitung von Zuständigkeiten der Bundespolizei angeht. Denn eins muss man mal deutlich klarstellen: Wir sind nicht die Abschiebepolizei. Das ist Sache der Länder, der Ausländerbehörden und der Landespolizei. Die Bundespolizei tritt nur als Grenzbehörde in Erscheinung, so sagt es das Grundgesetz.

Und das soll sich ändern?

Offenbar soll die Bundespolizei auch für die Abholung der Abzuschiebenden zuständig gemacht werden. Das ist aus unserer Sicht mit dem Grundgesetz nicht vereinbar. Die Grenze ist nun mal nicht im Inland, sondern an einem Grenzübergang oder einem Flughafen.

Sie kritisieren auch den Plan, Leistungen für abgelehnte Asylbewerber*innen zu kürzen. Warum?

Es wird überdeutlich, dass die Verfasser des Gesetzentwurfs einen Wegekel-Effekt bezwecken. Wir sehen Kürzungen am Existenzminimum aber kritisch, zumal in einem Land, das dem Sozialstaatsgebot unterliegt.

Warum?

Was ist denn die Folge davon, wenn Sie einem Menschen das Existenzminimum verweigern? Er muss ja trotzdem existieren. Niemand kann ernsthaft ein Interesse daran haben, dass zum puren Lebensunterhalt die Diebstahldelikte, Schwarzarbeit oder Prostitution zunehmen. Dabei ist für uns wenig interessant, aus welchen Gründen man ans Existenzminimum ranwill. Jemanden in die Hungerkriminalität zu jagen, kann nicht der Weisheit letzter Schluss sein.

Im Interview: Sven Hüber

54, studierte Gesellschaftswissenschaften in Suhl und ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in der Bundespolizei. Die GdP organisiert 190.000 Polizeibeschäftigte, davon 27.000 in der Bundespolizei.

Der Entwurf beschäftigt sich auch damit, welches Strafmaß eine Abschiebung rechtfertigt. Sie fordern da mehr Fingerspitzengefühl. Können Sie das erläutern?

Bei subsidiär Geschützten etwa soll schon die bloße Annahme einer schweren Straftat zum Entzug des Schutzstatus reichen. Das heißt, da soll eine Verwaltungseinschätzung die Strafverfolgungsbehörden ersetzen – die Ausländerbehörde kann also sagen: Den schieben wir gleich ab.

Ohne dass es ein Gerichtsverfahren gab.

Richtig. Eins will ich deutlich machen: Wir stellen uns als Polizei nicht vor Straftäter, und wir sehen durchaus die Notwendigkeit, bei schweren Straftaten schneller ausländerrechtlich reagieren zu können. Es muss aber erst mal geklärt sein, dass eine Person tatsächlich ein schwerer Straftäter ist. Und diese Entscheidung trifft nicht die Ausländerbehörde und auch nicht der ermittelnde Staatsanwalt, sondern das Gericht. Der Rechtsstaat ist manchmal mühselig und dauert vielleicht auch ein bisschen und ist kostspieliger – aber das ist ein tragender Wert in diesem Land. Und den wollen wir auch hier durchgesetzt wissen.

Die Vorstellung, dass da Familien in Zellen sitzen und nebenan Straftäter sind, ist aus unserer Sicht nicht mit der Menschenwürde vereinbar

Sven Hüber, Gewerkschaft der Polizei

Dem Bundesinnenministerium zufolge scheitern Abschiebungen häufig, weil die Polizei die Abzuschiebenden nicht antrifft. Deshalb soll die Abschiebehaft ausgeweitet werden. Hilft das?

Ob so eine Überraschungs-Ingewahrsamnahme hilfreich ist, da haben wir unsere Zweifel. Zumal man gar nicht belastbar weiß, warum jemand nicht angetroffen wird. Die Kollegen fahren hin und stellen fest: Er ist nicht da. Vielleicht ist er abgetaucht, vielleicht nur im Nebenzimmer. Vielleicht ist er aber auch schon freiwillig zurückgekehrt oder in ein anderes EU-Land ausgereist. Da braucht es mehr Klarheit.

Aus Platzmangel sollen Betroffene in regulären Justizvollzugsanstalten (JVA) untergebracht werden können. Sie lehnen das ab. Warum?

JVAs sind keine Orte für Abschiebegewahrsam. Abgeschoben zu werden ist keine Straftat. Die Vorstellung, dass da Familien in Zellen sitzen und nebenan Straftäter sind, ist aus unserer Sicht nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Das wollen wir nicht.

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10 Kommentare

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  • "Was ist denn die Folge davon, wenn Sie einem Menschen das Existenzminimum verweigern? Er muss ja trotzdem existieren. Niemand kann ernsthaft ein Interesse daran haben, dass zum puren Lebensunterhalt die Diebstahldelikte, Schwarzarbeit oder Prostitution zunehmen."

    Das könnte durchaus Kalkül sein: es befördert das Bild des "kriminellen Ausländers" --> mehr politischer Nährboden für Abschieben und erhöhte Polizei-Befugnisse.

  • Das Interview setzt auf die offizielle, aus meiner Sicht für die Polizeibrille sehr fundierte und überzeugende Stellungnahme der Polizeigewerkschaft zum Gesetzentwurf auf, die man ruhig einmal lesen sollte, bevor man „hemdsärmelig“ schreibt: fluechtlingsrat-be...ploads/gdp_grg.pdf

    • @Steve Kadisha:

      Bleibt leider, zumindest für mich, hemdsärmelig, da jedenfalls für mich die entwickelte Rechtsprechung massgeblich(-er) und nicht auf eigenem Organisationshäuflein gewachsen ist. ;-)



      Ich gebe da auch nichts auf die private Meinung eines Flüchtlingsrats.

      • @Gerhard Krause:

        @Gerhard Krause



        Das Dokument im angegebenen Link ist nicht, wie Sie behaupten, „die private Meinung eines Flüchtlingsrates“, sondern die ausführliche und rechtsbegründete Stellungnahme der GdP, zu der H. das Interview gab, versehen mit der Drucksachennummer des Innenausschusses. Der Flüchtlingsrat hat das nur veröffentlicht. Sie sollten die Stellungnahme lesen und Ihre Behauptungen überdenken.

  • "JVAs sind keine Orte für Abschiebegewahrsam. Abgeschoben zu werden ist keine Straftat. Die Vorstellung, dass da Familien in Zellen sitzen und nebenan Straftäter sind, ist aus unserer Sicht nicht mit der Menschenwürde vereinbar. Das wollen wir nicht."

    Wenn man die dazugehörige Rechtsprechung kennt, u.a. EuGH, dann merkt man, was für eine hemdsärmelige Bemerkung da entäussert wird, ganz so, als sei's auf dem eigenen Haufen gewachsen.

    Wo bleibt die Forderung nach mehr Stellen, ein sinnvolles AuslR mit genaueren Bleiberegelungen, eine höhere Besoldung und Überstundenabbau. Das passt hier nun einmal genau zusammen.

    • @Gerhard Krause:

      Lesen Sie sich Ihren Text doch bitte noch mal durch und fragen Sie sich ob er verständlich ist. Ich kann ihn nicht verstehen. Was soll "hemdsärmlig" bedeuten? Kritisieren Sie ernsthaft, dass etwas Richtiges "nicht auf dem eigenen Haufen" gewachsen sei? Und vermissen Sie die Forderungen nach mehr Stellen etc. oder imaginieren Sie die nur um sie dann vorwerfen zu können?

      • @Benedikt Bräutigam:

        Ich antworte Ihnen dazu sehr gern. Die Fragen um Menschen und Migration, sowie, und eben weg vom Abstrakten hin zum Einzelfall, ob und wo man aufgrund aufenthalts-/ausländerrechtlicher Erwägung heraus überhaupt einen Menschen die Freiheit entziehen, oder eine unfreiwillige Ausreise gestalten sollte, stellen sich hier in der Aussage (der BPolGew) leider nicht.



        1. Jetzt könnte man selbstverständlich darauf abheben, dass das Interview dafür nicht da ist, ok.



        2. Jetzt könnte man selbstverständlich ebenfalls darauf abheben, dass es sich nicht um die Aufgabe der BPolGew handelt, dazu Stellung zu nehmen. Aber dann kann man auch die Klappe halten und warten und vollziehen, was der Dienstherr an (neuen) Aufgaben und Verfahren aufgibt.



        Wer sich indes bereits um die Verfassungswidrigkeit Gedanken macht, muss sich auch die bisherige Übung anschauen. Soweit er dann dennoch Fall 1. sieht, ok.



        Wer sich dann jedoch so äußert, als bedenke er, User hier im Forum haben daran angeknüpft, der macht sich bzw ist hemdsärmelig (u.a. weil die Richterschaft mal wieder schneller war).

        Nochens: Wer wirklich Ahnung von AuslR hat und es da nicht hemdsärmelig meint (zB keine Kritik gegenüber dem Dienstherren scheut), schaut sich das Gesamtbild an - an Haft ja oder nein wie und wo scheitert die Sache nicht -, wozu ebenfalls die allgemeinen und besonderen Arbeits- und Lebensbedingungen aller, also auch, soweit es jeweils zutrifft, der Migranten, Behördenmitarbeiter und des Polizeivollzugsdienstes, gehören.

  • Ich kann Herrn Hübner in allen Punkten nur zustimmen. Man löst ein „Problem“ nicht, indem man sieben neue schafft.

  • Es ist bezeichnend, wenn Polizeigewerkschaftler zu so vernünftigen Einschätzungen in der Lage sind, während Union und SPD im Schnellverfahren menschenverachtende und verfassungswidrige Gesetze verabschieden. Es ist schon eine Leistung der Groko, mit dem "Geordnete-Rückkehr-Gesetz" an mindestens vier Stellen gegen das Grundgesetz zu verstoßen, dass muss man erst mal schaffen.

  • 👌

    Guter Beitrag !..

    & Die von Herr Hübner geäußerten Punkte sind de facto nicht die einzigen Punkte im Hinblick auf den Gesetzesentwurf welche gelindegesagt Verfassungsrechtlich bedenklich - um nicht zu sagen gegen die Verfassung , Menschenrechte & Genfer Flüchtlingskonvention verstoßend - sind ...

    Nichtumsonst kritisieren EU-Menschenrechtskommissarin , Europäischer Gerichtshof & Europarat den Entwurf ...

    www.welt.de/politi...bung-entgehen.html , www.eu-info.de/dpa...ticker/295707.html , www.tagesspiegel.d...setz/24373508.html