Polizist über Hamburger Drogen-Taskforce: „Unabhängig von Hautfarbe“
Der Vizechef der Hamburger Schutzpolizei, Timo Zill, erklärt, warum er trotz andauernder Kritik die Dauerpräsenz der Polizei für ein Erfolgsmodell hält.
taz: Herr Zill, rauchen Sie zur Entspannung ab und zu mal eine Tüte?
Timo Zill: Nein.
Noch nie gekifft?
Tatsächlich noch nie.
Aber die Realität ist ja, dass in Deutschland fast neun Prozent der Erwachsenen angeben, ab und an zu kiffen. Die müssen das Gras ja irgendwo kaufen. Ist es sinnvoll, den Verkauf so stark zu verfolgen?
Der gesellschaftspolitischen Diskussion zum Thema Legalisierung möchte ich nicht vorgreifen. Die Polizei bringt mit ihren Maßnahmen und Einsätzen aktuell geltendes Recht zur Anwendung, in diesem Fall das Betäubungsmittelgesetz. Neben weichen Drogen geht es ja immer auch um die harten Drogen. Es handelt sich hierbei um ein Milliardengeschäft mit erheblichen schädlichen Auswirkungen für die Menschen weltweit.
Die „Taskforce Betäubungsmittelkriminalität“ wurde 2016 unter anderem mit dem Ziel gegründet, Belastungen für Anwohner*innen durch eine offene Drogenszene in St. Pauli zu verhindern. Allerdings empfinden viele Anwohner*innen die Taskforce als Belastung.
Es mag durchaus Menschen geben, die unsere Maßnahmen als Belastung empfinden. Ich bin mir aber sicher, dass der Großteil der Menschen sie begrüßt. Wir hatten vor 2016 viele Beschwerden von Anwohnern aus St. Pauli, z. B. von Müttern, deren Kinder auf Spielplätzen Spritzen und andere Fixerutensilien fanden. Die Taskforce wurde gerade deshalb eingerichtet, damit die Menschen, die Familien, die Kinder sicher in den Stadtteilen leben und aufwachsen können.
Was denken Sie, wie würde es dem Stadtteil St. Pauli ohne die Taskforce gehen?
Uns ist bewusst, dass man das Deal-Verhalten nicht auf Null reduzieren können wird. Würden wir aber nicht jeden Tag im Stadtteil präsent sein und gezielt gegen Drogendealer vorgehen, würde dies überregional Dealer und Drogenabhängige aus anderen Städten anziehen. Hier wäre von einer erheblichen Magnetwirkung auszugehen. Das würde mehr Menschen die Möglichkeit geben, illegalen Geschäften nachzugehen und mehr Menschen in die Abhängigkeit bringen. Ich glaube, jeder hat eine Vorstellung davon, was es bedeutet, schwerst drogenabhängig zu sein, was dies für die Betroffenen selbst, für die Familien, für das gesamte Umfeld bedeutet. Und auch für den betroffenen Stadtteil, für die Menschen auf St. Pauli.
Mit der „Magnetwirkung“ meinen Sie einen Anreiz für Geflüchtete, die ohne Arbeitserlaubnis in einer Unterkunft in der Provinz sitzen und nichts tun können als warten – und dann lieber nach St. Pauli kommen, um sich ein Taschengeld zu verdienen?
Ich denke nicht, dass die Gesellschaft es akzeptieren muss, dass Menschen, die nicht drogenabhängig sind, sich am Elend anderer illegal bereichern. Das Vergnügungsviertel St. Pauli hat natürlich seinen Reiz. Würden wir dort nicht eingreifen, würde der Drogenhandel deutlich ausgeweitet. Deswegen hatten wir vor der Einrichtung der Taskforce eine Beschwerdelage. Die ist deutlich zurückgegangen und wir bekommen viel Zuspruch für unsere Maßnahmen.
Aber noch mal zur Zielgruppe der Taskforce. Sie verfolgt primär Geflüchtete, oder?
Wir treffen unsere Maßnahmen unabhängig von Hautfarbe und Herkunft. Richtig ist aber, dass wir im Bereich St. Pauli auf der Straße häufig Drogendealer aus dem Bereich Westafrika feststellen. Wir haben in Deutschland, in Hamburg ein funktionierendes Sozialsystem, deshalb muss auch kein Mensch einer illegalen Beschäftigung nachgehen. Aufgabe der Polizei ist, genau das zu verhindern.
Halten Sie die Taskforce für erfolgreich?
50, ist stellvertretender Leiter der Schutzpolizei in Hamburg. Zuvor war er Pressesprecher der Polizei. Seit 1989 ist er im Hamburger Polizeidienst.
Sie ist ein Erfolgsmodell. Ich kenne die Kolleginnen und Kollegen, die dort arbeiten, ja zum Teil persönlich und weiß, dass es eine herausfordernde Arbeit ist, der sie professionell nachgehen. Daraus ziehen sie Motivation. Ich verstehe das ein Stückweit als gelebte Sozialarbeit.
Inwiefern?
Strafverfolgung ist das eine, aber wir halten Menschen auch davon ab, in die Drogenabhängigkeit zu geraten. Wir sorgen dafür, dass die Stadtteile lebenswert bleiben.
In welchem Szenario würden Sie sagen: „Die Taskforce ist nicht erfolgreich und wird abgeschafft“?
Wenn wir eine Entwicklung zu ausufernder Drogenkriminalität hätten, dann müssten wir unsere Konzepte überarbeiten. Dem ist aber gerade nicht so.
Wenn Leute vor Ort nicht nur in den Clubs, sondern auf der Straße konsumieren würden?
Die Taskforce ist nicht nur für St. Pauli zuständig, sondern auch im Bereich Sternschanze und rund um den Hauptbahnhof im Einsatz. Wenn wir auf der einen Seite Maßnahmen treffen, gibt es durchaus Ausweichbewegungen, insofern müssen wir diesen Raum immer ganzheitlich betrachten. Momentan liegt ein Schwerpunkt im Bereich Hauptbahnhof. Die Polizei ist hier aber nur einer von mehreren Playern, wir verfügen in Hamburg über einen breiten Strauß von Maßnahmen auch im Bereich der Straßensozialarbeit. Uns geht es nicht um Vertreibung, sondern darum, dass Menschen idealerweise gar nicht erst drogenabhängig werden.
Die Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz steigen in Hamburg seit Jahren an.
Drogenkriminalität ist ein Kontrolldelikt und es liegt in der Natur der Sache, dass dort, wo die Polizei kontrolliert, auch Straftaten vom Dunkel- ins Hellfeld geholt werden. Dadurch steigen die Zahlen. Das ist nur eine Facette. Das Ziel, das wir alle haben, ist doch viel größer und letztlich geht es doch darum, eine lebenswerte Stadt sicherzustellen. Wir wägen genau ab, wo wir unsere Schwerpunkte haben, und lassen die Stadtteile nicht alleine mit der Drogenszene. Unsere Maßnahmen erfolgen immer auf Grundlage entsprechender Lageeinschätzungen. Einen Erfolg hatten wir zum Beispiel in letzter Zeit an der Holstenstraße, wo wir die Drogenszene eingedämmt haben.
Sie wurde verdrängt.
Dem widerspreche ich. Es geht hier gar nicht um Vertreibung von einem Stadtteil in den anderen, sondern um ein ganzheitliches System. Wenn die Polizei mit der Taskforce nicht tätig werden würde, hätten wir den Magneteffekt sicher auch noch deutlich über Hamburg hinaus.
Dass Dealer in die Stadt kommen? Konsument*innen gibt es doch überall.
Wenn Sie sich dem als Großstadt nicht entgegenstellen, ziehen Sie eine Klientel aus anderen Städten heran. Daher ist es so wichtig, klar gegen die Drogenkriminalität vorzugehen. Wenn potenzielle Konsumenten oder Dealer in anderen Regionen merken, die Polizei geht in Hamburg intensiv gegen Drogenkäufe vor, machen sie den Zuzug unattraktiv. Dass wir den Anteil von Abhängigen dadurch nicht vollständig auf null bekommen, ist uns klar. Wichtig ist doch, unseren Hamburger Betroffenen bestmöglich Hilfe zu leisten. Dafür haben wir hier in Hamburg sehr gute städtische Angebote.
Sie meinen, wenn man zu viele Angebote der akzeptierenden Suchtarbeit schafft, kommen zu viele User*innen her?
Ja, ich glaube, wir haben ein sehr kluges System hier in Hamburg, dessen Ressourcen, wie auch unsere, aber endlich sind.
Der Auftrag der Taskforce lautet ja „Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Drogenkriminalität“. Geht es nur um die öffentliche Wahrnehmung, oder bekämpfen Sie tatsächlich die Drogenkriminalität?
Eine der Hauptsäulen der Drogenkriminalitätsbekämpfung ist natürlich, auch an die Hintermänner heranzukommen. Das ist das Kerngeschäft des Landeskriminalamts. Das muss man als Säule neben der Taskforce betrachten, die sich um den Frontdeal kümmert.
Die Taskforce ist nur für die ganz kleinen Fische zuständig.
Die Taskforce ist deshalb sehr präsent in den Stadtteilen, weil ihr Ziel die Frontdealer auf den Straßen sind. Das größere Ziel dahinter habe ich erläutert.
Im Juni eskalierte ein Einsatz der Taskforce in der Hafenstraße auf St. Pauli. Dutzende Polizist*innen waren im Einsatz, Scheiben gingen kaputt, zwei Polizisten wurden verletzt, eine Anwohnerin musste ins Krankenhaus. Wie kam es zu dem misslungenen Einsatz?
Der Einsatz verlief so, wie er verlaufen ist, weil Unbeteiligte den Drogendealern einen Rückzugsraum gewährt und der Polizei den Zugang versperrt haben. Das werden wir auch in Zukunft nicht akzeptieren.
Sie wollten Stärke zeigen?
Es geht nicht ums Stärke zeigen, sondern wir haben einen gesetzlichen Auftrag und dem kommen wir in verhältnismäßiger Weise nach. Rechtsfreie Räume werden wir auch zukünftig nicht dulden.
Aber die Dealer wurden ja gar nicht gefasst.
Das wissen wir heute aus der Retrospektive, ja. In der damaligen Einsatzsituation war die Festnahme der Täter aber eine realistische Option. Im Übrigen dauern die Ermittlungen in dieser Sache aber auch noch an.
Ist es wirklich die richtige Einsatztaktik, wenn Personen verletzt werden, Sachen kaputt gehen, und nichts herauskommt?
Einsatzszenarien entstehen immer aus der Situation heraus und Einsätze können durchaus auch mal schwierig werden. Ob in der Folge Täter gefasst werden konnten oder nicht, ist erst mal nicht der Ansatz. Es geht hier um die Um- und Durchsetzung unseres gesetzlichen Auftrags. Und wenn wir wahrnehmen, dass es Ausweich- oder Fluchttendenzen auf Hinterhöfe gibt, können und werden wir dies nicht dulden. Auch dort gilt das Recht.
Die Taskforce verbucht mittlerweile mehr als eine Million Arbeitsstunden, pro Tag werden im Schnitt 60 Polizeibeamt*innen für die Kontrollen eingesetzt. Die Bilanz ergibt rund 270.000 Personenkontrollen und 1630 Haftbefehle. Ist das effizientes Arbeiten?
Ich glaube ja, auch wenn es auf der Mikroebene nach einem hohen personellen Aufwand aussieht. Letztlich müssen Sie das Gesamtbild sehen. Das Thema Drogenkriminalität ist weltumspannend. Aufgrund der großen Verdienstmöglichkeiten können ganze Staaten ausgehebelt und viel Schaden angerichtet werden. Auf die lokale Ebene bezogen folgt daraus, dass wir das Ausufern der Drogenkriminalität nicht hinnehmen können.
Hamburg ist einer der Hauptumschlagplätze für Kokain in Europa. Von der Tonne, die im Hafen ankommt, zum kleinen Päckchen auf der Straße, gibt es viele Zwischenschritte. Warum setzen Sie mit so vielen Ressourcen ganz unten an?
Weil wir das eine tun müssen, ohne das andere zu lassen. Drogenkriminalität hat viele Facetten und neben den Drogen an sich geht es um Geldwäsche und Finanzermittlungen. Da gibt es auch viel internationale Zusammenarbeit, und auch wir sind da mit erheblichem personellen Einsatz aufgestellt. Vergessen Sie nicht, wir verzeichnen hier auch immer wieder sehr gute Erfolge. Vor Ort in den Stadtteilen ist es die Taskforce, die Tag für Tag mit großem Aufwand den Frontdeal bekämpft.
Trotzdem bleibt die Frage der begrenzten Ressourcen – warum schichten Sie nicht um und widmen sich verstärkt der Suche nach den Hintermännern, anstatt die Kleinstdealer zu verfolgen?
Es ist ja nicht so, dass wir uns nicht für die Hintermänner interessieren. Das Gegenteil ist der Fall. Zu den Strukturen hinter den Frontdealern ermitteln wir mit unseren anderen Drogendezernaten des Landeskriminalamts ja auch. Übrigens auch mit sehr, sehr großem Erfolg, denken Sie nur mal an die Vielzahl der Encrochat-Verfahren und die damit einhergehenden Verhaftungen.
Ist das nicht frustrierend für die Beamt*innen vor Ort: Hier mal ein Gramm abnehmen, da mal ein halbes, und nie ändert sich der Gesamtzustand?
Die Kolleginnen und Kollegen machen ihren Job professionell. In persönlichen Gesprächen nehme ich immer wieder wahr, dass die Kollegen eine hohe Zufriedenheit und Motivation haben, weil sie eine Sinnhaftigkeit in ihrer Tätigkeit sehen.
Sie sagen, dass Stadtteile verelenden, wenn man nicht gegen die Drogenszene vorgeht. Wie sehen Sie die Stadtteile, in denen die Taskforce operiert – St. Pauli, St. Georg, Sternschanze – hinsichtlich der Verelendung im Vergleich zur Zeit vor der Taskforce?
Wir sehen definitiv Fortschritte. Wir haben über die Sternschanze hinaus keine ausufernde Kriminalität erlebt und auf St. Pauli wurde die Kriminalität zurückgedrängt. Wir dürfen aber nicht nachlassen, sonst würden die Erfolge wieder verloren gehen.
Das heißt, die Taskforce wird niemals aufgelöst werden?
Für die Polizei wird die Drogenbekämpfung wohl immer ein Aufgabenfeld bleiben. Zum jetzigen Zeitpunkt brauchen wir sie. Aber natürlich ist dies vom gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Drogen abhängig.
Das Verwaltungsgericht hat 2020 einem Schwarzen Anwohner St. Paulis Recht gegeben, der sich über Racial Profiling beklagt hatte. Die Polizei hat die Rechtswidrigkeit in einem Fall anerkannt. Welche Konsequenzen folgten daraus?
Wir haben den höchsten Anspruch an uns selbst, dass unsere Maßnahmen rechtsstaatlich sind, beanstandungsfrei und überprüfbar. In dem von Ihnen genannten Fall ging es im Übrigen auch nicht um die Anerkennung von Racial Profiling. Wir haben aber in der Folge unsere Verfahren angepasst.
Einige Schwarze Menschen sagen: St. Pauli ist kein sicherer Ort für uns, weil wir ständig kontrolliert werden. Welche Maßnahmen treffen Sie, um zu verhindern, dass St. Pauli eine No-Go-Area für Schwarze Menschen wird?
Indem wir einzig und allein auf das Verhalten abstellen. Uns interessiert nicht die Hautfarbe, nicht die Nationalität. Die Kollegen schauen nur: Gibt es auffälliges Verhalten und eine Verdachtssituation? Kommt es in einem Einzelfall zu einer falschen Entscheidung, sind unsere Maßnahmen gerichtlich überprüfbar.
Inwiefern setzt sich die Taskforce eigentlich damit auseinander, dass ihre Zielgruppe relativ homogen ist: junge, geflüchtete, Schwarze Männer?
Natürlich haben wir das im Blick, aber dessen ungeachtet: Weder die Hautfarbe noch das Geschlecht oder die Herkunft sind für uns maßgeblich. Es geht jeweils ausschließlich um das Verhalten, das zu einem Einschreiten führt.
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