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Polizeieinsatz gegen HDP in der Türkei„Politische Lynchjustiz“

Die türkische Polizei hat Oppositionspolitiker der prokurdischen HDP festgenommen. In Diyarbakir kam es zu einer Detonation, mehrere Menschen starben.

Polizeieinsatz vor dem HDP-Büro in Ankara Foto: ap

Istanbul/Berlin dpa/afp/ap/rtr | Bei nächtlichen Razzien hat die türkische Polizei mindestens elf Abgeordnete der pro-kurdischen HDP festgenommen, darunter die beiden Vorsitzenden der Oppositionspartei. Die Staatsanwaltschaft habe die Festnahme von insgesamt 15 HDP-Abgeordneten angeordnet, die Vorladungen nicht gefolgt seien, teilte die Regierung mit.

Auf Betreiben von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan war im Mai die Immunität zahlreicher Abgeordneter aufgehoben worden. Die auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte Maßnahme richtete sich vor allem gegen die HDP: 55 der 59 HDP-Abgeordneten verloren meist wegen Terrorvorwürfen ihre Immunität. Sie weigerten sich aber, gerichtlichen Vorladungen Folge zu leisten. Erdogan beschuldigt die zweigrößte Oppositionspartei im Parlament, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein.

Die HDP sprach am Freitag von „politischer Lynchjustiz“ und rief zu Protesten auf. Nach den Festnahmen kam es in der Kurdenmetropole Diyarbakir zu einem tödlichen Anschlag.

In der Nähe des Polizeihauptquartiers in Diyarbakir wurden am Freitag nach Angaben von Ministerpräsident Binali Yildirim mindestens acht Menschen getötet und bis zu 100 weitere verletzt. Zu dem Anschlag bekannte sich nach Angaben des örtlichen Gouverneursbüros die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK. Wie die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, wurde bei dem Anschlag ein mit Sprengstoff beladener Minibus eingesetzt. Unter den Toten seien zwei Polizeibeamte und fünf Zivilisten, gab Yildirim bekannt.

Die Behörden verhängten eine Nachrichtensperre über den Anschlag. Anwohner sagten, die schwere Explosion sei in der ganzen Stadt zu hören gewesen.

Festnahmen als rechtskonform bezeichnet

Ministerpräsident Yildirim bezeichnete die Festnahmen als „rechtskonforme Prozedur“. Vielmehr missachteten die betroffenen Parlamentarier die „Hoheit des Rechts“, sagte Yildirim am Freitag vor Journalisten in Istanbul. Es handele sich um diejenigen, die „den Terror fördern, den Terror ermutigen und den Terror logistisch unterstützen“. Die Abgeordneten seien in Gewahrsam genommen worden, weil sie zuvor Vorladungen der Staatsanwaltschaft ignoriert hätten.

Auch Justizminister Bekir Bozdag sagte, die Festnahmen von Abgeordneten seien rechtskonform gewesen. Weder Kanzlerin Merkel noch EU-Kommissare hätten das Recht, der Türkei „Lehren zu erteilen“, betonte er. „Sie müssen sehen und verstehen, dass die türkische Justiz genauso neutral und unabhängig ist wie die deutsche.“

Bozdag griff zugleich Deutschland scharf an. „Rechtsstaat und Freiheiten gibt es nur für Deutsche“, sagte der Minister. „Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben Sie überhaupt keine Rechte.“

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) bestellte den türkischen Geschäftsträger ein. Das Gespräch solle noch am Freitag stattfinden, hieß es aus dem Auswärtigen Amt. „Die nächtlichen Festnahmen von Politikern und Abgeordneten der kurdischen Partei HDP sind aus Sicht des Außenministers eine weitere drastische Verschärfung der Lage“, hieß es zur Begründung. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini äußerte Bedenken wegen der Festnahme der Politiker. Sie erklärte über Twitter, dass sie ein EU-Botschafter-Treffen in Ankara einberufen habe.

Die Grünen rufen indes zu scharfen Reaktionen auf. Nötig seien jetzt starke gemeinsame Signale, die in Ankara auch verstanden werden würden, sagte Parteichef Cem Özdemir am Freitag in Berlin. „Ich schlage vor, dass alle demokratischen Parteien, die im Bundestag vertreten sind, gemeinsam agieren.“

Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale verhindert

Die Polizei hatte wenige Stunden zuvor elf HDP-Abgeordnete festgenommen, darunter die Parteichefs Selahattin Demirtas und Figen Yüksekdag. Demirtas wurde laut Anadolu in seiner Wohnung in Diyarbakir festgenommen, Yüksekdag in Ankara. Auch Fraktionschef Idris Baluken wurde in Gewahrsam genommen. Der Sender NTV meldete am Freitag die Festnahme eines zwölften Abgeordneten.

Eine Pressekonferenz in der HDP-Parteizentrale in Ankara verhinderte die Polizei. Diese lasse Journalisten auch mit dem Presseausweis der Regierung nicht durch die Absperrungen an der Zentrale, berichteten mehrere Reporter vor Ort. In den Kurdengebieten in der Südosttürkei und in anderen Regionen sperrten die Behörden in der Nacht den Zugang zu Teilen des Internets. In der Millionenmetropole Istanbul war zeitweise das mobile Internet per Handy nicht zu erreichen.

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8 Kommentare

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  • Es ist kaum zu glauben, wie wenig unsere Regierung gegen das treiben von Erdogan unternimmt! Immerhin leben in Deutschland 3 Millionen Türken, die wie ich glaube, auch nicht mit dem Handeln von Erdogan einverstanden sind. Spätestens nach dem die gesamte freie Presse ausgeschaltet wurde, werden die türkischen Mitbürger hellhörig geworden sein!

    Die Türkei wollte einmal Mitglied in der EU werden und hatte dem entsprechend ihre Politik ausgerichtet. Nun vollzieht Erdogan eine so drastische Politikwende hin zur Diktatur, dass es unmöglich geworden ist die Türkei in die EU aufzunehmen!

    Warum ziert sich die EU so sehr mit Erdogan Klartext zu reden.

    Auch Deutschland handelt vollkommen unverständlich in dem sie offiziell nur ihre Empörung äußert. Die Türkei und Deutschland verbindet sehr viel, allein schon auf Grund der Tatsache, das in Deutschland viele Türken mit angehörigen in der Türkei leben. Wenn man sich diese Art Diktaturgründung ein mal ansieht, ist damit zu rechnen, dass aller nächstens ein Aufruf zu offenen Protesten an die hier lebenden Türken von Erdogan erfolgen könnte, wer dann nicht mit macht, ist durch seine Familie erpressbar.

    Was auch als besonders Gefährlich anzusehen ist, sind unsere Soldaten und unser Equipment, welches in der Türkei stationiert ist! Im Falle einer weiteren Eskalation in den Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei, ist zu erwarten, dass Erdogan nicht nur den Flüchtlingspakt aufkündigt, sondern auch die Mitgliedschaft in der EU. Er biedert sich im Moment so stark an Putin an, dass die Möglichkeit besteht. Somit hätte Erdogan unsere Einheit in Incirlik als Druckmittel, um gegen Deutschland zu agieren.

     

    Bundesregierung unternehmt etwas mit mehr Wirkung als schnöde Rhetorik!!!

  • Das wird immer weiter gehen, bis die Rest-Freiheit in der Türkei verschwunden ist......

  • "Die Grünen rufen indes zu scharfen Reaktionen auf."

     

    Lichterkette?

    • @Wurstprofessor:

      Die EU sollte einen Wirtschaftsboykott verfügen. Flüchtlingsfrage hin oder her.

    • @Wurstprofessor:

      Lichterkette vielleicht nicht - aber man könnte die Deutsch-Türken die hier Erdogan wählen doch mal inhaltlich konfrontieren.

  • Welche starken Signale meinen denn die Grünen? Unseren Politikern sind die Hände gebunden, den Mut, dem türkischen Präsidenten energisch entgegenzutreten, fehlt den meisten.

    Die Vorgehensweise Erdogans ist aus seiner Sicht und der AKP folgerichtig. Dahinter steht die Mehrheit der türkischen Bevölkerung, wohl auch die der in Deutschland lebenden Türken. Auch das ist Demokratie, nur eine andere Spielart und aus türkischer Sicht verständlich.

    • @Hans-Georg Breuer:

      ..aus türkischer ! Bedeutet aber nicht aus ethischer Sicht. Demokratie ist für sich und ethisch gesehen noch gar nichts. Heißt einfach Macht der Mehrheit. Mehrheiten können so grausam sein. Die Demokratie plus eine Verfassung plus einwandfreie Gewaltenteilung, die so etwas wie gerade in Türkei zu verhindern in der Lage ist, ist ein Verständnis im besten Sinne wert. Für mich ist Lage in der Türkei eine Entfesslung der nackten Demokratie, wie es sie nicht geben darf, Punkt !

    • @Hans-Georg Breuer:

      Nun, ob die Mehrheit der Bevölkerung auch unter rechtsstaatlichen Bedingungen hinter Erdogan stehen würde ist für mich sehr fraglich. Eines vergessen wir immer, bzw. wird es aus unerfindlichen Gründen nirgendwo definiert. Staaten wie die TR oder RU (sicher sind da noch viel mehr!) in denen scheinbar die Bevölkerung hinter der Reg. steht, verfügen i.d.R. über keine freie Presse, die Menschen sind tagtäglich und in jedem Lebensbereich der pol. Propaganda ausgesetzt, ein ständiger Brain Wash, mit dem die Bürger gegen andersdenkende "Regierungsfeinde" und angebliche Terroristen aufgehetzt werden. Oftmals agieren auch SA ähnliche Schlägertrupps um Kritiker einzuschüchtern, zu verletzten, oder z.B. allzu kritische Journalisten gleich zu ermorden. Ohne massive Einflussnahme auf die Bürger sähe die Zustimmung mit Sicherheit ganz anders aus.