Deutsche Reaktion auf HDP-Festnahmen: Steinmeier bestellt Gesandten ein
Die Opposition fordert Konsequenzen. Der Außenminister verschärft seine Kritik. Die Kanzlerin bleibt „höchst alarmiert“.
„Meine Partei hat sich immer dafür eingesetzt, der Türkei den Weg nach Europa zu ebnen. Es ist jetzt an den Verantwortlichen in der Türkei, sich darüber klar zu werden, welchen Weg ihr Land gehen will und was das für die Beziehungen zur Europäischen Union bedeutet“, sagte der SPD-Politiker nach einem Gespräch mit seinem britischen Amtskollegen Boris Johnson in Berlin.
Schon am Vormittag hatte Steinmeier den Geschäftsträger der türkischen Botschaft zu einem Gespräch ins Auswärtige Amt zitiert. Nach Angaben des Ministeriums handelte es sich nicht um eine simple Einladung, sondern um eine förmliche Einbestellung – einen seltenen und scharfen Ausdruck diplomatischer Verstimmungen. Das Gespräch fand am Nachmittag statt.
Vorsichtiger als Steinmeier reagierte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) auf die Ereignisse in der Türkei. Ihr Sprecher Steffen Seibert vermied es am Freitag, der Türkei konkrete Konsequenzen anzudrohen. Er sagte lediglich: „Es bleibt dabei: Es ist höchst alarmierend, was in der Türkei geschieht.“ Die Formulierung „höchst alarmierend“ hatte Merkel bereits am Mittwoch verwendet, um gegen die Festnahme von Journalisten der oppositionellen Tageszeitung Cumhuriyet zu protestieren.
Der türkischen Regierung ging schon dieser Protest der deutschen Kanzlerin zu weit. Justizminister Bekir Bozdağsagte am Freitag, Merkel habe kein Recht, der Türkei „Lektionen zu erteilen“. Rechtsstaat und Freiheit gebe es in Deutschland schließlich nur auf dem Papier. „Wenn Sie ein Türke in Deutschland sind, haben sie überhaupt keine Rechte.“ Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte der Bundesregierung bereits am Donnerstag vorgeworfen, „den Schoß für Terroristen“ zu öffnen und Anhänger der kurdischen Arbeiterpartei PKK und der Gülen-Bewegung zu unterstützen.
Ungeachtet dessen forderte die Opposition in Deutschland am Freitag, dass die Bundesregierung mit konkreten Maßnahmen auf die Entwicklungen in der Türkei reagiert. Die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dağdelen forderte Sanktionen wie Einreiseverbote und Kontosperrungen für Erdoğanund dessen Vertraute. „Die Festnahmen sind ein klares Signal Erdoğansfür einen Bürgerkrieg in der Türkei. Alle Zugeständnisse an ihn wird er als Ermutigung verstehen“, sagte sie. Grünen-Chef Cem Özdemir stellte die Stationierung von Bundeswehrsoldaten in der Türkei infrage. „Spätestens jetzt steht dieser Bundeswehreinsatz auf dem Prüfstand“, sagte Özdemir.
Die Kritik aus der Opposition an der Türkei ist bekannt. Neu ist dagegen, dass sich am Freitag sogar Bundespräsident Joachim Gauck in die Debatte einschaltete. „Was ich derzeit in der Türkei beobachte, bestürzt mich“, sagt er dem Spiegel. Er befürchte „die endgültige Abkehr der Türkei vom Weg in Richtung Europa“. Dass sich der Präsident so explizit in einen außenpolitischen Konflikte einmischt, ist ungewöhnlich – noch ungewöhnlicher als die Einbestellung des türkischen Gesandten ins Auswärtige Amt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Paragraf 218 im Rechtsausschuss
CDU gegen Selbstbestimmung von Frauen
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
FDP stellt Wahlkampf Kampagne vor
Lindner ist das Gesicht des fulminanten Scheiterns
Wahlkampf-Kampagne der FDP
Liberale sind nicht zu bremsen
Sednaya Gefängnis in Syrien
Sednaya, Syriens schlimmste Folterstätte
Syrische Geflüchtete in Deutschland
Asylrecht und Ordnungsrufe