Polizei und „Clankriminalität“: Nachnamen als Verdachtsmoment
Die Berliner Polizei führt eine Datei mit über 7.200 Datensätzen zu Personen, die arabischen Großfamilien zugeordnet werden – zum Teil willkürlich.
Dabei macht die sogenannte Clankriminalität nur 0,2 Prozent der erfassten Taten in Berlin aus. Pro Jahr zählen die Sicherheitsbehörden eine niedrige dreistellige Zahl an Tatverdächtigen im Bereich der „Clans“.
Mit Blick auf diese Fakten lässt eine Zahl aufhorchen, die jetzt durch die Antwort der Senatsinnenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader bekannt wurde.
Demnach pflegt die Polizei eine Datei mit dem Titel „Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum“, in der derzeit die Daten von 7.208 Personen gespeichert sind. Wie passt diese Zahl zur deutlich geringeren Anzahl von Tatverdächtigen und zum geringen Anteil an der Gesamtkriminalität in Berlin?
„Falscher“ Name? Pech gehabt
Auf taz-Nachfrage erklärt ein Polizeisprecher, dass es bei der Datensammlung um „eine einzelfallbezogene Betrachtung der Strukturen der sogenannten Clankriminalität“ gehe. Und ergänzt dann: „In den Vorgängen, denen eine oder mehrere Personen dieser Definition zugeordnet sind, können auch weitere Personen erfasst werden, die nicht als Akteure der Clankriminalität gelten.“
Deutlicher formuliert: Auch Menschen, die nicht kriminell aufgefallen sind, landen in dieser Datei. Etwa weil sie mit Verdächtigen verwandt sind oder einfach nur ähnliche Nachnamen tragen: Remmo, Abou-Chaker, Al-Zein.
Wie die Aufnahme in die Datei konkret abläuft, bleibt offen, weil die Daten selbst nicht einsehbar sind. Dazu kommt, dass von Gerichten freigesprochene Verdächtige weiter in der Datei geführt werden, weil ein Abgleich mit Gerichtsurteilen nicht stattfindet.
Hier spielt der Datenschutz also eine wesentliche Rolle. Darüber wacht wiederum Berlins Datenschutzbeauftragte Meike Kamp. Ihre Behörde hat sich die Einträge zur „Clankriminalität“ in Poliks, dem Polizeilichen Landessystem zur Information, Kommunikation und Sachbearbeitung, angeschaut und sieht in der Sammelpraxis der Polizei dort grundsätzlich kein Problem, sie habe Stichproben untersucht und dabei keine Auffälligkeiten gefunden.
Bei der Datei „Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum“ sei eine Einzelfallprüfung nötig. „Diese ist bislang für diese konkrete Datei nicht erfolgt“, teilt Kamps Sprecher mit. Und weiter: „Wir haben angeregt, dass die Polizei im Austausch mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft kontinuierlich die Erforderlichkeit spezifischer Merkmale für die Ermittlungsarbeit und Gefahrenabwehr überprüfen sollte.“ Ein datenschutzrechtliches Donnerwetter klingt anders.
Spiegel einer entgleisten Debatte
Niklas Schrader, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, sieht bei der Datensammlung zu „Gruppierungen aus dem arabischen Sprachraum“ ein grundsätzliches Problem. Die Datei sei ein Spiegel einer entgleisten Debatte. „Eine Vielzahl von Menschen gerät in den polizeilichen Fokus, weil sie, auf welcher Grundlage auch immer, Großfamilien zugeordnet werden“, sagt Schrader.
Das sei nicht nur eine diskriminierende Praxis. „Es bringt auch aus kriminalistischer Sicht nichts, den Heuhaufen größer zu machen.“ Es sei legitim, ermittlungsrelevante Datensätze zu speichern, so der Linken-Politiker. Alle anderen müssten aber gelöscht werden.
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