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Polizei am HauptbahnhofHamburg räumt für die EM auf

So­zi­al­ar­bei­te­r*innen beobachten, dass Obdachlose mit Platzverweisen verdrängt werden. Jetzt will die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen.

Schlafende Menschen rund um den Hamburger Hauptbahnhof sind zwar nicht gefährlich, werden aber trotzdem oft des Platzes verwiesen Foto: Jonas Walzberg/dpa

Hamburg taz | Hamburg ist Gastgeber bei der am Freitag startenden Fußballeuropameisterschaft. Fünf Spiele werden im Volksparkstadion ausgetragen und man will es in der Stadt sauber und ordentlich haben, wenn die Fans anreisen. Das Straßenmagazin Hinz & Kunzt befürchtet, dass obdach- und wohnungslose Menschen für ein „aufgeräumtes“ Stadtbild aus dem öffentlichen Raum weiter verdrängt werden.

Am Dienstag hat die Hamburger Polizei mit Spürhunden und Drohnen das Stadion durchsucht. Gefährliches haben sie nicht gefunden und darum haben sie das Stadion ­anschließend an die Organisatoren der EM übergeben, die bei dem ­Turnier für die Sicherheit verantwortlich sind. Die Polizei hingegen wird während der EM rund ums ­Stadion, in der Fanzone und in der Innenstadt im Einsatz sein.

In der Innenstadt hätten einige Stra­ßen­so­zi­al­arbeiter*innen bereits in den vergangenen Wochen beobachtet, dass die Zahl der Platzverweise stark zugenommen habe, erklärt Hinz&Kunzt-Geschäftsführer Jörn Sturm. Dagegen will die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), ein Verein, der sich mit strategischer Prozessführung für die Stärkung der Grund- und Menschenrechte in Deutschland und Europa einsetzt, nun juristisch vorgehen.

Denn: Dass alle Menschen öffentliche Räume frei nutzen dürfen, ist im Hamburgischen Wegegesetz geregelt. Jeder Mensch hat demnach das Recht, sich an öffentlichen Orten aufzuhalten – das gilt auch für obdach- und wohnungslose Menschen. Platzverweise darf die Polizei nur dann aussprechen, wenn eine Gefahr für die öffentliche Ordnung besteht.

Eine solche Gefahr läge bei einem Verstoß gegen die Rechtsordnung vor, erklärt GFF-­Juristin Mareile Dedekind. Dazu zähle beispielsweise der Konsum von Alkohol in der erst im April eingerichteten Alkoholverbotszone am Hamburger Hauptbahnhof. „Der bloße Aufenthalt obdachloser Personen am Hauptbahnhof rechtfertigt also keinen Platzverweis“, erklärt sie.

Es sei aber gängige Praxis der Polizei, ­obdach- und wohnungslose Menschen aus dem öffentlichen Raum zu verweisen, obwohl keine entsprechende Gefahr vorläge. Das berichten auch Betroffene immer wieder – sie fühlten sich dadurch gezielt kriminalisiert und stigmatisiert.

Verdrängung nimmt vor Großereignissen zu

Insbesondere in Zeiten von Groß­ereignissen – wie eben der anstehenden Europameisterschaft – könne man beobachten, dass die Stadt aufgehübscht werden solle und die Verdrängung zunehme, sagt Jörn Sturm. „Das hat man in den letzten Jahren schon öfter gesehen.“

Die Konflikte in der Hamburger Innenstadt rund um den Hauptbahnhof haben sich den vergangenen Jahren verschärft. Anfang 2023 titelte der NDR dann unter Verweis auf Zahlen aus dem Vor-Coronajahr 2019: „Hamburger Hauptbahnhof ist Deutschlands gefährlichster Bahnhof“. Der rot-grüne Senat reagierte mit verstärktem Polizeiaufgebot.

Im Sommer 2023 gründeten die Hamburger Polizei, die Bundespolizei, die DB-Sicherheit und die Hochbahnwache dann die „Allianz sicherer Hauptbahnhof“, die am Bahnhof patrouilliert. Dazu kamen zahlreiche weitere Maßnahmen wie ein Alkoholverbot, verstärkte Videoüberwachung, die ­„Sozialraumläufer“, die sich nicht als Sozialarbeiter*innen, sondern als Sicherheitsleute entpuppten, und das kürzlich beschlossene Bettelverbot.

„Weckdienst“ für wohnungslose Menschen

Bereits seit 2017 existiert der ­sogenannte „Weckdienst“ in der Hamburger Innenstadt, der in den frühen Morgenstunden obdachlose Menschen weckt und wegschickt, die in Geschäftseingängen schlafen. Betroffene berichten, dass dieser Weckdienst zurzeit wieder aktiver sei, erklärt Straßensozialarbeiter­ Julien Peters von der Caritas der taz. Nachdem die Polizei in den vergangenen anderthalb Jahren vor ­allem rund um den Hauptbahnhof aktiv gewesen sei, berichten Betroffene momentan von einer vermehrten Präsenz in der gesamten Innenstadt.

Das große Aufgebot von Polizei und Sicherheitspersonal schüchtere Betroffene mittlerweile so sehr ein, dass sie öffentliche Plätze freiwillig verließen oder gleich mieden, so Peters. Zudem erleichterten das Bettelverbot, die Alkoholverbotszone und weitere ordnungspolitische Maßnahmen das Erteilen von Platzverweisen. In der Statistik tauchen, so Peters, viele Fälle gar nicht auf, weil sich die Betroffenen freiwillig und im Zweifel unbemerkt zurückzögen, um keinen Ärger zu bekommen.

Mindestens 2.000 Menschen in Hamburg obdachlos

Auf Hamburgs Straßen leben mindestens 2.000 Menschen, die obdachlos sind. Die Dunkelziffer wird noch viel höher geschätzt. Fast 32.000 Menschen sind im April 2024 in städtischen Unterkünften untergekommen – damit liegt Hamburg über dem bundesweiten Durchschnitt. Steigende Mietpreise, Wohnungsverknappung und zunehmende Wohnungslosigkeit verschärfen die prekäre Lebenssituation von Menschen, die auf der Straße leben. „Obdachlosigkeit ist keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, vielmehr ist sie eine Gefahr für die von ihr betroffenen Menschen“, erklärt Mareile Dedekind von der GFF.

Mithilfe strategischer Klagen möchte die Gesellschaft nun gegen die rechtswidrigen Platzverweise vorgehen und auf die Verdrängung bedürftiger Menschen aufmerksam machen. Als gemeinnütziger Verein hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, die Grund- und Menschenrechte mit juristischen Mitteln zu verteidigen.

Die strategischen Klagen will sie nutzen, um das Recht aller Menschen auf menschenwürdiges Wohnen voranzutreiben.­ Da die Polizei Platzverweise meist nur mündlich ausspreche, sei es nicht leicht, die Umstände vor Gericht anzufechten, sagt Dedekind. „Trotzdem wollen wir es versuchen, damit kein rechtsfreier Raum entsteht.“

Innenbehörde: Nicht mehr Platzverweise erteilt

Laut Stellungnahme der Innenbehörde sei die Anzahl der Platzverweise und Aufenthaltsverbote in den vergangenen drei Monaten allerdings nicht gestiegen, sondern bewege sich auf einem konstanten Niveau. Gefahren für die öffentliche Sicherheit würden aufgrund des jeweiligen Verhaltens einer Person ausgesprochen, nicht aber wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes oder ihrer Wohnsituation. Daher begründet „der alleinige Umstand, dass ein Mensch obdach- und wohnungslos ist, keine polizeiliche Maßnahme im Sinne des Gefahrenabwehrrechts“, erklärt die Innenbehörde.

Unsere Sorge ist groß, dass die extremste Form der Armut während der EM unsichtbar gemacht werden soll

Jörn Sturm, Hinz & Kunzt

Auch gegen das kürzlich beschlossene Bettelverbot in Hamburger Bahnen und Bahnhöfen möchte die Gesellschaft für Freiheitsrechte klagen, weil die rechtlichen Anhaltspunkte des Verbots nicht tragbar seien. „Betteln ist grundrechtlich geschützt und ein Verbot kann nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass Fahrgästen die Konfrontation mit prekären Lebensverhältnissen erspart werden soll.“ Auch die Hamburger Hochbahn sei als privatwirtschaftliches Unternehmen, das in staatlichen Händen liegt, verpflichtet, die Grundrechte zu beachten und daher das Betteln zu dulden.

Bahn stockt Sicherheitspersonal auf

Die Bahn hat angekündigt, während der EM 40 weitere Reinigungskräfte durch den Hamburger Hauptbahnhof zu schicken. Außerdem haben sie für die Zeit des Fußballturniers 70 zusätzliche Sicherheitskräfte eingestellt. Das könnte die Situation für die ­wohnungs- und obdachlosen Menschen verschärfen. „Zu zeigen, dass man arm und bedürftig ist, ist noch lange kein Grund, Menschen aus dem Stadtbild zu entfernen“, kritisiert “Hinz & Kunzt“-Geschäftsführer Jörn Sturm. „Unsere Sorge ist groß, dass die extremste Form der Armut während der EM unsichtbar gemacht werden soll.“

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15 Kommentare

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  • Wer Obdachlose nicht im Straßenbild sehen will muss pronto (gerne noch vor der EM) Wohnraum für Wohnungslose bereitsstellen und zwar bedingungslos. Das hat in der Corona-Pandemie funktioniert, weil es plötzlich ein staatliches Interesse daran - ausnahmsweise war die Bereitstellung von Hotel- und Hostelzimmern auch mal zum Wohle der Betroffenen. "Slums" sind nicht schön für die Bewohner*innen aber bieten wenigstens Dach über dem Kopf und eine Adresse. In Deutschland wird jede "illegale Ansiedlung" geräumt und sind sogar Zelte strikt verboten. Am Straßenrand abgestellte alte Busse als Wohnraum werden spätestens mit der Parkraumbewirtschaftung vertrieben. Geschätzt 600.000 Menschen leben ohne jedes Dach in Deutschland unter freiem Himmel. Sie könnten eine mittlere Großstadt bewohnen. Ihnen jedes selbstgebaute Dach oder Zelt zu verbieten und kein Dach zu geben ist menschenverachtend, ihnen dann auch noch vorzuwerfen, dass ihre Armut ja so offen sichtbar unerträglich und unerwünscht sei, ist dazu noch vollkommen absurd.

    • @Nina Janovich:

      „ Geschätzt 600.000 Menschen leben ohne jedes Dach in Deutschland unter freiem Himmel.“

      Verwechseln Sie hier evtl. „wohnungslos“ und „obdachlos“? Zu den Wohnungslosen zählen Menschen ohne eigenes (und wenn nur im Sinne von selbst angemietet) Dach über dem Kopf. Also „Sofaschläfer“, Bewohner von Flüchtlingsunterkünften etc.

  • Brot und Spiele,



    Aber nicht für die Ausgegrenzten



    Siehe auch



    taz.de/Paris-loest-Camps-auf/!6013341/

    • 9G
      95820 (Profil gelöscht)
      @Willi Müller alias Jupp Schmitz:

      Kein Brot, keine Spiele.



      Nur Macron. Keine Ziele.

  • Weckdienst, Bettelverbot? Die Verantwortlichen können dann auch gleich den ganz großen Schritt machen und zurück ins Mittelalter gehen. Dann könnte man den Obdachlosen das Stadtrecht entziehen und sie auf der grünen Wiese aussetzen.

    Ein derart repressives Verhalten ist ein Armutszeugnis für eine (ehemals) weltoffene Hansestadt und ein Hohn dessen wofür die Sozialdemokratie einstmals stand.

  • Wen man von Bayern nach Hamburg fährt ist das ähnlich wie von Texas nach Kalifornien. Auf einmal üeberall Obdachlose , die Stadt dreckig ohne Ende. Junkies pumpen dich an für nen Schuss. Deswegen wählen die Leute Trump.

    • @Timelot:

      Jung.“Es reicht nicht - keine Gedanken zu haben! Mann muß auch unfähig sein - sie auszusprechen!“ ©️ 🚬Kiffnase Wolfgang ick setz mir mal bei Richie Neuss in memoriam!

      Lange für Straßen&Wegerecht zuständiger Richter a.D. kann nur sagen:



      Die im Beitrag skizzierten rechtlichen Ausführungen sind zutreffend!



      In die Schädel der Bullerei kriegste die halt nicht rein! Weil das höheren Orts alles gedeckt wird!



      Oil of Olaf I. van HH zu G 20 🙈🙊🙉 der Vergeßliche läßt grüßen! PolizeiPräsis werden mit genau der Ägide auf ihre Posten gehieft!

      kurz - Selbstreferenzielles - latent rechtsstaatswidriges System •

  • gut geschriebener Artikel, macht ihn trotz dem sehr einseitig.



    wie auch schon in Kommentar zu lesen, durch Wiederholung von Schlüsselwörtern wird aus möglich bedrohte öffentliche Ordnung ein Sicherheitsrisiko aus den Obdachlosen stilisiert, von dem in Hamburg niemand sprach.



    Fußball ist ein riesen Geschäft. Die Kosten Hamburgs müssen sich amortisieren und sorry, aber Obdachlose sind nicht dafür bekannt Geld in die Stadtkassen zu spülen. Also können die wenigen Menschen, in Bezug zu der Einwohnerzahl, es als Beitrag ihrerseits sehen. 4 Wochen keine Zeltlager im Park, pennen in der U-Bahnhaltestelle etc.



    Sie können sich aber mit gültigem Ticket die ganze Nacht im Bus mitnehmen lassen, beheizt und gepolstert.

  • Genau dafür wurde damals die Polizeibehörde erschaffen...

  • Und schon wieder mal:



    Wichtig ist nicht die Realität, sondern das BILD der Realität.

    • @Erfahrungssammler:

      Potemkinsche Dörfer...

  • „Obdachlosigkeit ist keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit, vielmehr ist sie eine Gefahr für die von ihr betroffenen Menschen“, erklärt Mareile Dedekind von der GFF. Recht hat sie. Aber wieso klagt die Gesellschaft für Freiheitsrechte nicht darauf, dass die Obdachlosen eine Wohnung erhalten? Obdachlosigkeit ist vom Staat nicht schicksalhaft hinzunehmen, sondern zu beseitigen.

    • @Budzylein:

      Auf welcher rechtlichen Grundlage?

      • @Moritz Pierwoss:

        Auf der Grundlage der aus Artikel 1 Abs. 1 Grundgesetz folgenden Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dazu gibt es mehrere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, z. B. das Urteil vom 09.02.2010 - 1 BvL 1/09 -, Link: www.bundesverfassu...09_1bvl000109.html



        oder den Beschluss des Gerichts vom 19.10.2022 - 1 BvL 3/21, Link: www.bundesverfassu...19_1bvl000321.html