Polizei-Falschmeldung über Türknauf: „Immenser Schaden für die Friedel“
Mitglieder des Friedel54-Kollektivs klagen wegen einer Twitter-Lüge gegen die Polizei. Ihre Anwältin will der Polizei Grenzen aufzeigen.
taz: Frau Gilsbach, während der von Protesten begleiteten Räumung des Neuköllner Kiezladens Friedelstraße 54 im Juni 2017 twitterte die Polizei von einer „Lebensgefahr für unsere Kollegen“, da der Handknauf einer Kellertür „unter Strom gesetzt“ worden sein soll. Die Meldung war falsch. Nun haben Sie für zwei Mitglieder des Friedel54-Vereins Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Was wollen Sie erreichen?
Anna Gilsbach: Unser Kernanliegen ist die Feststellung der Rechtswidrigkeit. Wir wollen, dass das Gericht sagt, dass die Polizei nicht befugt ist, auf diese Weise zu kommunizieren. Ebenso wollten wir, dass der Tweet gelöscht wird. Das hat die Polizei unmittelbar nach Einreichung der Klage getan, weswegen sie jetzt argumentiert, dass unsere Klage unzulässig sei.
Wem ist durch die Meldung Schaden entstanden?
36, ist Anwältin für Sozial- und Verwaltungsrecht in Berlin.
Es klagen ein Vereinsvorstand und der Pressesprecher des Friedel-Kollektivs. Der Tweet behauptet, dass die Tür unter Strom gesetzt wurde; verbunden mit dem Räumungsgeschehen zu dieser Zeit, und dem Hashtag #Friedel54 wird suggeriert, dass jene dafür verantwortlich seien, die den Kiezladen verteidigten. Der Schaden für das Kollektiv war immens. Ab diesem Zeitpunkt ging es in der Öffentlichkeit nicht mehr um das Projekt. Stattdessen musste sich das Kollektiv gegen den Vorwurf verteidigen, Polizisten schaden zu wollen.Das sind Grundrechtseingriffe, die nicht gerechtfertigt sind. Einerseits ist das ein Eingriff in das allgemeines Persönlichkeitsrecht: Die Friedel-Verteidiger und ihr Anliegen wurden diskreditiert. Andererseits ist es ein Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Mögliche Teilnehmer der Proteste wurden abgeschreckt.
Obwohl die Polizei etwa eine Stunde nach dem Tweet wusste, dass ihre Aussage nicht stimmte, korrigierte sie die Meldung erst am nächsten Tag.
Richtig, und das reicht nicht, um die Verletzung ungeschehen zu machen oder auszugleichen. Der zeitliche Abstand war zu groß, um an dem vermittelten Bild noch etwas zu verändern. Es wurde weder eindeutig gesagt, dass niemand etwas unter Strom gesetzt hatte, noch ein Bezug zum Ursprungstweet hergestellt. Es war salopp informiert und für die eigentlichen Hintergründe musste man noch ein Dokument anklicken. Demzufolge fand diese Richtigstellung auch viel weniger Verbreitung als der Tweet zuvor.
Diverse Medien übernahmen den Tweet der Polizei ungeprüft und strickten damit ihre Sensationsstorys. Ist das von der Polizei so intendiert?
Die Polizei hat ein eigenes Social Media Team, da sitzen geschulte Leute. Die wissen, welche Wirkung sie erzielen und denen musste bewusst sein, dass das eine brisante Meldung ist. Das war ein gefundenes Fressen für klassische Medien, Boulevardmedien und vor allem den ganzen rechten Bodensatz in den sozialen Medien. Die Bild sprach von einem „Mordversuch“, auch AfDler griffen es auf. Während die Polizei anderen Falschmeldungen sofort widersprach, ließ sie dies bis zum Folgetag unkommentiert geschehen.
Die Polizei versucht mit ihren Tweets in Echtzeit auf die öffentliche Meinungsbildung einzuwirken. Darf Sie das?
Die Polizei ist der Staat und ist nicht dazu aufgerufen, sich an öffentlicher Meinungsbildung zu beteiligen. Sie darf sachlich und neutral informieren, Tatsachen müssen zutreffend wiedergegeben werden, Werturteile sind ihr nur sehr, sehr begrenzt erlaubt. Nichts davon ist hier passiert.
Gab es schon einmal den Versuch, die Rechtswidrigkeit einer Polizei-Kommunikation auf Twitter feststellen zu lassen?
Es gab z.B. eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen. Da hat die Polizei Fotos bei einer Versammlung gemacht und für Social Media genutzt. Die identifizierbaren Personen hatten kein Problem, ihre Klagebefugnis zu belegen. Das ist in vielen anderen Fällen viel schwieriger und auch bei uns jetzt der Streitfall. Die Polizei argumentiert, dass die Kläger nicht identifizierbar und demnach nicht direkt betroffen seien.
Könnte ein Urteil Auswirkungen auf die zukünftigen Twitter-Aktivitäten der Polizei haben?
Das will ich doch hoffen. Als Anwältin will ich die Rechtsprechung mit formen, und zwar eine, die der Polizei Grenzen aufzeigt.
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