Politologin über Bildungskürzungen: „Ein gefährliches Zeichen“
Die Ampel will 20 Millionen Euro für politische Bildung streichen. Politologin Sabine Achour warnt davor, gerade jetzt sei das ein falsches Zeichen.
taz: Frau Achour, die Bundesregierung plant, der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) im kommenden Jahr 20 Millionen Euro zu streichen – ein Fünftel des Budgets. Angenommen, der Bundestag stimmt zu: Was heißt das für die politische Bildungsarbeit im Land?
Sabine Achour: Das wäre auf zwei Ebenen katastrophal. Zum einen ist es ein gefährliches Zeichen: In Zeiten, in denen die Brandmauer zur AfD wackelt, an der politischen Bildung zu sparen, ist politisch nicht nachvollziehbar. Es kommt dann die Botschaft an: So schlimm ist die Entwicklung mit der AfD doch gar nicht. Zum anderen ist die Kürzung natürlich für die Träger höchst problematisch. Zwar sollen keine laufenden Projekte gestrichen werden – dafür aber die Gelder für akute Bedarfe. Das schränkt den Handlungsspielraum sehr ein.
ist Professorin für Politikdidaktik und Politische Bildung am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. Seit 2012 ist sie Vorsitzende des Landesverbandes Berlin der Deutschen Vereinigung für politische Bildung (DVPB).
Viele Bildungsträger beklagen schon länger, dass sie immer nur für ein paar Jahre projektbezogen finanziert werden. Wie sehr krankt die politische Bildung daran?
Die Art, wie politische Bildung gefördert wird, ist nicht nachhaltig. Es fließen viele Ressourcen in die permanente Antragstellung statt in die Bildungsarbeit. Bei vielen Trägern ist der Großteil der Stellen befristet. Das schafft nicht nur eine große Abhängigkeit, sondern ist im diametralen Widerspruch zur Professionalität in der außerschulischen Bildungsarbeit. Denn die hat viel mit Vertrauens- und Beziehungsarbeit zu tun, welche unter diesen Bedingungen aber oft nicht gewährleistet werden kann. Dabei sehen wir, dass gerade im ländlichen Raum rechtsextreme Gruppen diese Vertrauens- und Beziehungsarbeit sehr erfolgreich leisten.
Das zeigt sich auch an rechtsextremen Vorfällen an Schulen wie zuletzt in Brandenburg. Wie viel hat das mit fehlender Demokratiebildung an Schulen zu tun?
Das sind natürlich keine neuen Phänomene. Neu ist, dass sich Betroffene damit an die Öffentlichkeit wenden wie zuletzt die beiden Lehrkräfte in Burg im Spreewald, die in einem Brandbrief auf rechtsextreme Vorfälle an ihrer Schule aufmerksam machten und mittlerweile wegen Anfeindungen die Schule verlassen haben. Es ist fatal, dass Staat und Gesellschaft diese beiden Lehrkräfte nicht so schützen, dass sie ihre demokratische Arbeit machen können. Das Beispiel zeigt aber auch, dass nicht nur Schüler:innen demokratische Bildung brauchen, sondern auch die Lehrkräfte und die Schulleitungen. Hier zeigt sich, dass wir ein Gesamtkonzept für politische Bildung an Schulen brauchen, das über das reine Schulfach hinausgeht.
Eine jährliche Untersuchung der Universität Bielefeld zeigt, dass die meisten Bundesländer der politischen Bildung an ihren Schulen auch heute nur maximal 3 Prozent der Unterrichtszeit widmen.
Die Untersuchung spiegelt wider, dass die Bedeutung politischer Bildung in der Bildungspolitik nicht besonders groß ist. Vielfach sollen Themen wie Demokratie, Rassismus, Diversität außerhalb des eigentlichen Unterrichts behandelt werden. In Bayern beispielsweise gibt es politische Bildung erst spät in den höheren Klassen. Da ist der politische Sozialisationsprozess schon seit Jahren im Gange. Und selbst wenn es eine Stunde pro Woche Politik gibt, ist das für nachhaltige politische Lernprozesse zu wenig.
Einige Länder – darunter Berlin, Sachsen und NRW – haben in den vergangenen Jahren die politische Bildung an Schulen gestärkt. Wie bewerten Sie die Maßnahmen?
Das scheint erst mal positiv zu sein. Aber bei genauerer Betrachtung ist aus meiner Sicht nicht alles gelungen. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel heißt das Fach jetzt Wirtschaft/Politik. Da geht es nicht um kritische ökonomische Bildung, sondern um affirmatives Wirtschaftswissen. Und in Berlin entscheidet jede Schule selbst, wie sie die Stunden für die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer auf Politik, Erdkunde, Ethik oder Geschichte verteilt. Für jedes einzelne Fach bleibt nicht viel Zeit.
Gibt es denn überhaupt genügend Lehrkräfte, die das Fach unterrichten können?
Im Prinzip stünden genügend bereit, wenn sie denn für das Fach Politik eingestellt werden würden. Wir sehen aber, dass vor allem an nichtgymnasialen Schulformen Lehrkräfte Politik unterrichten, die etwas anderes studiert haben. Das kann dahingehend problematisch sein, wenn fachfremde Lehrkräfte im Unterricht beispielsweise mit demokratiefeindlichen oder antisemitischen Narrativen konfrontiert werden, es entweder nicht als solche erkennen oder als vermeintlich legitime Meinungen stehen lassen. Empirisch zeigt sich, dass menschen- oder demokratiefeindliche Einstellungen an nichtgymnasialen Schulformen auch eher geäußert werden. Wenn die Unterrichtsqualität nicht stimmt, ist das mit Blick auf die Lehrkräfteprofessionalität auch ein Problem der Bildungsgerechtigkeit.
Laut der früheren Bildungsministerin von Sachsen Brunhild Kurth gibt es in ostdeutschen Lehrerzimmern wegen den Indoktrinierungserfahrungen in der DDR große Vorbehalte gegen politische Bildung. Wie nehmen Sie das wahr?
Die Berufssozialisation der ehemaligen DDR wirkt sicherlich noch nach. Ich habe das in meinem eigenen Referendariat an einer Schule in Berlin-Marzahn erlebt. Die Kolleg:innen gingen davon aus, ich solle im Politikunterricht die Politik der aktuellen Regierung als die richtige unterrichten. Diese Vorstellung begegnet mir auch heute noch. Das zeigt, dass das Verständnis von politischer Bildung weit auseinandergeht, nicht nur in den neuen Bundesländern. Gegenüber Meinungskontroversität, politischen Aushandlungs- und Interessenkonflikten, die Merkmal von Demokratie sind, generell die Beschäftigung mit Politik existiert eine weit verbreitete Skepsis, nicht nur bei Lehrkräften.
Wirklich?
Ja. Das liegt natürlich auch am Fach. Politische Bildung heißt ja, den Streit um die besten Ideen abzubilden. Das Ergebnis ist nicht so klar definiert wie in Mathe oder Physik. Man muss aber auch festhalten, dass es noch nie so viel Offenheit für politische Themen an Schulen gab wie heute. Natürlich gibt es bei Rassismus in Lehrwerken oder gendersensibler Sprache im Unterricht noch viel Luft nach oben – aber heute fällt das einem Teil des Kollegiums auf. Dass eine Lehrerin aus Baden-Württemberg eine Abi-Pflichtlektüre ablehnt, weil dort das N-Wort vorkommt und eine große gesellschaftliche Debatte auslöst, ist nur eines von vielen Beispielen.
Müssten die Schulen nicht auch selbst Demokratie besser vorleben?
Definitiv. In den allermeisten Fällen entscheiden nur Erwachsene über Kinder und Jugendliche. Aber es geht auch um eine demokratische Art und Weise des Unterrichts. Eine Demokratisierung von Schule hieße: den Schülerinnen und Schülern zuhören. Von Mitbestimmung, was und wie gelernt wird, sind wir aber immer noch recht weit entfernt.
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