Politische Bildung an Schulen in Sachsen: Mit Bildung gegen rechts

In Sachsen entdeckt eine alarmierte CDU die politische Bildung und reformiert die Lehrpläne. Die Reaktionen darauf zeigen, wie nötig das war.

Eine Schülerin (Aufnahme von hinten) sitzt im Unterricht und hebt den Finger

Statt Frontalunterricht soll es mehr Rollenspiele und kontroverse Debatten geben Foto: dpa

DRESDEN taz | „Die haben lange alles Politische aus der Schule verbannen wollen“, raunt eine ältere Lehrerin bei einem Wahlforum in Meißen. „Das ist ihnen später auf die Füße gefallen!“ „Die“, das ist die sächsische Union, die in ihren 29 Jahren Herrschaft in Sachsen das Kultusministerium als einen Erbhof betrachtete und niemanden ernsthaft an ihre konservative Bildungspolitik und ihr Schulsystem heranließ. Sie betrieb im Grunde, was die AfD heute als „Entideologisierung“ der Schulen fordert, allerdings auch aus der Erfahrung der einseitigen politischen Indoktrination in der DDR gespeist.

Doch das ändert sich nun. Mit Schuljahresbeginn gelten neue Stundentafeln und Lehrpläne. Sie zeugen davon, dass Sachsen – wie andere Bundesländer auch – die politische Bildung in der Schule wiederentdeckt hat.

Seit Montag dieser Woche müssen sich Lehrer und Schüler an sächsischen Oberschulen und Gymnasien auf eine Akzentverschiebung beim Lernstoff einstellen. Das Fach „Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung“ ist mit einer Wochenstunde nun ab Klasse 7 Pflichtfach. An den Oberschulen, den sächsischen Realschulen, wurde Gemeinschaftskunde bislang erst ab Klasse 9 unterrichtet. Grünen-Bildungspolitikerin Claudia Maicher kritisiert aber, dass Oberschüler der Stufe 10 dieses Fach wieder abwählen können. „Eine auch bei uns sehr umstrittene Entscheidung“, räumt der für politische Bildung im Kultusministerium zuständige Referent Ralf Seifert gegenüber der taz ein.

Auch inhaltlich und didaktisch setzt das Kultusministerium neue Schwerpunkte. So sind Medienbildung und Sensibilisierung für nachhaltige Entwicklung explizit als Querschnittsaufgaben für alle Fächer definiert. Im Fach GRW, also Gemeinschaftskunde/Rechtserziehung/Wirtschaft, werden Gymnasiasten auf Partizipationsmöglichkeiten in der Kommune vorbereitet. Zur Didaktik gehören ferner Rollen- und Planspiele und kontroverse Debatten. Im Fach Deutsch wird journalistisches Grundwissen vermittelt.

Jeder vierte vertritt antisemitische Haltungen

„Der Umgang mit Pluralität und Digitalisierung in der Gesellschaft, die Reaktion auf klimatische Veränderungen sowie die Erschöpfung natürlicher Ressourcen sind zukunftsentscheidende Fragen“, begründet Kultusminister Christian Piwarz (CDU) die Neuausrichtung. Sie müssten deshalb im Unterricht gebührend behandelt werden.

Kehrseite der Stundentafelreform ist die Reduzierung von Unterrichtsstunden in den Fächern Mathematik, Deutsch, Musik, Sport, Biologie und den Fremdsprachen. Damit soll eine leichte Entlastung der Schüler insgesamt erreicht werden. Auf Wahlforen, die die Sächsische Landeszentrale für Politische Bildung in allen 60 Wahlkreisen veranstaltet, kritisierten Eltern bereits diesen Abbau der ohnehin schwachen musischen Bildung.

Nach langem Zaudern reagiert damit die CDU in Sachsen auf die jüngsten gesellschaftlichen Entwicklungen. Dazu musste allerdings erst entsprechender Druck entstehen. Das Umdenken machte sich im Jahr 2016 konkret bemerkbar. Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden erinnert sich an die erste Kabinettssitzung nach der Blockade eines Flüchtlingsbusses in Clausnitz im Februar jenen Jahres. Er wurde als Berater von der Staatsregierung zu dieser Sitzung eingeladen, auf der es um mögliche Antworten durch mehr politische Bildung ging. Wenig später kamen die alarmierenden Ergebnisse des ersten – auf Wunsch der SPD – erstellten Sachsen-Monitors hinzu. Die starke Spaltung bereits der 18- bis 29-Jährigen in besonders fremden- und demokratiefeindliche und besonders weltoffene Gruppen fiel auf. Jeder vierte zeigte antisemitische Haltungen.

Die damalige Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) setzte eine Expertenkommission ein, die im Sommer 2017 unter dem Titel „W wie Werte“ 31 Handlungsempfehlungen formulierte. Bereits im März 2016 hatte die Ministerin mit einem Erlass zur politischen Bildung für eine Gewichtsverschiebung gesorgt. Die Einbeziehung juristischer Kompetenz gehörte zu den Empfehlungen des neuen Wertekonzepts. Im Schuljahr 2017/18 wurden an 15 Oberschulen sogenannte Demokratiemodule erprobt.

AfD bezeichnet Antirassismus als „Indoktrination“

Bei dem Versuch, damals an einer dieser Schulen zu hospitieren, fiel auf, wie schwer sich die Oberschulen mit der neuen Vorgabe taten, Gäste aus Justiz oder Politik in den Unterricht einzuladen. Niemand äußerte offen Skepsis am Demokratiemodul, aber von Bereitwilligkeit konnte nicht gerade die Rede sein. Referent Ralf Seifert im Ministerium bestätigt diesen Eindruck, obschon nur Lehrplaninhalte vertieft und keine zusätzlichen Aufgaben übergestülpt worden seien. Offenbar empfanden Lehrer den neuen Schwerpunkt Demokratieerziehung aber so.

In Sachsen kann die Unterrichtsversorgung kaum gesichert werden, die Quote der Quereinsteiger bei neu angestellten Lehrern ist die höchste bundesweit. Speziell für Grund- und Oberschulen ist der Lehrermangel ein Problem. Ralf Seifert führt die mangelnde Bereitschaft an Schulen auch darauf zurück, dass in Sachsen seit Kurzem Lehrer verbeamtet werden, die älteren Kollegen aber keinen Anspruch darauf haben. Wahr ist aber auch, dass manche Lehrer von Demokratieerziehung wenig halten, weil es nach Staatsbürgerkunde riecht.

Ihre Ressentiments ganz offen kund tat hingegen die AfD. „Die politische Bildung hat keinerlei Mehrwert für die Berufsausbildung der Schüler“, lehnte Landesvorsitzender Jörg Urban den Ausbau der politischen Bildung ab und nahm dafür den Unterrichtsausfall und die Kürzungen in anderen Fächern zum Vorwand. Mit einem Internetlehrerpranger, von dem niemand mehr spricht, hatte die AfD im Vorjahr bereits dazu aufgerufen, ihr missliebige politische Debatten an Schulen zu denunzieren. „Das Klassenzimmer darf kein Ort der politischen Indoktrination sein“, heißt es in ihrem Wahlprogramm. Dazu zählt für die AfD: Engagement gegen Rassismus.

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