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Politisches Chaos in MadagaskarDer Präsident ist weg, das Militär übernimmt

Nach wochenlangen Protesten und einer Spaltung des Militärs verlässt Präsident Rajoelina das Land. Der meuternde Teil der Armee ergreift die Macht.

Nach landesweiten Protesten ist der madagassische Präsident Andry Rajoelin zurückgetreten, im Oktober 2025 Foto: Siphiwe Sibeko/reuters

Antananarivo/Berlin taz | Madagaskar steht am Rande des Abgrunds. Innerhalb weniger Tage ist ein Teil der Streitkräfte in den Aufstand getreten, das Militär hat sich gespalten und Präsident Andry Rajoelina hat das Land verlassen haben. Ein Militärputsch lag in der Luft – am Dienstag nachmittag verkündete der meuternde Teil der Streitkräfte die Machtübernahme.

Oberst Michael Randrianirina, dessen Armeeeinheit sich am Wochenende gegen den Präsidenten gestellt hatte, verkündete Rajoelinas Absetzung, die Suspendierung der Verfassung und aller Institutionen außer dem Parlament. Ein „Militärrat der Erneuerung“ werde zwei Jahre lang das Land regieren.

Das ist das Ergebnis von mehreren Wochen regierungsfeindlicher Proteste, angeführt von Madagaskars Jugend unter dem Banner „Gen Z“ (Generation Z), gegen die Verschlechterung der Strom- und Wasserversorgung. Rajoelinas letzte bestätigte offizielle Tätigkeit war ein Treffen mit Universitätsstudenten, denen er versicherte, dass die Regierung sich um ihre Sorgen kümmert.

Madagaskars Krise ist kein Einzelfall. In zahlreichen afrikanischen Ländern geht die wütende Jugend auf die Straße, weil ihre ökonomischen Aufstiegschancen schwinden und die grundlegendsten Dienstleistungen immer unzuverlässiger werden.

Im Hubschrauber von Frankreich „exfiltriert“

Zu Beginn dieser Woche herrschte Konfusion über Rajoelians Aufenthaltsort. Hatte er Madagaskar verlassen? Hatte er sich in der französischen Botschaft in Antananarivo verkrochen? Befand er sich an einem sicheren Ort im Norden des Landes?

Schließlich vermeldete der französische Staatsrundfunk RFI, Frankreichs Luftwaffe habe den Präsidenten „exfiltriert“. Er soll zunächst auf die zu Frankreich gehörende Insel Réunion östlich von Madagaskar gebracht worden sein.

Rajoelina hatte sich zunächst am Sonntag von einem ungenannten Ort zu Wort gemeldet und von einem „illegalen gewaltsamen Versuch der Machtergreifung“ gesprochen. Dies folgte auf den öffentlichen Auftritt einer Militäreinheit, die sich mit der Protestbewegung solidarisierte und erklärte, sie werde keine Befehle befolgen, gegen diese vorzugehen.

Madagaskars Militär war damit öffentlich gespalten. Eine Eliteeinheit steht auf der Seite der Öffentlichkeit, eine andere Fraktion auf der Seite des Präsidenten. Ein bewaffneter Machtkampf ist nicht ausgeschlossen.

Die Spannungen im Militär erschwerten auch die geplante Ausstrahlung einer Rede des Präsidenten im Staatsfernsehen am Montagabend, weil Soldaten die TV-Anstalt enterten. Rajoelina verbreitete seine Ansprache schließlich mitten in der Nacht über soziale Medien und bestätigte, er befinde sich nach einem „Mordversuch“ an einem „sicheren Ort“.

Einen Rücktritt, den viele in Madagaskar erwartet hatten, schloss der Präsident aus. „Es gibt nur eine Lösung der Probleme – nämlich, die in diesem Land geltende Verfassung zu respektieren“, sagte er und versprach unter anderem, Generatoren zu importieren, um die Stromkrise zu lösen. Am Dienstag löste er dann per Dekret das Parlament auf. Das hat nun offenbar die meutermden Militärs zum Gegenschlag motiviert.

„Nichts funktioniert“

„Das Land ist zerstört“, hatten die Meuterer am Wochenende erklärt. „Das Leben der Bevölkerung ist durcheinander, weil nichts funktioniert wegen der Wasser- und Stromsperrungen“. Sie fügten hinzu: „Wir, das Militär, tun unsere Arbeit nicht mehr. Wir sind bloß noch Stiefellecker. Wir befolgen irrationale Befehle. Lasst uns zusammenkommen – Soldaten, Polizisten, Gendarmen – und uns weigern, uns kaufen zu lassen, um auf unsere Brüder und Schwestern und die Kinder unseres Volkes zu schießen.“

Die Proteste begannen im September und Rajoelina löste die Regierung auf, aber das beruhigte die Lage nicht. Vielmehr erinnert die gespannte Situation jetzt an den Vorlauf des Militärputsches 2009, der damals den gewählten Präsidenten Marc Ravalomanana stürzte und Andry Rajoelina an der Spitze einer „Hohen Übergangsautorität“ an die Macht brachte. Er zog sich 2014 zugunsten eines gewählten Nachfolgers zurück, wurde aber 2019 selbst gewählt und 2023 wiedergewählt.

Rajoelina wurde beim Putsch 2009 kurz vor seinem 35. Geburtstag Präsident. Jetzt sorgen diejenigen, die so alt sind wie Rajoelina damals, für das mögliche Ende seiner Karriere.

Länderübergreifend weckt das Sorgen, denn seit August hält Rajoelina den rotierenden Vorsitz der Regionalorganisation des südlichen Afrika SADC (Southern African Development Community). SADC duldet eigentlich keine Militärputsche in seinen Mitgliedern, kann dagegen aber auch wenig ausrichten. Zuletzt hatte 2017 das Militär in Simbabwe den Langzeitherrscher Robert Mugabe gestürzt, auch damals unter dem Jubel einer Protestbewegung.

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