Politische und moralische Ambivalenz: Wie es sein mag, Soldat zu sein
In Tarn und mit Schild sind die Soldaten beides gleichzeitig – uniformiert und individuell. Was denken sie wohl über die aktuelle politische Situation?
I ch sitze im Zug und überall sind deutsche Soldaten. Kommt es mir so vor oder sind es mehr geworden in letzter Zeit? Im Alltag sind sie mir verborgen, bei ihren Reisen zu Kasernen erhalten Kriegsnachrichten plötzlich einen wirklichen Bezug. Frauen und Männer in Camouflage-Uniform, in grün-braun-schwarzem Flecktarn inmitten der Zugreisenden.
Es ist ein Sonntagabend. In Tarn und mit Schild sind die Soldaten beides gleichzeitig – uniformiert und individuell ausgestellt. Woher kommen die ganzen Soldaten, denke ich während der Fahrt. Hat es mit dem Ukraine-Krieg zu tun, dass ich so viele sehe?
Ich kann nicht anders, als Soldaten immer in Bezug auf die Gesellschaft zu denken. Ich sehe in ihnen ihren Auftrag samt aller politischen und moralischen Ambivalenz und Historie. Wenn ich Soldaten sehe, stelle ich mir vor, welche Haltung sie zur aktuellen politischen Situation haben.
Was sie darüber denken, womöglich Menschen zu töten, eine Waffe zu nutzen, in einem fremden Land ihren Auftrag zu erfüllen. Sie stellen die Verkörperung eines Diskurses dar, den die meisten Menschen nur aus der Distanz wahrnehmen. Wie muss es sein, ein Soldat zu sein, eine Soldatin?
Ein Krieg wirkte damals weit weg
Ich denke an einen Vortrag, den ich einmal an einem Abend an einer Bundeswehr-Universität besucht habe. Eine junge Studentin in Uniform, die mit auf dem Podium saß, erzählte mir später beim Stehempfang, dass sie als Frau in der Bundeswehr nicht anders behandelt werden wolle als Männer. Dass sie es mögen würde, dass sie in der Uniform gleich seien und dass sie auch nicht Soldatin genannt werden wolle. Die Berufsbezeichnung sei für sie Soldat. „Ich bin Soldat“, sagte sie.
Ich habe sie nicht verstanden, weil ich Autorin genannt werden möchte und nicht Autor. Aber ich habe über das Gespräch länger nachdenken müssen. Sie erzählte von einem System, an dessen Komplexität ich meine Wirklichkeit nicht gleich anlegen konnte. In meiner Generation mussten alle Jungen nach der Schule entweder zum Wehr- oder Zivildienst gehen. Die meisten in meinem Umfeld entschieden sich selbstverständlich für den Zivildienst.
Ein Krieg, der uns in Europa unmittelbar Angst machen würde, wirkte damals weit weg. Das erste Mal in einer Kaserne war ich vor ein paar Jahren, als ich anfragte, ob Studierende eines Seminars von mir dort recherchieren könnten. Die Soldatin, an die ich meine Frage richtete, schlug vor mir ihre Hacken zusammen und führte mich zu einem Vorgesetzten. Ich nahm erstaunt ihre Geste und die Codes und Regeln an diesem Ort wahr. Wenn ich Soldatinnen und Soldaten im Zug sehe und sie scheinbar nahbarer werden, entstehen in meinem Kopf unweigerlich Bilder, Meinungen, Fragen.
Später an diesem Sonntagabend im Bordbistro sitzt ein junger Soldat am Tisch im Gang nebenan. Er wirkt klein und mager. Die Uniform sitzt etwas weit an seinem Körper. Kurze Zeit später gibt er über sich Auskunft, als sich ein Mann ihm gegenüber hinsetzt. Der Soldat beginnt von seiner Fahrt zu erzählen. „Wir Soldaten fahren ja eh umsonst“, sagt er. Ohne, dass ihn der Mann fragt, beginnt er von sich zu erzählen.
„Ich wollte immer Schrauben und Wald“, sagt er. „Beides habe ich jetzt.“ Er erzählt von Übungen im Wald und wie er an Fahrzeugen arbeite, dann auch von Schießübungen, bei denen er gut getroffen habe. Ich überlege, was der Mann ihm gegenüber wohl davon hält. Der Soldat erzählt, wie lange er sich verpflichten will. Dann bekommt er einen Anruf und sagt „Schatz“ in den Apparat.
Ich denke über seinen Schatz nach, wie es wohl sein mag, einen Soldaten zum Mann zu haben, an welcher Realität man damit Anteil nimmt. Als ich das Bistro verlasse und durch das Großraumabteil gehe, sehe ich wieder Soldaten, Männer und Frauen, die meisten von ihnen sehr jung. Ich muss in ein paar Minuten aussteigen. Doch ich beschließe, beim nächsten Mal Fragen zu stellen.
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