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Politikwissenschaftlerin über Wahlen in Schweden„Abstiegsangst erfolgreich genutzt“

Wie sich die rechtspopulistischen Schwedendemokraten wählbar gemacht haben und was das Land jetzt erwartet, erklärt Jenny Jansson von der Uni Uppsala.

Rechte Unterstützer: Fans vom Parteichef der rechtsextremen Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson Foto: Francis Joseph Dean/Deanpictures
Klaudia Lagozinski
Interview von Klaudia Lagozinski

taz: Frau Jansson, die rechtspopulistischen Schwedendemokraten sind bei der Parlamentswahl mit 20,5 Prozent zweitstärkste Kraft geworden. Wie haben sie das geschafft?

Jenny Jansson: Die etablierten Parteien sind an dieser Wahl gescheitert. Den Schwedendemokraten (SD) hingegen ist es gelungen, Menschen auf dem Land zu mobilisieren. Aber auch bei Geschäftsleuten und der Arbeiterklasse konnten sie punkten, weil die sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen. Menschen auf dem Land sind nicht von der Gewaltkriminalität in den Städten betroffen, aber die Schwedendemokraten haben es geschafft, auch dort Angst zu schüren. Auch Versprechungen von Benzinpreissenkungen sorgten dafür, dass Wähler auf dem Land die Partei wählen. Die SD haben Abstiegsangst erfolgreich instrumentalisiert.

Anders als in Deutschland mit der AfD arbeiten Parteien in Schweden mit ihnen zusammen. Was sagt das über das Land aus?

In Schweden sind wir Minderheitsregierungen gewohnt. Normalerweise steht die Regierung nach 19 Tagen. Das hat meistens geklappt. Doch bei der Wahl im Jahr 2018 dauerte es 134 Tage. Das Resultat war ein Riss: Die Konservativen und Christdemokraten waren bereit, mit den SD zusammenzuarbeiten.

Wie könnte die kommende Regierung aussehen?

Ich schätze, dass die konservativen Moderaten zusammen mit den Christdemokraten an die Macht kommen werden. Diese Regierung wäre auf die Unterstützung der SD und der Liberalen angewiesen. Die beiden Parteien wollten jedoch eigentlich nicht miteinander arbeiten. Jetzt haben sich die Liberalen der Möglichkeit einer rechtskonservativen Regierung geöffnet, auch wenn nicht alle in der Partei zustimmen. Dass die Schwedendemokraten selbst in die Regierung kommen, ist unwahrscheinlich, da sie dann auch auf die Unterstützung der Liberalen angewiesen wären.

Wenn die Moderaten und Christdemokraten nun auf die Unterstützung der Schwedendemokraten angewiesen sind, wäre es dann möglich, dass die Regierung schnell wieder durch ein Misstrauensvotum gestürzt wird?

Bild: privat
Im Interview: Jenny Jansson

ist Professorin für Politikwissenschaft am Department of Government an der Universität in Uppsala. Sie absolvierte ihr Postdoc am Institut für soziale Bewegungen in Bochum.

Wir wissen nicht, wie sich die Schwedendemokraten als unterstützende Partei verhalten werden. Was klar ist, dass sie Einfluss auf Entscheidungen der Regierung haben werden, damit ein Misstrauensvotum verhindert wird. Sie könnten vor allem Entscheidungen bei Themen wie Medien und Migration beeinflussen.

Wieso ist Magdalena Andersson direkt nach der Wahl zurückgetreten, obwohl ihre Partei um 2 Prozent zugelegt hat?

Sonst hätte es ein Misstrauensvotum gegeben, das sie verloren hätte. Deswegen ist sie freiwillig zurückgetreten.

Werden die Sozialdemokraten und die konservativen Moderaterna auf entgegengesetzten Seiten bleiben?

Ich glaube nicht, dass es in Schweden eine GroKo geben wird. Auch wenn Andersson nun gesagt hat, dass sie zu einer Kooperation mit den Moderaten bereit wäre. Dann wären dennoch nicht beide Parteien in der Regierung, sondern eine würde die andere unterstützen. Jedoch haben beide Parteien Angst davor, wie die SPD in Deutschland zu werden. Die Sozialdemokraten und die Konservativen in Schweden haben ihre gesamte Parteiidentität gegeneinander aufgebaut…

…weil sie sonst die Opposition nicht hätten bilden können.

Zwischen 2014 und 2018 hatten wir eine Kooperation der liberalen Partei, der Zentrumspartei, der Konservativen und den Christdemokraten. Nach der Wahl 2018 waren zwei von ihnen mit der Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten einverstanden, während die anderen beiden sagten: Auf keinen Fall! Die Koalition war also völlig zerbrochen. Ob die konservativen Parteien tatsächlich zur Zusammenarbeit zurückkehren können? Die Zentrumspartei unterstützte ja in den vergangenen vier Jahren die Sozialdemokraten.

Ein Thema, das viele bewegte, war die Bandenkriminalität. Die Schwedendemokraten machen die Migration und die Flüchtlingskrise für das Problem verantwortlich. Man könnte das Problem aber auch im Umgang mit Armut sehen

Jenny Jansson, Politikwissenschaftlerin

Wie wirkte sich das Weltgeschehen auf diese Wahl aus?

Die Energiekrise war ein wichtiges Thema – dass Strom so teuer geworden ist. Die Nato-Frage wurde schon im Mai gelöst. Das war strategisch von den Sozialdemokraten. Sie wollten keine Wahlen über die Nato. Wir Schweden neigen dazu, uns auf Schweden zu konzentrieren. Ein Thema, das viele bewegte, war die Bandenkriminalität. Die SD machen die Migration und die Flüchtlingskrise für das Problem verantwortlich. Man könnte das Problem aber auch im Umgang mit Armut sehen.

Von außen betrachtet hat Schweden ein anderes Image, man assoziiert das Land nicht mit Schießereien und Gewalt.

Auch die schwedische Polizei war darauf nicht vorbereitet. Seit Anfang der 2000er wurden die Ressourcen gekürzt, daran waren die vergangenen Regierungen in den letzten Legislaturperioden beteiligt. Nun sagten alle Parteien im Jahr 2022, dass die Polizei mehr Ressourcen braucht.

Stehen die Schwedendemokraten so weit rechts wie die AfD?

Der Parteivorsitzende Åkesson würde das verneinen. Dem entgegen steht, dass ein Wahlversprechen der SD ist, den Migrationsanteil im Land zu senken. Es gibt auch hier die Kleinpartei Alternative für Schweden, die ist aber nicht im Parlament ist. Die Schwedendemokraten haben sich verändert, seit sie im Parlament sitzen. Doch ihre Wurzeln liegen in der Neonazi-Bewegung im Schweden der 1980er-Jahre, in rassistischen Organisationen wie Bevara Sverige Svenskt.

Der durchschnittliche Schwedendemokrat ist heute wahrscheinlich nicht rechtsradikal. Sind sie eine Gefahr für das System? Nun, sie sind ziemlich klug. Sie könnten das System auf lange Sicht stören und etwa dafür sorgen, dass in Zukunft weniger Migranten in Schweden leben.

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22 Kommentare

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  • Alle Parteien links der SD haben versagt.

    • @Rudolf Fissner:

      Die Schwedendemokraten sind nicht den Weg der ehemaligen Anti-Euro Partei AFD gegangen. Die Schwedendemokraten entstammen dem neonazistischen Spektrum und haben jetzt ein bisschen Kreide gefressen.

      Insofern haben tatsächlich alle versagt

      • @Alfonso Albertus:

        Dachten Sie der rechte Hintergrund war den Parteien links der SD nicht klar? Die Parteien haben vor allen versagt hinsichtlich der Walergebnisse der SD.

  • In meinem Benanntenkreis gibt es viel Schwedenfans und Menschen die jedes Jahr dort ihren Urlaub verbringen. Meine sechswöchige Schweden-Erfahrung vor ein paar Jahren deckt sich dagegen schon mit diesem Wahlergebnis.

    Nicht das ich mich irgendwo unsicher gefühlt hätte, aber ich bin ja auch die Großstadt und deren Abgründe gewöhnt.

    Viele Schweden wirkten äußerst paranoid und nicht sonderlich zugänglich gegenüber Fremden, auch nicht gegenüber uns. Malmö war ein bisschen rau, aber unsicher gefühlt habe ich mich dort nicht und das Gefühl der Unsicherheit hatte ich schon anderswo in Europa.

    Ich will ja gar nicht den statistischen Anstieg an Gewaltkriminalität in Malmö, Göteborg oder Stockholm klein reden.



    Die Probleme dort sind aber glaube ich nicht entstanden, weil die harte Hand fehlt.



    Mir kam es so vor als ob die Schweden unglaublich stolz auf ihr Jedermannsrecht, ihren Ikea und ihre sozialdemokratische Kultur waren, aber in diesem Stolz gleichzeitig unglaublich konform und angepasst.



    So eine Scheintoleranz wie in Schweden lässt sich durch räumliche Entfernung natürlich wunderbar als Selbstbild aufrecht erhalten.



    Ich glaube nicht, das Schweden eine Gesellschaft ist, in die man als Migrant so einfach eintaucht und aufgenommen wird.

    • 0G
      06455 (Profil gelöscht)
      @Alfonso Albertus:

      Sie sind anscheinend keine Frau:-)



      Ich bin eine und habe mich in Malmö sehr, sehr unsicher gefühlt.



      Dieses mulmige Gefühl wurde nicht durch die Schweden ausgelöst.

      Wenn nicht gehandelt wird gegen diese Entwicklung wird sich die Farbe braun vermehren.

      • @06455 (Profil gelöscht):

        "Dieses mulmige Gefühl wurde nicht durch die Schweden ausgelöst".

        - Mit " die Schweden" meinen Sie vermutlich blonde, blauäugige Männer mit Outdoor-Klamotten, oder haben Sie die anderen Männer nach ihren Pässen gefragt? Damit bestätigen Sie genau das, was ich hier beschrieben habe. Die schwedische Gesellschaft mag sich tolerant geben, aber als Ausländer kommt man nicht wirklich rein in den gemütlichen Bullerbü -Kreis der schwedischen Gemeinschaft.

        In der ganzen Diskussion ging es nicht nur um die Geflüchteten( keine Ahnung was da schiefgelaufen ist in Schweden?). Es ging auch um die Migranten in der zweiten Generation.

        Wissen Sie was ich als Mann in Malmö noch wahrgenommen habe? Schwedinnen die offensiv flirten, nachts selbstverständlich durch den Park laufen, oder alleine unterwegs waren. Sieht man selten in Frankfurt oder Köln nach 23 Uhr.



        Das soll jetzt nicht heißen das es keine Probleme in Schweden gibt. Gerade Malmö ist ja mittlerweile bekannt geworden, für den deutlichen Anstieg an Kriminalität. Übertrieben braucht man es tatsächlich auch nicht mit Panik, denn es gibt einige Städte in Großbritannien, Italien und Frankreich die statistisch immernoch deutlich über dem Niveau an Gewaltkriminalität liegen. Die Schweden waren nur sehr lange ein hohes Maß an Sicherheit gewohnt.

        Das schwedische Selbstbild von der gerechten und chancengleichen Gesellschaft passt schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Erinnern Sie sich an die Ausschreitungen 2013 in Stockholm? Das ging ein bißchen unter in Deutschland: www.google.com/amp...ticle10700961.html

  • Es wird langsam Zeit, sich ernsthaft mit der Frage zu beschäftigen, warum in Europa der Rechtsruck kontinuierlich zunimmt.

    • @Rolf B.:

      Ich befürchte die meisten betrachten dies als eine Art Unfall:

      Den unbedarften Wählern wurde die ganze Sache einfach nur nicht richtig erklärt. Wären die Wähler einfach nur ein wenig intelligenter, dann würden weiterhin die Sozialdemokraten gewählt werden.

      Ist es so viel verlangt die Motivation der Leute zu verstehen?

      Achtung: Mit "verstehen" meine ich nicht das die Stammleserschaft sich die Gedanken der Rechten teilen muss. Aber solange sie die Rechten nicht verstehen, solange können sie auch nichts gegen den Vormarsch der Schwedendemokraten unternehmen..

  • Dürfen sich Schwedendemokraten eigentlich "Demokraten" nennen? Weil für Demokratie scheinen die ja nun nicht zu sein bei einer neonazistischen Vergangenheit.



    Und weniger Migranten im Land ist nicht nur unter aller Würde, sondern schwächt moderne Werte wie Menschenrechte oder Freiheiten.

  • Erst wenn die "Kacke am Dampfen ist", wird gefragt, warum konnte dies passieren. Warum passierte das in Dänemark, in Italien wird es im September passieren, Frankreich ist fast so weit. Wenn der Krug gebrochen ist, braucht man auch nicht mehr Schadensbegrenzung zu machen. Bitte Ursachenforschung und es geht hier nicht um Abstiegsängste.

  • Am Beispiel Schweden oder schon bei uns der FDP zeigt sich eine Schwäche der Demokratie, wenn Parteien gegenüber ihren Wählern die Realität ausblenden und versprechen 'müssen', alles bleibt, wie es ist und war und dabei sich weigern, festzustellen, wie weit der 'Lebensstanddard' insbesondere der 'entwickelten' Staaten diesem Planeten so zugesetzt hat, dass die Klimakatastrophe kaum noch beherrscht werden kann. Besonders tragisch ist dabei, wenn sich selbst grün nennende Parteigänger auf dieses Spiel einlassen, in der Hoffnung, die anderen Parteigänger in einer Koalition noch zu einer Einsicht zu bringen versuchen und dann in diesem Sumpf der Lügen so unglaubwürdig werden, dass es rechten Gruppen gelingt, sie unglaubwürdig zu machen. Sozialdemokraten hüben wie drüben scheitern mit ihrem Harmonie-gesäusel an der Realität und versagen ebenso,ob wohl sie es eigentlich leisten müssten, die Breite der Bevölkerung zusammenzuhalten. Hyggelig passt nicht in diese Zeiten.

    • @Dietmar Rauter:

      Erinnern Sie sich noch an die Forderung der Grünen, 5 DM für den Liter Benzin? Der Gedanke war anundfürsich richtig, bekam der Beliebtheit der Grünen aber gar nicht. Und bei den letzten Bundestagswahlen hetzte die Bild, die Grünen wären eine Verbots-Partei. Viele haben das irrtümlich zum Anlass genommen, die FDP zu wählen.



      Sie haben ja recht mit ihrer Meinung, aber wird es Mehrheitsfähig sein? …

  • Rechts und Links

    Zitat: „Die Konservativen und Christdemokraten waren bereit, mit den SD zusammenzuarbeiten.“

    Dann wüchse zusammen, was schon immer zusammengehörte.

  • Was soll denn immer diese verharmlosende "Rechtspopulismus"-Floskel? Die Schwedendemokraten sind aus dem Neonazi-Spektrum heraus entstanden.

    • @Alfonso Albertus:

      Jeder Populismus dient den Rechten. Bereits die Einengung auf "Rechtspopulismus" ist ein Unding

    • @Alfonso Albertus:

      Genau das fiel mir auch gerade auf.



      Für mich ist auch die AfD rechtsextrem.



      Die Tatsache, dass solche Parteien gewählt werden, macht sie nicht ungefährlicher, im Gegenteil.



      Die Vorstellung, die AfD hätte im Bund einen Stimmenanteil von 20 %ist der Horror.



      Das Signal, dass von Schweden ausgeht, ist erschreckend.



      Wenn jetzt noch Italien rechts wählt, fühle ich mich in diesem Europa unwohl.



      Die Ampel wird ja seit einem Jahr von allen Seiten kritisiert, sie ist allerdings 1000 Mal besser, als solche Verhältnisse.

      • @Philippo1000:

        Danke! Ja, so ist es!



        Bin gerade sehr froh nicht mehr in Schweden sondern in Deutschland zu leben.



        Es macht mich sehr sehr traurig, was mit Schweden passiert. Ich vermisse meine Kindheit mit Olof Palme im Fernseher oder auf dem Marktplatz.







        Ich habe Magdalena Andersson gewählt. Sie ist keine Heilige aber sie ist wirklich 1000000 mal besser als was Schweden jetzt bekommen hat mit 20% Rechstextreme die den Schulterschluss mit den Konservativen - scheinbar auch erfolgreich - suchen.



        Mann!!!



        Wer wählt den so was????!!!!!

        • @Nilsson Samuelsson:

          20 Prozent der schwedischen Wähler wählen "so etwas", in Italien werden es höchstwahrscheinlich mehr als die Hälfte sein, in Frankreich ist der Prozentsatz ähnlich. Sie konstatieren einen Fakt, sicherlich auch mit der entsprechenden Empörung, aber diese 20 Prozent in Schweden kommen ja nicht einfach aus dem Nichts. Interessant ist doch eher ein dialektischer Blick auf die Ursachen....actio bedingt reaktio.

        • @Nilsson Samuelsson:

          Jeder fünfte Wähler! Das ist auch international etwa der Wert für die national-autoritären Radikalinskies. Und in Krisenzeiten kommen sie ans Licht und nicht bei Olof Palme. Jetzt muss die Demokratie wieder mal aktiv verteidigt werden …