Politikwissenschaftler über G20-Gipfel: „Die Welt schaut auf China“
Putins Teilnahme am G20-Gipfel würde keine Annäherung im Krieg in der Ukraine bringen, sagt Eberhard Sandschneider. Wichtiger sei Chinas Interesse an einem baldigen Kriegsende.
taz: Herr Sandschneider, nach langem Hin und Her hat der russische Präsident Wladimir Putin seine Teilnahme am G20-Gipfel am Dienstag und Mittwoch in Indonesien abgesagt. Ist das ein Zeichen seiner Isolation in der Weltgemeinschaft?
Eberhard Sandschneider: Es gibt natürlich wilde Spekulationen, warum er das nicht tut. Wenn man die Vereinten Nationen betrachtet, dann ist Russland quantitativ isoliert, weil die Abstimmungsergebnisse nicht positiv für Moskau gelaufen sind. Auch indirekte Kritik aus China kam in den letzten Wochen, insbesondere während des Besuchs des deutschen Kanzlers in Peking. China ist noch der wichtigste verbliebene Partner Russlands.
Jahrgang 1955, ist Politikwissenschaftler und Ostasien-Experte. Seit Oktober 2020 ist er Partner bei Berlin Global Advisros (BGA). Zwischen 2003 und 2016 war er unter anderem Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Was meinen Sie mit indirekter Kritik aus China?
Dass der chinesische Präsident gemeinsam mit dem deutschen Kanzler feststellt, dass der Atomwaffeneinsatz nicht toleriert werden kann, das ist aus chinesischer Sicht ein klarer Wink an die russischen Drohgebärden. Seither sind sie deutlich zurückgegangen, als sei die Botschaft in Moskau verstanden worden.
Halten Sie die Putins Atomdrohungen für glaubwürdig?
Putin kann sich nicht ohne weiteren dramatischen innenpolitischen Gesichtsverluste aus der Ukraine zurückziehen und er kann offensichtlich auch nicht das Ziel erreichen, das er sich irgendwann vorgenommen hat. In solchen Situationen sind Diktatoren immer schwer einzuschätzen. Das Risiko tragen die Menschen in der Ukraine. Allerdings wissen wir spätestens seit Tschernobyl, dass ein atomarer Einsatz keine Grenzen kennt. Dann würde die Weltgemeinschaft das Risiko tragen.
Russland hat noch Iran, Nordkorea und mit Abstrichen Indien. Kann Putin noch Verbündete in Afrika oder Lateinamerika suchen?
Er kann nur versuchen, Öl und Gas auf direkte oder indirekte Wege zu verschiffen. Aber Russland fehlt es auch an Attraktivität seines Wirtschaftsmodells, was unter den Sanktionen heftig zu leiden hat. Wenn Afrika und Asien auf neue Akteure in der Weltpolitik schauen, dann eher auf China und nicht auf Russland.
Und China hat sowohl aus geostrategischen als auch geoökonomischen Gründen großes Interesse an einem Ende des Krieges in der Ukraine.
Genau, und je länger sich der Krieg hinzieht, desto größer werden die negativen Konsequenzen für Chinas Wirtschaft sein, die schon aus inneren Gründen in einer schwierigen Situation ist. Dazu kommt noch das Problem mit den Lieferketten.
Mit dem Projekt der Seidenstraße hat China auf eine multilaterale globale Wirtschaftspolitik gesetzt. Washingtons setzt mit der neuen nationalen Sicherheitsstrategie auf das alte bipolare Modell des Kalten Kriegs. Wie schätzen Sie das ein?
Ja, so kann man das formulieren. Zunächst einmal muss man sagen: Joe Biden setzt Trumps Chinapolitik verschärft fort. Biden setzt Chips und Hochtechnologie als Waffe ein, um Chinas Aufstieg zumindest zu verlangsamen, wenn nicht gar zu verhindern. Ein Traum des Westens war mal, eine regelbasierte Ordnung nach unseren Vorstellungen zur Grundlage der internationalen Ordnung zu machen. Das wird mittlerweile zu einem Albtraum, weil man feststellt, dass China so stark gewachsen und so einflussreich geworden ist, dass Peking in der Lage ist, seine eigenen Regeln zu formulieren und zum Teil auch seine eigenen Institutionen zu bilden. Die meisten US-Sicherheitspolitiker sind der Auffassung, die Europäer sollten sich primär um den Krieg in der Ukraine kümmern. Aus amerikanischer Sicht ist das zentrale machtpolitische Verhältnis der nächsten Jahre und Jahrzehnte das zu China und nicht das zu Russland.
Kann man in dieser Hinsicht sagen, dass in der US-amerikanischen Taiwan-Politik ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat? Die US-Demokratin Nancy Pelosi ist da hingereist, die USA unterstützen jetzt Taiwan massiv militärisch und schlagen Taipei für die Vereinten Nationen vor …
Dies ist eine verantwortungslose Politik, die vermutlich nicht gelingen wird. Das Risiko tragen am Ende die Menschen in Taiwan und nicht Nancy Pelosi, die für ihren Wahlkampf das bekommen hat, was sie brauchte, nämlich das Bild einer harten Politikerin, insbesondere gegenüber China. Die Grundregel im Fall Taiwan sollte heißen: die Finger davon lassen. Aber aus Sicht der chinesischen Politik gäbe es Krieg nur im Falle einer Unabhängigkeitserklärung Taiwans.
Sehen Sie dann eher ein Eskalationspotenzial im Nordkorea-Konflikt?
Nordkorea ist noch ein Stückchen schwieriger einzuschätzen und selbst China, das unzufrieden mit dem nordkoreanischen Partner ist, hat nur begrenzte Einflussmöglichkeiten auf diesen Diktator.
Erwarten Sie konkrete Ergebnisse vom G20-Gipel im Hinblick auf diese internationalen Konflikte?
Man kann nicht ausschließen, dass doch eine gemeinsame Erklärung herauskommt. Aber wichtig ist: An diesem G20-Gipfel sehen sich die führenden Politiker erstmals nach Jahren der Pandemie wieder persönlich. Als Folge könnte es vielleicht zu weniger Konfrontation und einem Stück weit Verständnis bei der Bewertung der internationalen Krisen kommen. Dieses Element des persönlichen Zusammentreffens ist sehr wichtig und das hat in der internationalen Politik an vielen Stellen gefehlt. Das Prinzip Hoffnung wäre der realistische Blick auf den Gipfel.
Gibt es also keine Hoffnung auf eine diplomatische Lösung für die Ukraine, weil Putin beim G20-Gipfel nicht anwesend sein wird?
Viele westliche Politiker haben versucht, mit Putin zu reden, aber es hat nichts geändert. In der internationalen Politik gibt es eine ganz einfache Regel: Man kann nur zusammenarbeiten, wenn man bereit ist zusammenzuarbeiten und die Regeln der Zusammenarbeit akzeptiert. Das trifft im Fall Russlands derzeit nicht zu. Deshalb würde die Anwesenheit von Putin auf Bali vermutlich daran nichts ändern. Er sitzt in einer Falle: Er hat sich mit dem Ablauf des Kriegs in der Ukraine verschätzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern