Politik und Unterwelt in der Türkei: Mafiaboss packt aus
Sedat Peker fühlt sich von seinen politischen Protegés verraten. Jetzt veröffentlicht er Videos mit Vorwürfen, die Ankara unter Druck setzen.
Es ist eine virtuelle Bombe, mit der er das Beziehungsgeflecht zwischen Staat und Unterwelt hochgehen lassen will. Denn Sedat Peker ist zornig. Er fühlt sich von seinen vormaligen Protegés in der Regierung, allen voran Innenminister Süleyman Soylu, verraten. Dafür rächt er sich nun. Seine Vorwürfe gehen von politischen Morden und Drogenschmuggel über Verbindungen zum organisierten Verbrechen bis zu Vergewaltigung.
Seit mehr als 30 Jahren ist Sedat Peker im Geschäft, wurde mehrmals verurteilt, unter anderem wegen Mord, kam aber immer relativ schnell wieder aus dem Gefängnis. Er gerierte sich vor allem nach dem Putschversuch 2016 als unerschütterlicher Anhänger von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Er werde „im Blut der Feinde Erdoğans baden“, verkündete er damals.
Nach eigenen Angaben half er Innenminister Soylu bei dessen Aufstieg in der Politik. Im Gegenzug soll Soylu seine Unternehmungen gedeckt haben. Als es für Peker im Frühjahr 2020 mal wieder eng wurde, riet Soylu ihm, für ein Jahr ins Ausland zu gehen, dann könne er zurückkommen. Sagt Peker. Doch es kam ganz anders. Im April veranlasste der Innenminister eine Großrazzia gegen seine Organisation, ließ etliche Männer auf Pekers Gehaltsliste verhaften und überdies um fünf Uhr früh Pekers Villa in Istanbul durchsuchen und dabei seine Frau und Kinder bedrohen. Peker sorgte dafür, dass seine Familie zu ihm ins Ausland kam – er befindet sich mutmaßlich in Dubai –, und legte dann los. Das Video von Sonntag war das siebte in drei Wochen, und alle Videos hatten es in sich.
Er greift dabei nicht nur Soylu als Verbindungsmann zur Mafia an, sondern auch Soylus politischen Ziehvater Mehmet Ağar, selbst früherer Innenminister und ehemaliger Polizeichef. Er beschuldigt Ağar als Spinne im Netz eines Drogenschmugglerrings, in dem Mafiosi und Politiker zusammenarbeiten. Eine der führenden Figuren in diesem Netz soll demnach Erkan Yıldırım sein, der Sohn des früheren Ministerpräsidenten und engstem Freund von Präsident Erdoğan, Binali Yıldırım.
Peker gibt an, dass Erkan Yıldırım im Januar und Februar dieses Jahres in Venezuela war, um Drogentransporte, die zuvor über Kolumbien gingen, neu zu organisieren, nachdem die USA die Kolumbien-Connection zerschlagen hatten. Peker gibt so viele Details bekannt, dass Binali Yıldırım sich genötigt sah, Stellung zu nehmen. Er behauptet, dass sein Sohn nur in Venezuela war, um Tests und Schutzmasken gegen Corona zu verteilen. In den sozialen Medien erntet er dafür Hohn.
Auch Mehmet Ağars Sohn geriet ins Fadenkreuz. Tolga Ağar, ein AKP-Parlamentsabgeordneter, soll eine Frau ermordet haben, die ihn zuvor der Vergewaltigung beschuldigt hatte. Nach offizieller Version hat die Frau Selbstmord begangen.
Am Sonntag tischte Peker dann noch auf, dass mehrere nie aufgeklärte Morde an kurdischen Geschäftsleuten in den 90er Jahren, darunter der Mann der heutigen HDP-Chefin Pervin Buldan und der Investigativjournalist Uğur Mumcu, auf das Konto von Ağar gegangen sein sollen. Beide Witwen fordern jetzt neue Untersuchungen.
Peker hat weitere Videos angekündigt
Mehrere Wochen hat die Regierung versucht, die Anschuldigungen einfach totzuschweigen. Das Fernsehen durfte nicht berichten, die regierungsnahen Zeitungen auch nicht. Trotzdem spricht die ganze Türkei über nichts anderes. Die Opposition fordert die Regierung auf, Stellung zu nehmen. CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu spricht süffisant von der Koalition aus AKP, der ultranationalistischen MHP und der Mafia. Angeblich würde Erdoğan seinen Innenminister Süleyman Soylu gerne opfern, doch seine Partner bei der rechtsradikalen MHP schützen Soylu.
Mit der Wirtschaftskrise und dem Ärger über die Coronapolitik braut sich für Erdoğans AKP etwas zusammen, das sich leicht in einem politischen Sturm entladen könnte. Und Sedat Peker hat weitere Videos angekündigt. Nachdem am Sonntag sein Bruder Atilla Peker, quasi als Geisel, verhaftet wurde, wird er wohl erst recht zulangen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter