Verbotsverfahren in Türkei: Der HDP geht es an den Kragen

Das türkische Verfassungsgericht macht den Weg frei für ein Verbot der kurdisch-linken HDP. Die Partei ist für Präsident Erdoğan gefährlich geworden.

Eine junge Frau mit Victoryzeichen, in der anderen Hand hält sie ein Plakat für die HDP

Solidarität mit der HDP am Freitag in Istanbul Foto: Umit Bektas/reuters

ISTANBUL taz | Seit diesem Montag ist klar: Gegen die kurdisch-linke HDP (Demokratische Partei der Völker), die zweitgrößte Oppositionspartei in der Türkei, wird ein Verbotsverfahren stattfinden. Nach Angaben der staatlichen Presseagentur Anadolu Ajansi haben die 15 Richter am Verfassungsgericht in Ankara einstimmig einem überarbeiteten Verbotsantrag des Generalstaatsanwaltes zugestimmt. Noch im März war ein erster Antrag der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden – aus formalen Gründen, wie es damals hieß.

Damit kann nun ein monatelanges Verfahren beginnen, das wahrscheinlich erst im kommenden Jahr beendet sein wird. Die Staatsanwaltschaft fordert nicht nur ein Verbot der HDP, sondern will auch 500 der führenden Kader der Partei für mindestens fünf Jahre mit einem Politikverbot belegen lassen. Dadurch soll verhindert werden, dass die HDP unter einem neuen Namen ihre Arbeit fortsetzt. Außerdem will die Staatsanwaltschaft, dass die Bankkonten der Partei sofort gesperrt werden, was das Verfassungsgericht am Montag jedoch zunächst ablehnte.

Die HDP ist die bislang erfolgreichste Partei aus einem kurdischen Umfeld in der Türkei. Ihren zahlreichen Vorgängerinnen war es nie gelungen, die extra zur Verhinderung einer parlamentarischen Repräsentanz der KurdInnen eingeführte Zehnprozenthürde zu nehmen. Kurdische PolitikerInnen waren bis dahin nur auf Listen anderer Parteien oder als Unabhängige ins Parlament eingezogen.

Der jahrzehntelange Kampf für eine echte parlamentarische Vertretung der kurdischen Minderheit hatte erst unter der Führung des populären Selahattin Demirtaş im Frühjahr 2015 Erfolg, als die HDP mit über 13 Prozent die Zehnprozenthürde überwand. Trotz massiver Repression gelang der HDP seitdem bei zwei weiteren Wahlen der Wiedereinzug ins Parlament in Ankara, zuletzt 2018 bereits ohne Demirtaş, der da schon im Gefängnis saß.

Terrorvorwurf gegen die HDP

Das Parteiverbotsverfahren wird nun parallel zu einem Gerichtsprozess gegen Demirtaş und andere führende HDP-PolitikerInnen stattfinden, die beschuldigt werden, im Oktober 2014 zu illegalen Demonstrationen aufgerufen zu haben, um die Kurden in Syrien bei ihrem Kampf gegen die Terrororganisation IS gegen den Willen der türkischen Regierung zu unterstützen. Demirtaş droht eine Haftstrafe von über 100 Jahren.

Staatsanwaltschaft fordert auch ein Politikverbot für 500 der führenden Kader der HDP

Sowohl der Prozess gegen den populären Parteiführer als auch das anstehende Verbotsverfahren sollen dafür sorgen, dass die um mehr Selbstbestimmung kämpfenden KurdInnen in der Türkei politisch ausgeschaltet werden. Die wesentliche Begründung dafür ist, die HDP unterstütze den „Terror“ der militanten PKK und sei in Wahrheit keine politische Partei, sondern ein Handlanger der Terrororganisation.

Dass damit mehr als sechs Millionen WählerInnen pauschal als „Terrorunterstützer“ abgestempelt werden, nimmt die Regierung in Kauf. Die andauernde Dämonisierung der HDP hat zudem immer wieder zu Attacken gegen die Partei geführt. Erst vergangene Woche hatte ein bewaffneter Attentäter das HDP-Parteibüro in Izmir angegriffen und eine junge Frau getötet.

Der wichtigste Grund für das nun anstehende HDP-Verbotsverfahren dürfte sein, dass Präsident Recep Tayyip Erdoğan befürchten muss, in der Wahl 2023 keine parlamentarische Mehrheit mehr zu erreichen, sollte ein gemeinsamer Kandidat der republikanischen Opposition auch von den KurdInnen unterstützt werden. Schon im Jahr 2015 hatte Erdoğans AKP durch den Einzug der HDP ins Parlament ihre absolute Mehrheit verloren.

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