Polen fehlt bei Gedenken in Israel: Duda, der „große Abwesende“
Ungewöhnlich einig kritisiert Polen die politische Instrumentalisierung des Holocaust-Gedenkens. Auf viel Solidarität kann das Land nicht hoffen.
Doch in diesem Jahr reisten zahlreiche Staatsoberhäupter und Premierminister bereits am Donnerstag zum „World Holocaust Forum“ nach Jerusalem. Dabei findet – wie jedes Jahr – am 27. Januar die offizielle Gedenkfeier im polnischen Oświęcim statt. „Die Instrumentalisierung des Holocausts zu politischen Zwecken ist unerträglich“, sagt Schudrich und stellt unmissverständlich klar: „Das weltweit anerkannte Symbol für den Massenmord an sechs Millionen europäischen Juden ist Auschwitz.“
Dass in diesem Jahr mehr Staatsgäste nach Israel fahren denn nach Polen, hängt wohl mit der renommierten Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem und Israels Staatspräsidenten Reuven Rivlin zusammen. Wjatscheslaw Mosche Kantor, dem russischen Oligarchen und Präsidenten des Europäischen Jüdischen Kongresses, war es gelungen, die beiden als Mitorganisatoren zu gewinnen.
Kantor rief die Konkurrenzveranstaltung zu den Gedenkfeiern in Auschwitz-Birkenau vor 15 Jahren als „World Forum“ oder auch „Let my people live“ ins Leben. Das „IV World Holocaust Forum“ fand 2015 in Prag und Terezín (Theresienstadt) am Tag der Auschwitz-Befreiung statt, also am 27. Januar. Damals zogen es die meisten Staatspolitiker noch vor, diese Konkurrenz-Veranstaltung zu boykottieren und stattdessen zur Gedenkfeier nach Polen zu fahren und die Opfer in Auschwitz-Birkenau zu ehren.
Kein Rederecht für Andrzej Duda
Möglicherweise wissen auch viele Politiker nicht, dass etliche jüdische Landesvertretungen ihre Mitgliedschaft im Europäischen Jüdischen Kongress seit Jahren ruhen lassen und nur noch diejenige im Jüdischen Weltkongress aktiv wahrnehmen.
Wie politisch aufgeladen die Stimmung dieses Mal ist, zeigt der Streit um den „großen Abwesenden“ auf dem Forum in Israel: Polens Präsident Andrzej Duda hatte seine Teilnahme am Forum spektakulär abgesagt, nachdem ihm die Organisatoren das Rederecht verweigert hatten. Nur Vertreter der vier Siegermächte, Israels und Deutschlands sollten reden dürfen.
Obwohl Polens nationalpopulistische Regierungspartei und die Oppositionsparteien sich seit Jahren heftig über Demokratiedefizite und den Rückbau des Rechtsstaats streiten, waren sie in dieser Frage einer Meinung: Es sei unfair, dass der russische Präsident Wladimir Putin reden dürfe, der polnische aber nicht.
Der Hintergrund: Putin attackiert schon seit Wochen Polen und wirft den polnischen Vorkriegspolitikern eine Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs vor, leugnet aber zugleich die Komplizenschaft Stalins und Hitlers in den Jahren 1939 bis 1941. Dass der Hitler-Stalin-Pakt ein Geheimprotokoll enthielt, das im Falle eines Kriegs die Aufteilung in deutsche und sowjetische „Interessensphären“ vorsah und innerhalb von nur zwei Wochen zum Überfall Hitlers auf Polen führte, wischte Putin mit dem Verweis auf den deutsch-polnischen Nichtangriffspakt vom Tisch, ohne auch nur mit einem Wort auf den Überfall Stalins am 17. September 1939 auf Polen einzugehen.
Problematische Geschichtspolitik
Ganz im Ton der Sowjetpropaganda leugnet Putin die brutale Besatzung Ostpolens, die Deportationen, Enteignungen und Morde an der polnischen Intelligenz, wirft Polen aber massiven Antisemitismus und Kollaboration mit den Nazis vor.
Zwar wird Putin mit dieser Paganda wohl nirgends außer im eigenen Land auf Zustimmung stoßen, doch wollte Polens Präsident die Chance haben, auf eventuelle neue Vorwürfe des russischen Präsidenten auf dem Holocaust Forum in Israel antworten zu können. Dass weltweit bislang niemand für Polen in die Bresche gesprungen ist, hat mit Polens eigener Geschichtspolitik zu tun. Wer permanent ausländische Journalisten, Politiker und Künstler der Geschichtsfälschung bezichtigt und sogar mit einem „Holocaustgesetz“ versucht, weltweit eine Geschichtszensur durchzusetzen, muss sich nicht wundern, wenn sich im Falle einer tatsächlichen Geschichtslüge die Solidarität mit Polen in Grenzen hält.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Werben um Wechselwähler*innen
Grüne entdecken Gefahr von Links
Wahlverhalten junger Menschen
Misstrauensvotum gegen die Alten
Kanzler Olaf Scholz über Bundestagswahl
„Es darf keine Mehrheit von Union und AfD geben“
Donald Trump zu Ukraine
Trump bezeichnet Selenskyj als Diktator
Berlinale-Rückblick
Verleugnung der Gegenwart
Wahlarena und TV-Quadrell
Sind Bürger die besseren Journalisten?