Podcast zum Attentat von Hanau: So viele Fragen
Der rassistischen Anschlag in Hanau veränderte die Hinterbliebenen. Der Podcast „190220“ dokumentiert ihren Kampf um Aufklärung.
Ferhat Unvar. Hamza Kurtović. Said Nesar Hashemi. Vili Viorel Păun. Mercedes Kierpacz. Kaloyan Velkov. Fatih Saraçoğlu. Sedat Gürbüz. Gökhan Gültektin.
Mit diesen neun Namen beginnt der Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“. Neun Namen, hinter denen Menschenleben stehen; die Familien und Freund:innen hatten, die sie nun schmerzlich vermissen. Diese neun Menschen sind es, die am 19. Februar 2020 bei einem rechtsextremen und rassistischen Anschlag in Hanau getötet wurden.
Ein Jahr nach diesem Anschlag suchen die Journalistinnen Sham Jaff und Alena Jabarine nach Antworten auf die vielen noch immer ungeklärten Fragen der Angehörigen: Warum konnte der Täter nicht aufgehalten werden? Was wussten die Behörden? Und warum überhaupt mussten neun junge Menschen aus Hanau sterben?
Produziert wurde der Podcast von Spotify und ACB Stories. Wenige Tage bevor sich der Anschlag zum ersten Mal jährt, hat Spotify nun die ersten zwei Folgen veröffentlicht. Sechs Folgen sollen es insgesamt werden.
Von den Behörden allein gelassen
Die Journalistin Alena Jabarine begegnet den Eltern und Geschwistern der Getöteten und den Überlebenden in Hanau. Unweit der Tatorte hat sich die Initiative 19. Februar Hanau gegründet, die zum Treffpunkt für die Hinterbliebenen geworden ist. Jabarine spricht dort mit Armin Kurtović, dem Vater von Hamza Kurtović. Am 19. Februar 2020 wird der Vater durch ganz Hanau geschickt. Über Stunden weiß er nicht, wo sich der Sohn befindet. Ob Hamza nur verletzt worden ist? Und wenn ja, wie schwer? Oder ob er doch längst tot ist?
Die Beamten wimmeln den Vater ab, schicken ihn nach Hause, doch Armin Kurtović sucht weiter nach seinem Sohn. Dass dieser eines der neun Opfer ist, erfährt der Vater am nächsten Morgen aus dem Internet. Dort kursieren zu diesem Zeitpunkt längst die Namen der Getöteten, aber auch der Name des Täters. Es ist der Anfang einer Reihe des Behördenversagens: der Umgang mit den Angehörigen durch Ermittler.
Journalistin Alena Jabarine spricht auch mit dem Vater von Mercedes Kierpacz, Filip Gomann. Sein Großvater wurde in Auschwitz ermordet, erzählt er. Dass seine Kinder in Deutschland nicht sicher sein könnten, hätte er niemals gedacht. Was Gomann bis heute nicht loslässt, ist die Frage danach, warum die Polizei nicht schnell genug vor Ort war: „Wie lange muss die Polizei an Ort und Stelle sein? Wir sind 300 Meter Luftlinie von der Polizei entfernt.“ Könnte seine Tochter Mercedes noch am Leben sein?
Es sind die Hinterbliebenen, die solche Fragen stellen und die zusammen dafür kämpfen, Antworten zu finden. „Wir wollen nur, was dieses Grundgesetz uns zusichert. Mehr wollen wir nicht“, sagt Armin Kurtović. Er meint damit Aufklärung, die die Behörden versäumt haben. Die Hinterbliebenen sind es deshalb selbst, die nach Zeug:innen suchen und diese befragen. Sie sind es auch, die die Behörden auf Fehler aufmerksam machen, Politiker:innen konfrontieren und damit zum Teil erreichen, dass die Ermittlungen zu Hanau nicht gänzlich einschlafen.
“190220 – Ein Jahr nach Hanau“ – Sechs Folgen abrufbar bei Spotify, montags und freitags erscheint jeweils eine neue Folge
Neben dem Aktivismus der Hinterbliebenen erfährt man als Zuhörer:in auch vom tiefen Vertrauensverlust. Armin Kurtović: „Und ich weiß auch nicht mehr, wen ich anrufen soll, wenn ich ein Problem habe. Die Deutsche Post? Oder wen soll ich anrufen? Die 110 werd ich nie wieder wählen. Mit dem, was ich erlebt hab, wie soll ich das denn machen, wie?“
In einer Mischung aus Reportage und Einordnungen von Expert:innen zeichnet der Podcast „190220 – Ein Jahr nach Hanau“ die Kontinuität von rechtem Terror, Behördenversagen und Rassismus in Deutschland nach.
Hätte die Tat verhindert werden können?, wird Hamzas Vater am Ende der zweiten Folge gefragt. Auf jeden Fall, sagt er. Und das ist eine der bittersten Erkenntnisse.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!