Piraten setzen sich durch: Berlin bekommt Unisex-Toiletten
Bürgerämter, Büchereien, Schulen: Im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg soll es gemeinsame Toiletten für Frauen, Männer und Intersexuelle geben.
BERLIN taz | Die öffentlichen Gebäude des Berliner Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg sollen Unisextoiletten erhalten. Überall dort, wo es möglich ist, soll es zusätzlich zu den getrennten Toiletten für Männer und Frauen auch eine entsprechende Räumlichkeit für alle Menschen geben – auch für die, die sich keinem dieser beiden Geschlechter zuordnen. Das beschloss das Bezirksparlament am Mittwochabend auf Antrag der Piraten und unterstützt von Grünen, SPD und Linken.
Die Unisextoiletten werden nicht neu gebaut. Stattdessen wird einer der Räume, der bisher exklusiv für Männer oder Frauen bestimmt war, neu beschildert. Faktisch wird das nur in größeren Gebäuden möglich sein, in denen es mehr als zwei öffentliche Toiletten gibt. „Man könnte denken, es gebe wichtigere Themen“, sagt Piratin Lena Rohrbach, die den Antrag ausgearbeitet hat. „Aber für die Betroffenen, die nicht in das binäre Geschlechtersystem passen, ist das sehr relevant. Jedes Mal, wenn sie in ein Gebäude gehen, wird ihnen suggeriert, dass sie eigentlich gar nicht existieren dürfen.“
Das Fehlen von Unisextoiletten sei nicht das größte Problem für Intersexuelle, meint Rohrbach, die Geschlechtsoperationen im Kindesalter seien der viel größere Skandal. „Aber das können wir im Bezirk nicht ändern“, sagt Rohrbach, die im Herbst auch auf der Liste der Piratenpartei für den Bundestag kandidiert. Die Einrichtung von Unisextoiletten sei jedoch immerhin ein erster Schritt und ein Signal.
Die grüne Fraktionsvorsitzende im Bezirksparlament sagt, ihre Partei finde die Idee gut und werde deshalb zustimmen: "Wir denken nicht nur in binären Geschlechterkategorien. Es gibt auch Menschen, die sich anders definieren, und dann bieten wir auch denen ein Örtchen“, so Jana Borkamp.
Die grüne Fraktionsvorsitzende im Landesparlament sieht das anders als ihre Kollgen im Bezirk: Das Anliegen sei "total undurchdacht und kurzsichtig", twitterte Antje Kapek am Donnerstagmorgen.
„Gerade an Schulen sind Unisextoiletten wichtig“, findet Michael Bandt, Mitarbeiter der Initiative Lambda für lesbische, schwule, bisexuelle, transsexuelle und intersexuelle Jugendliche. „Denn die Schule ist ein Zwangskontext, aus dem man nicht ausbrechen kann.“
In einem Kurzfilm haben Jugendliche von Lambda eine typische Situation dargestellt: Eine transsexuelle Jugendliche, die zuvor noch als Junge wahrgenommen wurde, kommt zum Sportunterricht. Die Mädchen in der Frauenumkleide wollen sie nicht drinhaben. Und in die Jungenumkleide will sie nicht rein, weil sie ja kein Junge mehr ist. Die Sportlehrerin ist mit der Situation überfordert. Eigentlich brauche es daher auch Unisexumkleiden, meint Brandt. Doch auch Unisextoiletten hätten schon eine Signalwirkung: „Die Schule erkennt, dass es ein Problem gibt, und reagiert darauf. Die Jugendlichen fühlen sich viel akzeptierter.“
Die Unisextoiletten sollten auch Wickeltische haben, findet Ralf Gerlich, Fraktionsvorsitzender der Piraten im Bezirksparlament. "Die sind bisher prinzipiell in Frauentoiletten angesiedelt. Wenn sie in die Unisextoiletten kommen, dann können auch Väter dort ihr Kind wickeln." Er wünscht sich, dass die Einrichtung der Unisextoiletten "so breit wie möglich angegangen wird, denn für die Menschen, die damit konfrontiert sind, ist das eine spürbare Einschränkung der Lebensqualität".
Noch offen ist dagegen die Sache mit den Urinalen. Ralf Gerlich meint: Wenn Urinal, dann sollte es in einer Box stehen, genau wie die Toilettenschüsseln. „Es ist ein gewisses Schamgefühl da, wenn jemand dort steht, und dann kommt jemand anders vom anderen Geschlecht in den Raum. Solange ein solches Schamgefühl noch vorhanden ist, sollte dem durch entsprechenden Sichtschutz Rechnung getragen werden.“
In der Landesgeschäftsstelle der Piraten gibt es bereits gar keine Toilette mehr, die nur einem bestimmten Geschlecht vorbehalten ist. Stattdessen gibt es dort zwei Toilettenräume - einer mit und einer ohne Urinal. Gerlach persönlich wünscht sich, dass die Geschlechtertrennung in der Gesellschaft langfristig irgendwann aufgehoben ist, so dass niemand mehr den Bedarf nach eingeschlechtlichen Toilettenräumen hat. Eine offizielle Position der Piratenpartei gebe es dazu allerdings noch nicht.
Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird die Verwaltung nun zunächst prüfen, welche Gebäude des Bezirks für die Einrichtung von Unisextoiletten überhaupt geeignet sind.
Siehe auch
Antrag der Piraten mit Begründung
Tweet von Ralf Gerlich, durch den die taz auf das Thema aufmerksam wurde
Eine weitere erfolgreiche Idee der Piraten in Friedrichshain-Kreuzberg: Daimler brüskieren
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist