Pilotprojekt in Irland: Testlauf für Grundeinkommen

Irland zahlt ausgewählten Künstlern bedingungslos ein Gehalt. So sollen auch jene berücksichtigt werden, die nicht bereits Unterstützung erhalten.

Eine Lichtinstallation mit floralen Motiven

Die Künste sollen aufblühen: Lichtinstallation im Zoologischen Garten von Dublin Foto: Christoph Soeder/dpa

Brechen goldene Zeiten für die Künste in Irland an? Zumindest erhalten 2.000 Kunstschaffende für die nächsten drei Jahre von der Regierung ein Grundeinkommen von 325 Euro pro Woche. Die Summe basiert auf einer 32-Stunden-Woche und dem Mindestlohn von 10,20 Euro pro Stunde. Das Geld muss versteuert werden, es wird nun rückwirkend seit Ende August ausgezahlt. Insgesamt stehen 25 Millionen Euro für das Programm zur Verfügung.

Es ist ein Pilotprojekt, deshalb wird der Versuch wissenschaftlich begleitet. Es gehe nicht um die Quantität der Arbeiten, sondern man müsse in gesellschaftlichen Dimensionen denken, sagt Angela Dorgan, die Geschäftsführerin der Musik-Fördergesellschaft First Music Contact.

Man will herausfinden, ob und wie ein solches Grundeinkommen der Gesellschaft nützt und wie sich die Arbeit der Künstlerinnen und Künstler verändert. „Ich will, dass sich die Künste von den verheerenden Auswirkungen der Pandemie nicht nur erholen, sondern auch aufblühen“, sagt auch die für das Projekt verantwortliche Kulturministerin Catherine Martin von den Grünen in einer Pressekonferenz.

Von den 9.000 Bewerbern für das Pilotprojekt wurden 8.200 als qualifiziert eingestuft. Davon wurden schließlich 2.000 ausgelost: 707 visuelle Künstler, 584 Musiker, 204 Filmschaffende, 184 Schriftsteller, 173 Schauspieler, 32 Tänzer und Choreografen, 13 Zirkuskünstler sowie 10 Architekten. Die Auswahl geschah vermögensunabhängig.

Trotzdem noch auf Nebeneinkünfte angewiesen

Ihre Nebentätigkeiten müssen die Teilnehmer zwar nicht einschränken, aber sie fließen in die Bewertung am Ende der Testphase ein. Viele werden auch weiterhin auf Nebeneinkünfte angewiesen sein. Mehr als ein Drittel von ihnen lebt in Dublin. In der irischen Hauptstadt reicht das Grundeinkommen kaum für die Miete, eine Wohnung von 70 Quadratmetern ist nicht unter 2.000 Euro im Monat zu haben.

Die Idee kam während des Lockdowns auf, als klar wurde, wie arm man ohne Kunst ist

Das Projekt soll nach einer dreijährigen Testphase evaluiert werden. 1.000 Kunstschaffende, die eigentlich berechtigt waren, aber nicht berücksichtigt wurden, dienen als Kontrollgruppe, um das Projekt und den Effekt der Bezahlung besser bewerten zu können. Wenn das Ergebnis zufriedenstellend ist, sollen weitere Künstlerinnen und Künstler vom Grundeinkommen profitieren.

„Ich bin neugierig, was wir von diesem Pilotprojekt lernen werden“, sagt Irlands Premierminister Leo Varadkar (Fine Gael) in der Irish Times. „Unser Land ist weltberühmt für seine kreative Industrie, und deshalb ist es unerlässlich, dass wir das richtige Umfeld schaffen, damit die Künstler sich entwickeln und sich auf ihre Arbeit konzentrieren können.“

Robert Ballagh, einer der bekanntesten irischen Künstler, der unter anderem das Bühnenbild für die irische Stepptanzshow „Riverdance“ und die letzten irischen Geldscheine vor Einführung des Euro entworfen hat, hält dagegen nicht viel von dem Projekt. „Es ist eine Farce“, sagt er der taz. „Eine Lotterie aus Schuldbewusstsein, weil Künstler von den Kompensationszahlungen während der Coronapandemie ausgeschlossen waren.“

Tourismus wichtiger als Kunst im Lockdown

Man hatte sich damals auf den Tourismusbereich konzentriert, weil der zu den wichtigsten Industriezweigen Irlands zählt. Darüber hinaus seien die Zahlungen zeitlich begrenzt, moniert Ballagh.

Die Idee für das Projekt wurde während des Lockdowns geboren. Vielen war klar geworden, wie arm die Gesellschaft ohne Kunst sei und wie schwer es viele Kunstschaffende haben, sagt Kulturministerin Catherine Martin. Nach dem Lockdown gibt es nun andere Probleme, die Energiekrise treibt die Eintrittspreise hoch. Eine Untersuchung des Theatre Forum hat ergeben, dass die Kultureinrichtungen 20 Prozent weniger Besucher verzeichnen als vor der Pandemie.

Das hänge natürlich mit den gestiegenen Lebenshaltungskosten zusammen, sagt Maureen Kennelly, Direktorin des Arts Council, der unabhängigen irischen Regierungsbehörde zur Entwicklung der Künste. „Deshalb müssen die lokalen Kulturzentren künftig eine größere Rolle spielen.“

Als Beispiel nennt sie das Gemeinschaftsprojekt des Arts Council mit der Dubliner Hafengesellschaft, durch das ein Campus für Künstler in der alten Getreidemühle der Firma Odlum geschaffen wurde. „Von solchen fantasievollen Projekten und Partnerschaften wird die ganze Gesellschaft profitieren“, meint sie. Auf 15 Stockwerken mit insgesamt 5.000 Quadratmetern sind Ateliers, Probebühnen, schalldichte Tonstudios, Übungsräume und Räume für Workshops und Konferenzen entstanden.

„Wie wichtig irische Kultur, irische Kunst und irische Produktionen in unserem Land und auf der internationalen Bühne sind, darf nicht unterschätzt werden“, sagt Catherine Martin. „Seit Generationen haben irische Künstler Menschen in der ganzen Welt inspiriert: Seamus Heaney, James Joyce, Louis Le Brocquy, Jack Butler Yeats, U2, Saoirse Ronan oder Michael Fassbender, um nur einige zu nennen.“

Teil der irischen Kultur

Clare Duignan, Vorsitzende der Arts and Culture Recovery Taskforce, die vom Kulturministerium während der Pandemie im September 2020 einberufen worden ist, berichtet: „Das Pilotprojekt war die wichtigste Empfehlung der Taskforce, darin waren sich die Mitglieder ohne Ausnahme einig.“

John Byrne, ein in Dublin lebender Künstler aus Belfast, stimmt ihr zu. „Es ist ein fantastisches Projekt“, sagt der 63-Jährige der taz. „Ich habe mich aber nicht beworben, weil ich Mitglied in Aosdána bin und dafür 20.000 Euro im Jahr erhalte.“ Aosdána wurde 1981 gegründet und unterstützt Künstler, die einen außergewöhnlichen Beitrag zur kreativen Kunst in Irland geleistet haben. Die Mitgliedschaft ist auf 250 Menschen begrenzt, man kann sich nicht bewerben, sondern muss vorgeschlagen und hinzugewählt werden.

Das hat der Organisation den Vorwurf der Vetternwirtschaft eingebracht. Allerdings kommen nicht nur äußerst erfolgreiche Künstler in den Genuss der „Cnuas“, wie die Finanzspritze heißt, sondern auch bekannte, aber finanziell nicht auf Rosen gebettete Leute wie Byrne. Manche Kritiker verlangen deshalb, Aosdána abzuschaffen und das mickrige Budget von 0,1 Prozent des Bruttoinlandprodukts für die Kultur aufzustocken, damit auch jüngere und weniger erfolgreiche Künstler etwas davon haben.

Denen soll nun das Projekt zugutekommen – jedenfalls einigen von ihnen. „Kunst erfasst unsere Vergangenheit, gestaltet unsere Gegenwart und malt unsere Zukunft aus“, sagt Martin. „Dieses Irischsein, geprägt durch unsere Künste, tragen wir mit uns, wo immer wir in der Welt sind, und es ist das, was uns erkennbar als irisch identifiziert.“

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