Kulturgeschichte des Tanzes: Die Siegesgöttin und der Schuh

Walzer, Voodoo, Rockkonzert: Eine Ausstellung im Dresdener Hygienemuseum beleuchtet, was Tanz mit sozialer Bewegung zu tun hat.

Ausschnitt aus „Union Rave“ von Andreas Gursky 1995, © Courtesy: Sprüth Magers Berlin London Bild: Andreas Gursky

Tanz macht es einem nicht leicht. Er ist eine flüchtige Kunst, seine Geschichte schwer zu fassen. Doch Tanz ist ohne Zweifel eine Kulturkonstante der Menschheit, getanzt wird und wurde eigentlich immer und von (fast) jedem. Das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden widmet diesem Phänomen daher seine neue Ausstellung „tanz! Wie wir uns und die Welt bewegen“.

Die Kuratorin Colleen M. Schmitz setzt bei der Annäherung an ihr Sujet auf interaktive Elemente und Video. „Wir wollten nicht nur Ballettschuhe ausstellen“, sagt sie zur Eröffnung, und tatsächlich gibt es nur ein Paar Tanzschuhe zu sehen – von der österreichischen Balletttänzerin Fanny Elßler (1810–1884). Sie war ein Megastar ihrer Zeit; ihre Beine wurden bald kommerziell verwertet, etwa in Porzellan nachgebildet.

Doch die Ausstellung bleibt auf ihren 1.200 Quadratmetern nicht beim Ballett und nicht bei der sich im 20. Jahrhundert entwickelnden Tanzmoderne stehen. Zwar bekommen deren Pionierinnen wie Isadora Duncan, Mary Wigman und die lange in Dresden lehrende Gret Palucca gebührenden Raum, ebenso wie Pina Bausch und die wichtigen Choreografen der Gegenwart wie Xavier LeRoy, William Forsythe und Sasha Waltz. Aber auch Phänomene wie Volkstänze, Entwicklungen der Gesellschaftstänze, vom höfischen Menuett über die bürgerlichen Paartänze bis zum maximal individualistischen Pogo, und andere popkulturelle Erscheinungen werden miteinander in Beziehung gesetzt.

Von Nike zu Nike

So legt die Ausstellung in wenigen Schritten den Weg von Nike zu Nike zurück: Von einer Skulptur der antiken Siegesgöttin, dem Urbild von Bewegung in Europa, aus dem vierten Jahrhundert vor Christus geht es über Figuren vornehmlich aus dem 19. Jahrhundert zum ausgestellten Tanzturnschuh des US-amerikanischen Konzerns – dem Symbol für die absolute Kommerzialisierung von Bewegung. Tanznotationen korrespondieren mit Streetdance-Szenen aus Kinofilmen.

Neue Verbindungen werden gezogen: Mary Wigmans Hexentanz von 1914 etwa wird durch eine aktuelle Videoperformance von Kelly Nipper auf ihren Exotismus aus einer postkolonialen Perspektive befragt, und David Bowies genderüberschreitende Videos tauchen folgerichtig neben Fotos von Valeska Gert auf, die schon Anfang des 20. Jahrhunderts viele Zuschreibungen überschritt.

Manchmal geht's um Subkultur

Oft können sich die Besucher länger mit dem angebotenen Material beschäftigen. In einem Raum etwa werden über vier Videoleinwände parallel die Geschichten von Walzer, Rock ’n’ Roll, Punk und HipHop erzählt, mit Ausschnitten aus Dokumentationen und Interviews. Dabei werden, zumeist erstmalig, auch die DDR-Erfahrungen mit diesen Tanz- und Subkulturen verarbeitet.

Ähnlich ist der Ansatz beim rituellen Tanz, wo über Videostationen und Artefakte unter anderem Korrespondenzen zwischen europäischem Veitstanz, karibischen Voodo-Zeremonien, Hochzeitstänzen der christlich-orthodoxen Kirche und dem gemeinschaftlichen Ritual des Rockkonzerts freigelegt werden. Nicht Tanzgeschichte, sondern ihre Praxis steht in Dresden im Fokus.

Flamenco in Japan

Das gilt gerade auch beim Volkstanz. Die regionalen Tänze, wie Flamenco, Irish Dance oder auch sorbischer Kreistanz, sind mittlerweile immer auch touristische Aushängeschilder in einer nach Authentizität hechelnden Welt. So verschieden die Tänze sind, diese Vermarktungsstrategie ist universell. Dabei globalisieren sich die regionalen Brauchtümer. Längst gibt es Flamenco im fernen Japan, und Riverdance ist auch in China ein wahnsinniger Erfolg. Die Ausstellung zeigt dies, enthält sich aber der Wertung solcher Phänomene, dies bleibt dem Besucher überlassen.

Sich mitbewegen

Nicht nur der Bewegung zuschauen, sondern sich auch selbst bewegen – dazu ist der Besucher eingeladen. Es gibt Video-Tanzkurse im Volkstanz, Cha-Cha-ChaLehrgänge aus dem TV der 1960er Jahre oder einen Tanzmusikgenerator, bei dem mit verschiedenen Schrittfolgen gemeinsam Musik und Grafik erzeugt werden.

Bereits die Eingangsinstallation „Choreosphäre“ mit neun übermenschengroßen Bällen, die im Raum hin und her geschoben werden können, lädt zum Spiel mit den Verhältnissen von Raum und Körper ein. Filigraner, aber umso wirkungsstärker kommt der Abschluss daher. In einem dunklen Raum wird der eigene Körper von Lichtstrahlen eingefangen, und mit seinen Bewegungen kann der Gast Musik und Form der Lichtformen verändern oder kleine Lichtpunkte durch den Raum schießen.

Bis 20. Juli 2014, Deutsches Hygiene-Museum Dresden. Katalog (Diaphanes Verlag) 29,95 Euro

Eine anregende, aber auch überbordende Ausstellung, die tatsächlich die Welt des Tanzes auffächert, ohne sie aber auf den Punkt zu bringen. Am Ende ist man erschöpft, aber auch ein wenig glücklich. Fast wie nach einer durchtanzten Nacht.

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