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Pilotprojekt GrundeinkommenNur eine schöne Idee

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Das erste wissenschaftlichen Projekt zum Grundeinkommen in Deutschland beginnt. Doch die Idee taugt nicht als neue soziale Sicherung.

1.200 Euro erhielten 122 Teilnehmende des wissenschaftlichen Experiments erstmals am Dienstag Foto: Stefan Boness/Ipon

D as bedingungslose Grundeinkommen zu erforschen ist eine gute Sache. Am Dienstag haben die Teilnehmenden des ersten wissenschaftlichen Projekts hierzulande ihr Startgeld erhalten. Das beflügelt die Fantasie. Als umsetzbare Idee für eine neue soziale Sicherung taugt das Grundeinkommen aber nicht.

Zwei Gründe sprechen dagegen. Es wäre sehr teuer. Bekämen alle Bür­ge­r:in­nen 800 Euro monatlich, so wären das rund 800 Milliarden Euro jährlich, ungefähr ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts und etwa so viel wie alle heutigen Sozialausgaben zusammen.

Einen Teil davon, wie die Renten, kann man aber nicht einfach umwidmen, weil es sich um individuell erworbene Ansprüche handelt. Wahrscheinlich müsste der Staat Hunderte Mil­liar­den Euro pro Jahr zusätzlich durch Steuern aufbringen, um das Grundeinkommen zu finanzieren.

Zweitens ist eine solche Megareform für einen korporatistisch vermachteten Staat wie Deutschland einfach zu kompliziert. In einem Land, wo Tausende Lobbyorganisationen jeden Paragrafen eines neuen Gesetzes auf ihre Interessen hin durchforsten, wird es kein Sozialsystem geben, das alles auf den Kopf stellt. Außer vielleicht nach einer Katastrophe.

Die Debatte kann jedoch als Gedankenraum wirken, in dem Reformen für das herrschende Sozialsystem entstehen. In der Coronakrise mussten gerade Millionen Selbstständige Monate ohne Einkommen überstehen. Die Regierung senkte zwar die Hürden für Hartz IV, doch viele Geschäftsleute und Kunstschaffende verzichteten dankend. Für sie gibt es bisher kein akzeptables Verfahren der Existenzsicherung.

Dieses müsste ohne Sanktionen und bürokratische Zwangswerkzeuge auskommen, mehr Geld zur Verfügung stellen als die kargen Hartz-IV-Sätze und eine vernünftige Kindergrundsicherung be­inhalten. Es fehlt ein freundliches Sozialsystem, das Existenzsicherung, Gerechtigkeit und Anreizwirkung verbindet, jedoch nicht mit Geld um sich wirft. 70 Prozent der Menschen in diesem Land brauchen kein Grundeinkommen.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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17 Kommentare

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  • Aha - weil der korporatistisch vermachtete Staat zwar zu kritisieren, zu reformierren und vielleicht zu reorganisieren wäre , aber weil das zu kompliziert ist, machen wir es nicht? Sch** stinkt und nervt und ist trotzdem ständig da, sogar bei ihr schaffen wir es sie irgendwie wegzuschaffen. Veraltete Strukturen müssen auch überdacht werden und dann verändert werden. Dass Beamtentum, öffentlicher Dienst, Gesellschaften, Verbände und - naja eben die altvertrauten und gewohnten Strukturen - eventuell möglicherweise inzwischen schädlich sind - da sollte man schon was verändern, auch wenn es verdammt kompliziert wird. Grundeinkommen wäre ein erster friedlicher Schritt in die richtige Richtung.

  • Das Totschlagargument von BGE-Gegnern ist immer: "Das BGE lässt sich nicht finanzieren". Dass es in naher Zukunft kaum noch Erwerbsarbeit geben wird und ein BGE kommen muss, damit es keinen Aufstand der Besitzlosen gibt, das sollte eigentlich jedem intelligenten Menschen klar sein. Das BGE wird irgendwann kommen, auch wenn einige - aus welchen Gründen auch immer - weiterhin dagegen sind, denn in einer Welt voller Maschinen, Computer, Automaten und mit Regelungstechnik gesteuerte Roboter, wird der Mensch als Arbeitskraft überflüssig werden, egal ob er nun Hilfsarbeiter oder Ingenieur ist. Finanzieren lässt sich ein BGE übrigens ganz einfach. Man muss auf Google nur "BGE-Rechner" eingeben, da kann man dann sehen wie so eine Finanzierung aussehen könnte. Das BGE ist auch keine intellektuelle Spielerei von einigen Akademikern, sondern eine Notwendigkeit.

    "Die Politiker glauben immer noch an den Mythos der Vollbeschäftigung. Sie sind ganz benebelt davon. Aber Vollbeschäftigung ist eine Lüge. Die alten politischen Parolen haben mit der Welt, in der die Menschen leben, nichts mehr zu tun. Trotz temporärer Erfolgsmeldungen wächst die Arbeitslosigkeit, das ungebremste Wachstum schädigt unsere Ressourcen." [Götz Werner, Interview in der taz, 27.11.2006]

    Das hatte Götz Werner - Milliardär und BGE-Befürworter - schon vor 15 Jahren gesagt, aber die alten Parolen werden trotzdem immer noch gebracht, und das obwohl der Klimawandel uns gerade klar macht, dass es mit dem ausufernden Wirtschaftswachstum so nicht weitergehen kann und ein Umdenken stattfinden muss. Ein Umdenken muss aber auch beim BGE stattfinden, denn die Halbleitertechnologie macht immer mehr Menschen arbeitslos, für die es auch keine neuen Jobs geben wird - auch wenn man uns weismachen möchte, dass das alles nicht so schlimm wird. Die Wirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution und ein BGE wäre also der nächste logische Schritt, damit es nicht irgendwann zu sozialen Unruhen kommt.

  • Das von Hannes Koch angeführte Kostenargument geht von der Voraussetzung aus, dass das Grundeinkommen mit der Zahl der Bürgerinnen und Bürger multipliziert werden muss. Wie er selbst jedoch zum Schluss erwähnt, benötigen 70 % überhaupt kein Grundeinkommen. Es kann also wie heute schon das Kindergeld aus Gründen der Einfachheit an alle ohne vorherige Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden, aber dann bei der Steuererklärung so berücksichtigt werden, dass es de facto nur die Bedürftigen behalten. Hierin liegt neben der geringeren Gesamtkosten auch der Schlüssel zur befreienden Wirkung des Grundeinkommens: Alle Menschen könnten selbst entscheiden, ob sie nicht ihre Arbeitszeit reduzieren und einen entsprechenden Anteil des Grundeinkommens behalten (oder unbezahlte Projekte verfolgen und es ganz behalten), so dass Erwerbsarbeitsmöglichkeiten für andere frei werden. Eine "Stillegungsprämie" ist das Grundeinkommen also keinesfalls, das ist eher das heutige ALG 2 mit seinen einengenden Sanktionen, die viele in der Armutsfalle festhalten.

  • Aktuell läuft übrigens eine Europäische Bürgerinitiative für Bedingungslose Grundeinkommen in der EU, weitere Infos hier: www.ebi-grundeinkommen.de/

  • Ist doch super!

    Wenn jeder plötzlich 1000 Euro mehr hat, dann produzieren wir ja auch eine entsprechende Gegenleistung mehr.



    Um so eher werden wir dann die 1,5 Grad Grenze erreichen. 🧐

    • @Rudolf Fissner:

      Dann brauchen wir also nur mehr Armut, mehr Obdachlosigkeit und ungeheizten Leerstand bei Wohnraum, um den Klimazielen näherzukommen!



      Im Ernst: Manche werden wegen der Finanzierung des Grundeinkommens auch eher 1000 Euro weniger haben. Und zwar die, die dieses Geld jetzt in klimaschädlichen Luxuskonsum stecken (Ferraris, Megayachten, Fernreisen, Kreuzfahrten) oder mit Immobilienspekulation die Mieten in die Höhe treiben.

  • 2G
    25968 (Profil gelöscht)

    Fragt jemand, warum die Künstler/Freischaffenden die Hilfen ablehnten? Wegen den Bedingungen ...

  • Ich hab immer noch keine überzeugende Erklärung dafür bekommen, warum ein BGE nicht zum massiven Anstieg der Mieten führen würde. Jeder Vermieter weiß doch, dass man sich mindestens tausend Euro leisten kann.

    Das “Gegenargument”, der Vermieter sei ja dann nicht mehr gierig, weil er ja selbst BGE beziehen würde, habe ich zwar öfter gehört, halte es aber für offenkundige Naivität der absurdesten Sorte.

  • Werden die Pensionen für Beamte nicht auch steuerfinanziert? Das AlG2? Die Sozialgerichte samt beamteten Richtern?



    Da könnte man doch etwas einsparen.



    Und man könnte endlich alle möglichen Vergünstigungen abschaffen. Ein Einzelfahrschein darf sehr viel teurer werden wenn das ALG2 Kind 800 Euro zum Familieneinkommen beiträgt.



    Kein sozialer Wohnungsbau mehr. Kein Wohngeld.



    Kein Bullshit. Nur Kohle. Ich freu mich drauf.

  • Eine Reform, die alles erheblich vereinfachen würde, wäre für Deutschland also zu kompliziert, weil die Verschränkung des Staates mit Unternehmen schon so weit fortgeschritten ist?

    Das ist doch das beste Argument für eine solche Reform. Und die ein oder andere noch weitreichendere Veränderung.

    • @Nifty_Monkey:

      Den Ruf nach extremer Vereinfachung hört man eigentlich nur von der FDP. Schon deswegen ist Skepsis angebracht.

      Aber ein BGE wäre ja auch ultraliberal. “Da, da hast du 1000 Euro. Nun bist du ganz allein deines Glückes Schmied, denn ansonsten gibt’s nichts mehr für dich.”

  • Es gibt verschieden modelle dazu. Es ist also absolut unangebracht, sich das schlechteste modell raus zu picken und zu sagen: nein, das geht nicht.

    nicht alle müssen das bekommen.



    Kindergeld, Rente, Hartz, Mietsubventionen, Sozialausgaben etc etc pp. das wird alles zusammengelegt.

    dann wird progressiv abgestuft und freriwilligkeit hinzugefügt.



    es kan nauch progressiv eingeführt werden, dh ers6t die armen und kinder und rente .... und dan nsehen wir mal weiter.

    das bge könnte so eine reale lösung für schnlle umverteilung (inkl sicherheit und förderung) sein. so müsste man viele system nicht ändern, die man egtl im sinne der umverteilung ändern müsste.

    der artikel wird also dem problem und der komplexität und de mpotential des themas kein meter



    gerecht!

    aber in einem hat der autor recht:



    da viele leute so beschränkt denken, ist es tatsächlich nicht einfach umzusetzen!

    beschränkte gedanken sind das, was den sozialen fortschritt und die reformation am meisten bremst!

    geht nicht ..... oh! geht doch ....



    so wars schon immer ....

  • Ach was! Wer is denn da wieder in Höchstform - wa! - 🤣🤯😰 -

    “ . Doch die Idee taugt nicht als neue soziale Sicherung.“ Ach was! Herr Koch!



    Ja. Sie sind für mich schon immer mit der zu früh gegangenen Fanny Müller - der wandelnde Prototyp “Männer inne taz!“ Gellewelle&Wollnichwoll - 🥺 -



    Im Sinne vom Alten aus Wiedensahl -



    Bitte Herr Busch - It‘s your törn - a gähn!



    “ Es wohnen die hohen Gedanken



    In einem hohen Haus.



    Ich klopfte, doch immer hieß es:



    »Die Herrschaft fuhr eben aus!«



    Nun klopf' ich ganz bescheiden



    Bei kleineren Leuten an.



    Ein Stückel Brot, ein Groschen



    Ernähren auch ihren Mann.“

    kurz - Aber vllt rufen ja doch mal -



    Die Welt - Der Spiegel - oder dies passend Dümpelblatt Die Zeit an - wa!



    JA DAS - GÖNN ICH IHNEN - 👹

  • Ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes? Interessant. Kann es sein, dass das ungefähr derselbe Umfang ist, wie die Kapitaleinkommen in Deutschland?



    Ich finde das Grundeinkommen jedenfalls nicht abwegiger als den Gedanken, das Besitz Einkommen rechtfertigt.

    Ansonsten frage ich mich, wie man mit begrenzten Beihilfen die Auswirkungen eines lebenslangen, bedingungslosen Grundeinkommen untersuchen will. Das ist nun wahrlich nicht dasselbe.

    • 2G
      25968 (Profil gelöscht)
      @yul:

      Genau: Alle, die von Zinsen leben, machen nichts anderes: Passives Einkommen, bedingungslos- keiner muss auch nur einen Finger krumm machen: Privileg der reichen Oberschicht ...

  • Die Regierung senkte zwar die Hürden für Hartz IV, doch viele Geschäftsleute und Kunstschaffende verzichteten dankend. Für sie gibt es bisher kein akzeptables Verfahren der Existenzsicherung."

    es braucht nicht eine eigene Sicherung für Freischaffende, damit sie sich nicht mit dem Plebs in eine Gesellschaft begeben müssen, auch die Hartz4ler habe diese Behandlung nicht verdient. Es braucht eine nicht menschenverachtende Grundsicherung für alle.

    • @nutzer:

      "Es braucht eine nicht menschenverachtende Grundsicherung für alle."

      Vollkommen richtig. Das BGE würde den Bürgern auch endlich die Angst nehmen, vor Hunger, vor Obdachlosigkeit und der Bevormundung der BA-Jobcenter. Aber das ist wohl nicht im Sinne der Oberen Zehntausend, die weiterhin billige Arbeitskräfte vom Jobcenter gestellt bekommen möchten, damit ihr "Monopolyspiel" weitergehen kann. Dass der Niedriglohnsektor durch die Einführung von Hartz IV immer mehr ausgebaut wurde, das weiß man doch schon lange. Das wird aber ohnehin bald ein Ende haben wenn man den Klimawandel endlich einmal ernst nimmt. Ausufernder Wirtschaftswachstum hat nämlich nicht nur Armut in der Bevölkerung erzeugt, sondern sorgt auch dafür, dass der CO2-Gehalt immer mehr ansteigt. Gegen den Klimawandel hilft auch keine Impfung wie bei Corona, da hilft nur vernünftige Klimapolitik und das Beenden des klimaschädlichen Wirtschaftswachstum - und dann müsste man auch keine armen Menschen mehr ausbeuten, die man mit Sanktionen zu jeglicher Arbeit zwingen kann. "Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann, was er will, sondern dass er nicht tun muss, was er nicht will." - Jean-Jacques Rousseau (1712 - 1778)

      Das BGE ermöglicht sicherlich kein Leben in Luxus, aber ein Leben in Würde, und dann wären die Sätze in Art. 1 GG endlich mal nicht nur hohle Worte. Soziale Politik und ein BGE muss her, dann könnte man in Deutschland - in Anbetracht von 10 Millionen Niedriglohnempfängern, 5,6 Millionen Hartz IV Empfängern, arme Rentner und steigende Kinderarmut - auch mal wieder von 'Menschenwürde' reden.