Physiker über Corona-Ausbreitung: „Wir brauchen Datenspenden“

Um die Ausbreitung von Covid-19 besser zu erforschen, ist die freiwillige Herausgabe von genaueren Daten erforderlich, sagt Dirk Brockmann.

Ein Mann steht an einem Bahnsteig und schaut auf sein Handy

„Datensicherheit ist ein heikles Thema und jeder muss selbst die Hoheit über seine Daten behalten“ Foto: Emmanuele Contini/imago

taz: Herr Brockmann, dank Corona besitzen Sie einen Schatz: Nämlich digitale Daten aus der Bevölkerung. Mit welchen Informationen arbeiten Sie?

Dirk Brockmann: Von der Telekomtochter Motionlogic bekommen wir aggregierte Handydaten. Das heißt, wir erhalten anonymisierte Daten über Mobilitätsströme aus rund 280 Landkreisen bundesweit. Diese werten wir aus und geben sie dann an Experten, zum Beispiel an Epidemiologen innerhalb des Robert-Koch-Instituts, weiter. Derzeit stehen uns Daten aus dem letzten Quartal 2019 sowie vom März 2020 zur Verfügung. Sie stehen für eine Art Stichprobe aus der Bevölkerung.

Wie genau sind diese Informationen?

Unsere Daten beziehen sich auf Verkehrs- und Bewegungsströme. Wir können sehen, wie viele Personen sich zwischen einzelnen Stadtbereichen bewegen. Aber wir sehen nicht, wie sich einzelne Menschen bewegen – also im Auto, per Bahn oder zu Fuß. Wir wissen nichts über die Person, auch nicht, wann sie unterwegs ist, da wir keine individuellen Daten über sie haben. Die Analogie dazu wäre: Wir stellen uns auf eine Autobahnbrücke und zählen Autos.

Wie stellen Sie sicher, dass diese Daten nicht in falsche Hände geraten?

Für uns alle ist Datenautonomie und Datensouveränität enorm wichtig. Wir haben uns die Infrastruktur geschaffen, damit niemand Unbefugtes an diese Informationen kommt.

Dirk Brockmann ist Physiker und Professor am Institut für Biologie der Humboldt-Universität Berlin und am Robert-Koch-Institut.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus den Daten?

Anhand der Mobilität können wir erkennen, ob Maßnahmen greifen. Also ob die Rede von Bundeskanzlerin Merkel tatsächlich einen Effekt auf das Bewegungsverhalten der Bevölkerung hat. Außerdem können wir Prognosen anstellen, wie sehr sich die Ausbreitung des Virus eindämmen lässt, wenn wir Mobilität einschränken.

Schulen und Kitas sind zu, bundesweit gilt eine Kontaktsperre. Beobachten Sie Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Bevölkerung?

Politische Debatte: Über die Einführung einer App, die helfen soll, Covid-19 einzudämmen, wird nach wie vor diskutiert. Bundesjustizministerin Christine Lambrecht hält die Nutzung einer Handy-App zur Feststellung von Coronavirus-Kontaktpersonen für denkbar. Die SPD-Politikerin besteht aber auf Freiwilligkeit sowie gute Aufklärungsarbeit über den Umgang mit den Daten. Zudem fordert sie eindeutige Richtlinien zum Löschen. Ähnlich formuliert dies der Bundesdatenschutzbeauftragte, Ulrich Kelber. Auch er sieht nur die Möglichkeit einer freiwillig installierten Corona-Tracking-App. Unionsfraktionsvize Thorsten Frei bringt nun sogar steuerliche Anreize für die Bür­ge­r:in­nen ins Spiel, die die App nutzen. „Eine Steuergutschrift könnte die Bereitschaft zum Einsatz erhöhen“, sagte Frei der Nachrichtenagentur Reuters.

Kritik von Ver­brau­cher­schüt­ze­r:in­nen: Sie stellen klare Bedingungen: Die App müsse „freiwillig, geeignet, nötig, verhältnismäßig und zeitlich befristet sein, so der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller. Eine Entscheidung darüber, ob die App kommt oder nicht, könnte am Mittwoch fallen. Dann will sich Bundeskanzlerin Merkel erneut mit den Minister­prä­si­­den­t:in­nen der Länder beraten (taz, rtr).

Vor allem für längere Distanzen hat dies einen Einfluss. Die Menschen reisen nicht mehr so viel. Auf kurzen Distanzen ist der Rückgang eher gering.

In Südkorea, Israel oder China werden im Kampf gegen Covid-19 personalisierte Daten erhoben. Hätten Sie auch gern solche Möglichkeiten?

Da bekomme ich Gänsehaut, wenn Menschen eine SMS bekommen, die ihnen sagt, du darfst nicht raus, weil du infiziert bist. Das ist Big Brother pur. Aber die Auswertung digitaler Daten ist ja per se nicht schlecht oder verkehrt. In Dänemark stellen die Menschen ihre Daten freiwillig zur Verfügung. Es wird genau erklärt, wofür sie verwendet werden und welche Erkenntnisse die Forschung sich davon verspricht.

Wünschen Sie sich also dänische Verhältnisse hier in Deutschland?

Ich hätte gerne eine Infrastruktur, über die Menschen autonom Daten spenden können. Natürlich freiwillig. Dabei wäre es egal, ob es sich um Tracking per App oder um Bewegungsdaten handelt. Aus wissenschaftlicher Sicht ist es gut, wenn man schneller an Gesundheitsdaten kommt. Datensicherheit ist ein heikles Thema und jeder muss selbst die Hoheit über seine Daten behalten.

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