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Photovoltaik schafft StromüberschussWenn der Solarstrom unterwegs verloren geht

Bei den großen Nord-Süd-Trassen wird jeder Fortschritt mit großem Pomp gefeiert. Die kleineren Verteilnetze finden wenig Beachtung. Das rächt sich.

An Solaranlagen mangelt es inzwischen nicht: Solarpark in Langenenslingen Foto: Thomas Warnack/dpa

Freiburg taz | Vor allem in Bayern wird eine der großen Herausforderungen der Stromwirtschaft deutlich: Durch Netzengpässe gehen inzwischen große Mengen an Solarstrom verloren. Von 1.389 Gigawattstunden Photovoltaik-Strom, die im Jahr 2024 in Deutschland abgeregelt werden mussten, betrafen 986 Gigawattstunden den Freistaat. Also 71 Prozent. Damit gingen im letzten Jahr in Bayern fast fünf Prozent der erzeugbaren Solarstrommenge wegen fehlender Netzkapazitäten verloren.

Der Grund der bayerischen Spitzenposition ist offensichtlich: Der Freistaat steht beim Ausbau der Photovoltaik an der Spitze. Er deckt im Jahresmittel bereits rund ein Viertel seines Strombedarfs aus Solaranlagen, während der Vergleichswert bundesweit mit 14 Prozent deutlich niedriger liegt. Der Zubau an Photovoltaik erzielte deutschlandweit zuletzt Rekorde: Gut 15 Gigawatt an Nennleistung kamen 2024 hinzu, mehr als in jedem Jahr zuvor. In diesem Jahr sind es bereits weitere acht Gigawatt.

Bei solchen Zahlen kann der Netzausbau nicht mithalten, da er lange Planungszeiten braucht – während eine Photovoltaikanlage auf dem Dach kurzfristig montiert werden kann. Entsprechend rapide nehmen die Netzengpässe zu; deutschlandweit ging im Jahr 2024 bereits fast doppelt so viel Solarstrom verloren, wie im Jahr zuvor.

In welchem Maße die Abregelung der Photovoltaik aufgrund von Engpässen im Verteilnetz oder aber im Übertragungsnetz erfolgt, ermittelt die Bundesnetzagentur nicht. Diese Kennzahl weist die Behörde nur für die Erneuerbaren in Summe aus. Danach waren im vergangenen Jahr Engpässe im Verteilnetz für 26 Prozent des verlorenen Stroms verantwortlich, der große Rest war Engpässen im Übertragungsnetz geschuldet.

Energiewende in Gefahr

Wie viel Strom braucht Deutschland in Zukunft? Das soll ein Energie-Monitoring zeigen, das Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach der Sommerpause vorlegen will. Das betraute Institut lässt Böses ahnen. Warum das die Energiewende gefährdet.

Massive Investitionen in die Verteilnetze sind nötig

Diese Unterscheidung der Netzebenen ist nötig, weil es in der öffentlichen Debatte beim Netzausbau oft so scheint, als seien allein fehlende nationale Trassen von Nord nach Süd das Problem. Doch zunehmend rückt auch das zu schwache Verteilnetz in der Mittel- und Niederspannung ins Blickfeld. Will man die Photovoltaik derart ambitioniert weiter ausbauen wie in den letzten zwei Jahren, wird man massiv auch in die Verteilnetze investieren müssen. Denn auch wenn die Aufsichtsbehörde die Zahlen nicht erhebt: Man kann annehmen, dass die Photovoltaik aufgrund ihrer dezentralen Struktur überproportional von Engpässen im Verteilnetz betroffen ist.

Unklar bleibt zudem, in welchem Maße aktuell bereits der Neubau von Wind- und Solaranlagen wegen fehlender Netze in der Warteschleife hängt. Angaben dazu hat weder die Bundesnetzagentur vorliegen, noch kann die ansonsten mit Zahlen gut vertraute Agora Energiewende hier mit Schätzungen aufwarten. Agora zitiert aber im Jahresbericht den Ausbaubedarf, wie ihn das Bundesbedarfsplangesetz und das Energieleitungsausbaugesetz ausweisen. Danach sind im Übertragungsnetz 128 Vorhaben mit einer Gesamtlänge von 16.808 Kilometern erfasst.

Die Netzkosten werden noch mehr steigen

Zugleich stellt der Thinktank fest: „Die Fortschritte bei der Fertigstellung neuer Trassen sind noch immer bescheiden.“ Zum Verteilnetz heißt es: „Der weitere Zubau dezentraler Erneuerbarer-Energien-Anlagen und die gleichzeitig stetig steigende Zahl elektrischer Verbrauchsanlagen in Privathaushalten, wie Wärmepumpen, Heimspeicher für PV-Dachanlagen oder E-Auto-Ladevorrichtungen erfordert eine fundamentale Modernisierung der Verteilnetzinfrastruktur.“ Während über die nationalen Trassen seit 20 Jahren gesprochen wird, blieb das Verteilnetz oft unter dem Radar. In seinem jüngsten Jahresbericht stellt Agora Energiewende fest, dass erstmals im Jahr 2023 „die Dimension der zu erwartenden Netzanschlüsse, der zukünftigen Stromerzeugung sowie die Dimension des zukünftigen Stromverbrauchs“ in sogenannten Regionalszenarien abgebildet worden sei.

Das war offenkundig nötig, denn mit geplanten Investitionen von zuletzt fast 12 Milliarden Euro pro Jahr liege „das Investitionsvolumen der Verteilnetzbetreiber in einer vergleichbaren Größenordnung wie das der Übertragungsnetzbetreiber“. So wird also noch viel Geld auszugeben sein, um Kupfer im Boden zu verlegen – was dann naturgemäß die Netzentgelte treibt. So sind diese nach Zahlen der Bundesnetzagentur bereits 2024 gegenüber dem Vorjahr um gut 24 Prozent gestiegen. Für Haushaltskunden benennt die Regulierungsbehörde inzwischen einen Mittelwert der Netzentgelte von 11,62 Cent je Kilowattstunde.

Durch den Ausbau der erneuerbaren Energien werden die Netzkosten weiter steigen. Zwar diskutiert die Politik darüber, dass diese Beträge künftig dem Steuerzahler aufgebürdet werden sollen, statt wie bisher dem Stromkunden per Stromrechnung. Das aber ändert nichts daran, dass der Netzausbau bezahlt werden muss – auch wenn die Kosten nicht mehr so offensichtlich zutage treten wie heute, wo sie die Netzentgelte treiben.

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