Philosophie über Hoffnung: Wer hofft, umarmt das Unbekannte
Über die Rolle von Hoffnung in der Klimakrise wird oft gestritten. Auch, weil nicht alle das Gleiche meinen, wenn sie davon sprechen.
Wieder türmen sich schmutzige Teller, Tassen und Töpfe im Spülbecken, der Stapel wächst stetig an. Der Wasserhahn sieht daneben lächerlich klein aus. Aber Abwaschen? Keine Lust. Heute ist nicht der Tag, um Geschirrberge zu versetzen. Hoffentlich kümmert sich die Mitbewohnerin.
Etwa so verstehen die Umweltaktivist:innen von Extinction Rebellion Hoffnung. Hoffen, dass andere es machen. Die Gruppe lehnt den Begriff vehement ab. Clare Farrell, Mitgründerin von Extinction Rebellion, sagte im Podcast The Ideaspace „Hoffnung ist für mich das Gegenteil der Erkenntnis, dass man etwas tun muss. Ich hoffe, dass jemand anderes das Problem lösen wird.“ Eine solche Haltung hält sie für katastrophal, sie meint: „Die Hoffnung stirbt und das Handeln beginnt.“ Das ist auch der Slogan der Bewegung. Für sie bedeutet Hoffnung in erster Linie Passivität. Deshalb sei Hoffnung die falsche Antwort auf die Klimakrise. Aber wenn Hoffnung die Aktivist:innen nicht antreibt, was ist es dann? Wieso engagieren sie sich trotzdem?
Aktivimus entsteht durch Wut
Empirische Forschung dazu, was Klimaaktivist:innen von Hoffnung halten, gibt es wenig. Für meine Masterarbeit habe ich manche von ihnen zu diesem Thema interviewt. Viele Aktivist:innen sagen: Das Handeln, also die Waldbesetzungen, die Demos, das alternative Leben, ließe zwar hoffen, aber das Hoffen selbst führe umgekehrt nicht zum Handeln. Aktivismus entstehe eher durch Wut. Wut auf das politische System, auf Politiker:innen, die nicht schnell und umfangreich genug handeln. Noch motivierender sei aber das Gefühl, einem System zu trotzen. Aktiven Widerstand zu leisten.
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Philosoph:innen irritiert dieser negative Blick auf die Hoffnung oft. Für viele von ihnen ist Hoffnung etwas Positives. Hoffnung sei eine Strategie, um mit Klimaangst umzugehen. Oder eine Tugend, die wir, so gut es geht, ausleben sollten. Was ist mit den Normalos, die nicht aus Wut und Trotz Bäume besetzen? Auch sie leiden unter Naturkatastrophen wie im vergangenen Jahr, als im Ahrtal ganze Häuser vom Erdboden verschluckt wurden. Oder wenn Sommer für Sommer der Wald verbrennt. Dürfen sie noch hoffen, dass sich alles zum Guten wendet?
Der Philosoph Brian Treanor von der Loyola Marymount Universität in Kalifornien argumentiert, der Klimawandel werfe essenzielle Fragen auf, weil er unsere Perspektiven auf die Ordnung und Sinnhaftigkeit der Welt in Frage stellt. Ist die Erde in ein paar Jahrzehnten noch für Menschen bewohnbar? Stirbt die Menschheit aus?
Für Treanor ist Hoffnung die richtige Antwort auf diese existenziellen Ängste. Denn „Hoffnung und Hoffnungslosigkeit sagen jeweils etwas über das Sein an sich aus – über die Sinnhaftigkeit oder Sinnlosigkeit davon“, schreibt er. Hoffnung habe demnach etwas Lebensbejahendes. Wer hofft, sieht einen Sinn im Leben. Wer sich hoffnungslos fühlt, sieht keinen Sinn. Auch in Bezug auf Angst ist nach dieser Logik eine positive Einstellung zum Leben hilfreicher als eine fatalistische.
Hoffnung ist auch Mathe
Darin, was Hoffnung genau bedeutet, sind sich Forscher:innen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen uneinig. Hoffnung kann zum Beispiel mathematisch ausgedrückt werden – Hoffnung heißt dann, dass man sich ein bestimmtes Ergebnis herbeisehnt, während dieses mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als null und weniger als eins eintreten kann.
Hoffnung habe eine kognitive sowie eine emotionale Komponente, heißt es häufig. Die kognitive Komponente von Hoffnung ermögliche es uns Menschen, uns bestimmte Wege zu überlegen und diese zu gehen, um schließlich zum Ziel zu gelangen. Ein Beispiel: Es war das große Ziel von Fußballsuperstar Lionel Messi, einmal in seinem Leben die Herren-Weltmeisterschaft zu gewinnen. Man könnte argumentieren, dass die argentinische Nationalmannschaft dazu auch deshalb in der Lage war, weil sie die Taktik von Spiel zu Spiel neu entworfen und auch erfolgreich ausgeführt hat.
Mit der emotionalen Komponente ist das ermächtigende Gefühl gemeint, das eintritt, wenn Menschen motiviert sind zu handeln, obwohl sie das letztendliche Ergebnis nicht vorhersehen können.
Diese Ungewissheit ist tatsächlich eine Voraussetzung für Hoffnung. Wenn das Ergebnis bereits bekannt ist, sprechen wir nicht vom Hoffen, sondern vom Wissen. Deshalb schreibt die Schriftstellerin Rebecca Solnit: „Hoffnung ist eine Umarmung des Unbekannten und Ungewissen, als Alternative zu der Gewissheit der Optimisten und Pessimisten.“ Sie meint damit: Im Unterschied zu Hoffenden glauben Optimisten und Pessimisten mit Sicherheit zu wissen, was geschehen wird. Die Optimistin ruft: „Das wird schon werden!“ Der Pessimist erwidert: „Das klappt eh nicht.“ Nur die Hoffende lässt Unsicherheit zu: „Ich hoffe, das wird irgendwie.“
Solnits Konzept hat auf den Klimawandel bezogen jedoch einen Haken. Auch wenn kein Klimamodell die Zukunft kennt, werden die Prognosen immer präziser. 1968 war die Genauigkeit der Wettervorhersage für den nächsten Tag so gut wie heute für den sechsten Tag. Das bedeutet wiederum: Der Raum für Ungewissheit wird immer kleiner. Die Art von Hoffnung, die sich auf Ungewissheit gründet, verliert in diesem Fall ihr Potenzial.
Die Zahlen sprechen gegen die Hoffnung, das Herz dafür
Der Philosoph Gabriel Marcel hat darauf eine Antwort. Er schreibt: „Hoffnung besteht in der Behauptung, dass es im Herzen des Seins, jenseits aller Daten, jenseits aller Inventare und aller Berechnungen, ein geheimnisvolles Prinzip gibt, das mit mir im Bunde ist.“ Laut Marcel ist Hoffnung also keine Mathematik. Im Gegenteil, Hoffnung höre nicht auf Zahlen und Daten, sondern auf das Herz. Das ist praktisch, denn zum Klimawandel gibt es einen gigantischen Haufen Daten, die allesamt gegen Hoffnung sprechen. Marcel erinnert daran, dass Hoffnung nicht in der Realität verankert sein muss. Sein Konzept erlaubt, trotz Klimakrise hoffnungsvoll zu sein.
Diese romantische Vorstellung der Hoffnung, mag für manche Menschen jedoch einen zynischen Unterton haben. Indigene Forscher:innen aus Nordamerika betonen seit Langem, dass die Klimakatastrophe, die viele als aktuell größtes Problem der Menschheit betrachten, für sie schon vor über 500 Jahren eingetreten ist. Dem Genozid an Indigenen, Resultat der europäischen Migration nach Amerika, folgte die Ausbeutung der dortigen Flora und Fauna, der Lebensgrundlage indigener Norderamerikaner:innen. Nun, da eine Klimakatastrophe auch den Rest der Menschheit umzubringen droht, diskutiert die Weltgemeinschaft Handlungsoptionen. Für viele über 500 Jahre zu spät.
Weil die Grundvoraussetzung für Hoffnung individuell unterschiedlich ist, entkoppeln Moralphilosoph:innen sie von äußeren Umständen wie dem Klimawandel. Sie betrachten Hoffnung als Selbstzweck. Zu Hoffen schütze einen selbst vor negativen Gefühlen wie Panik und Verzweiflung, argumentiert der Philosoph Philip Pettit. Hoffen tut uns also gut. Eine wertvolle Botschaft der Philosophie könnte also lauten: Wenn die Welt einem keinen Grund zur Hoffnung gibt, so ist man selbst doch Grund genug.
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