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Philosoph über mehr Klimaschutz„Ein gerechter Übergang ist wichtig“

Am Dienstag gab es wieder einen Gipfel mit der Kanzlerin, um den Kohleausstieg zu beschleunigen. Darrel Moellendorf plädiert für mehr Gerechtigkeit.

Zankapfel Kohleausstieg: Was wäre gerecht? Foto: dpa
Sinan Reçber
Interview von Sinan Reçber

taz: Herr Moellendorf, in Europa und außerhalb hängen viele Arbeitsplätze am Kohleabbau . Wenn die Weltgemeinschaft von der Kohleenergie abrückt, was wird dann aus diesen Menschen?

Darrel Moellendorf: Ein gerechter Übergang zu einer grünen Wirtschaft für die Bergarbeiter in Deutschland, Polen und anderswo ist wichtig, weil sie nicht unter Arbeitslosigkeit und Armut leiden dürfen, während neue Industrien für erneuerbare Energien sehr reich werden. Das ist auch politisch wichtig, da der Rückhalt für eine Klimapolitik, die wir künftigen Generationen schulden, davon abhängt, dass es Vorteile hat, den Klimawandel zu bekämpfen.

Wie schaffen wir diesen gerechten Übergang?

Beschäftigte in der Fossilindustrie sollten Unterstützung und Umschulungen erhalten, damit sie andere Berufe annehmen können. Auch ein bedingungsloses Grundeinkommen scheint angemessen. Es wäre ein großer politischer Fehler, den Klimawandel mit einer Form von Austeritätspolitik in Verbindung zu bringen. In den USA gibt es Diskussionen über eine Gesetzesvorlage mit dem Namen Green New Deal. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung.

Die Weltgemeinschaft hat sich in Kattowitz auf einen Fahrplan zur Begrenzung der CO2-Emissionen geeinigt. War das auch ein Schritt in die richtige Richtung?

Die Ergebnisse in Kattowitz berücksichtigen einen wichtigen Aspekt der internationalen Gerechtigkeit: Die Festlegung gemeinsamer Regeln für die Messung und Berichterstattung von Emissionsminderungen. Diese Transparenz ist wichtig, um Vertrauen zu schaffen.

Und wenn jeder Mensch gleich viel CO 2 -Emissionen ausstoßen würde, wäre das gerecht?

Wenn unsere Emissionen gegen Null gehen, konvergieren sie auch zu gleichen Emissionen pro Kopf. Aber das ist ein Zufall, nicht das Ziel. Gerecht wäre die Klimapolitik vor allem dann, wenn die Weltgemeinschaft rasch Netto-Null-CO2-Emissionen erzielt und zwar so, dass sie die Entwicklung der Entwicklungsländer nicht beeinträchtigt.

Im Interview: Darrel Moellendorf

Darrel Moellendorf ist Professor für Internationale Politische Theorie und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt und forscht unter anderem zum Themengebiet Klimawandel und Gerechtigkeit.

Aber wie soll das gehen?

Dafür müssen sich alle Länder zu Emissionsreduktionen verpflichten und diese nach und nach anziehen. Entwicklungsländer müssen ihre Energieproduktion neu strukturieren und von der Kohleenergie weg hin zu den erneuerbaren Energien. Die ärmsten Länder sollten in der Lage sein, den Einsatz fossiler Energien zu überspringen, was aber einen Technologietransfer und Entwicklungshilfe durch Industrieländer voraussetzt.

Wie könnten die Klimaverhandlungen gerechter ablaufen?

Gerechter wäre es, die Entwicklungsländer nicht unter Druck zu setzen und ein bestimmtes Klimaschutzziel zu akzeptieren. Wichtig ist nämlich das Recht auf nachhaltige Entwicklung, das die Klimarahmenkonvention anerkennt. Um dieses Recht zu respektieren, müssen die vermögenden Industrieländer stärker belastet werden. Die können nämlich am ehesten Emissionen reduzieren, ohne das moralisch verpflichtende Ziel der Armutsüberwindung einzuschränken. Alle Länder bringen ihre eigenen Ziele zu den Vereinten Nationen, aber die Summe dieser Ziele ist nicht ausreichend. Auch der Gerechtigkeit zwischen den Generationen wäre gedient, wenn alle Länder ehrgeizigere Minderungsziele annehmen.

Darf die Wirtschaft in Industriestaaten wie Deutschland überhaupt noch wachsen? Das würde doch einen weiteren Anstieg von CO 2 -Emissionen bedeuten.

Wirtschaftswachstum ist nicht das Problem. Nach ökonomischen Einschätzungen des Weltklimarats IPCC ist ein Wachstum der Weltwirtschaft mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar. Der Ökonom Thomas Piketty zeigte, dass ein verlangsamtes Wirtschaftswachstum die Schere zwischen arm und reich weltweit vergrößern würde. Dazu gehört auch, dass Wachstum ein Treiber für technologische Innovationen ist. Und die brauchen wir dringend bei der Energieproduktion und bei dem Entfernen von CO2-Emissionen aus der Atmosphäre.

Wenn nicht das Wirtschaftswachstum entscheidend für den Klimaschutz ist, was dann?

Die Frage ist eher, ob die Verbrennung von fossilen Brennstoffen ansteigen wird. Die Finanzkrise 2009 hat gezeigt, dass in Industrieländern, in denen die Wirtschaft einbricht, die Emissionen nur wenig sinken, aber die Rezession auf der ganzen Welt viel Elend verursacht. Die Weltbank schätzt für einen Prozent Wachstumsverlust bis zu 20 Millionen Menschen in Armut. Eine Politik des Wachstumsrückgangs steht also nicht im Einklang mit dem Recht auf nachhaltige Entwicklung.

Die Schweden wollen der Umwelt zuliebe nicht mehr fliegen und haben jetzt ein eigenes Wort dafür: „Flugscham“. Sollte sich jeder für seine Flugreisen schämen?

Kampagnen, die gewöhnliche Menschen beschämen wollen, sind politisch nicht nützlich und lösen keine Probleme. Ohne politische Änderungen, die auf Energieverbrauch und Landwirtschaft abzielen, bleiben die CO2-Emissionen weiter zu hoch. Die Menschen werden legitimerweise weiter fliegen wollen. Das ist ein Teil der globalisierten Welt, in der wir leben, und da gibt es kein zurück. Die meisten von uns wollen das auch gar nicht. Wir benötigen neue Formen der Luftfahrttechnologie. Letztlich müssen wir auch Verfahren entwickeln, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen.

Und wenn auf absehbare Zeit keine neuen Technologien entwickelt werden?

Der Flugverkehr wird natürlich weiterhin Emissionen verursachen, bis eine neue Flugzeugtechnologie entwickelt worden ist. Wirtschaftlich und politisch ist es unrealistisch zu glauben, wir könnten von einer Welt, in der wir den Luftverkehr nutzen, Abschied nehmen. Emissionen aus dem Luftverkehr müssen wie andere Emissionen aus der Atmosphäre entfernt werden. Jedes Szenario, das vom Weltklimarat untersucht wurde, um die Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, erforderte den Einsatz von Technologie zur Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre. Es scheint keinen anderen Weg zu geben, um den Klimawandel ausreichend zu mildern, ohne dass die Wirtschaft völlig zusammenbricht.

Wo verläuft die Grenze zwischen einem klimagerechten und einem klimaungerechten Lebensstil?

Hier gibt es keine klaren Linien. Der Versuch, sie zu zeichnen, wäre töricht. Wir sollten alle auf unsere Emissionen achten, aber der klimafreundlichste Lebensstil besteht wahrscheinlich darin, politischen Druck auszuüben.

In Deutschland diskutierte man zuletzt über die Einführung eines sogenannten „Klimapasses“. Damit würden Menschen, die ihre Heimat aufgrund des Klimawandels verlieren, die Möglichkeit auf Asyl bekommen.

Ohne Zweifel müssen wir etwas in diese Richtung tun. Der Klimawandel erfordert wahrscheinlich eine Umsiedlung der Menschen, zumindest saisonal, in vielen Fällen jedoch dauerhaft. Die Industrieländer sind mit dem globalen Migrationsdruck nicht gerade auf vorbildliche Weise umgegangen. Die Gerechtigkeit erfordert es jedoch.

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10 Kommentare

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  • 6G
    61321 (Profil gelöscht)

    "Kampagnen, die gewöhnliche Menschen beschämen wollen, sind politisch nicht nützlich und lösen keine Probleme. Ohne politische Änderungen, die auf Energieverbrauch und Landwirtschaft abzielen, bleiben die CO2-Emissionen weiter zu hoch. Die Menschen werden legitimerweise weiter fliegen wollen. Das ist ein Teil der globalisierten Welt, in der wir leben, und da gibt es kein zurück. Die meisten von uns wollen das auch gar nicht. Wir benötigen neue Formen der Luftfahrttechnologie. Letztlich müssen wir auch Verfahren entwickeln, die CO2 aus der Atmosphäre entfernen."



    Ein Philosoph ist vor allem einer, der anderen nicht gefällig nach der Schnauze redet. Wenn er dann noch 1 und 1 zusammenzählen kann, ist das schon die halbe Miete für ein furioses Denkgebäude.



    Mein Jott, es gäbe so viele interessante und intelligente Gesprächspartner.....

  • Was hat dieser Philosoph uns zu sagen? Bloß keine Verantwortung für den eigenen Beitrag zur Zerstörung der Umwelt übernehmen. Das könnte ja auf Konsumverzicht hinauslaufen und das sehen wir nicht ein. Dann schon lieber just for fun hier und dort hinfliegen und saftige Steaks verzehren, als Einzelner tausendfach mehr Schaden anrichten als viele der Menschen, die am meisten unter der Klimakatastrophe zu leiden haben.



    Hier nochmal die sehr gut argumentierte Gegenposition, wo die Wichtigkeit des Verhaltens des Einzelnen ausgeführt wird:



    slate.com/technolo...ective-action.html

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Renate:

      Was machen jene Foristen, deren Schulenglisch minus Vergesslichkeitsfaktor nicht zum Verständnis des Textes reicht?

      • @76530 (Profil gelöscht):

        Wäre ein lohnender Anlass, das Schulenglisch ein wenig aufzufrischen. Zumal man immer wieder mit dieser beknackten Behauptung konfrontiert wird, dass das Konsumverhalten des Einzelnen völlig wurscht ist. In dem Artikel wird z.B. ausgeführt, wie das Verhalten Einzelner soziale Normen inspiriert, dass auf diese Weise Momentum gebildet wird, das zum einen reale Verbesserungen mit sich bringen kann und zum anderen den Rahmen für das Durchsetzen gesetzlicher Regelungen schafft.

        • 7G
          76530 (Profil gelöscht)
          @Renate:

          Na, das nenne ich timing.

          Ich bekenne offen: Das Auffrischen des Schulenglischs scheitert an meiner fehlenden Lernbereitschaft. Ich halte mich schon genug im Kopf auf. Da ist es mitunter sehr eng.

          Deshalb danke für Ihren Service. Vielleicht haben Sie noch einen Namen oder ein Stichwort für meine Recherche. Auf deutsch.

          Das Thema (Verhalten Einzelner und soziale Normen) ist für einen soz.wiss. geprägten Menschen spannend.

          • @76530 (Profil gelöscht):

            Als Stichwort fiele mir z.B. "Flugscham" ein. Es ist einfach ein Unterschied, ob man in einem Umfeld lebt, wo mit möglichst weiten und häufigen Flugreisen regelrecht angegeben werden kann oder in einem Umfeld, wo mehr und mehr Menschen explizit auf solche Reisen verzichten. (Im Gegensatz zu Herrn Moellendorf kann ich mir gut vorstellen, dass ein solches Konzept, ein solcher Wortgebrauch, vor allem in Verbindung mit konsequentem Verhalten, etwas Positives bewirkt.)

  • 7G
    76530 (Profil gelöscht)

    In meinen Augen ein höchst entbehrliches Interview.

    Dass beim Kohleausstieg die Bergarbeiter nicht auf der Strecke bleiben dürfen, ist ein Gebot von Solidarität und humaner Selbstverständlichkeit. Und damit eine Binsenweisheit.

    Die 'Gerechtigkeit' (gemeint ist hier wohl die Besitzstandswahrung) sollte sich vor allem auf den Rest der Menschheit und die Natur beziehen.

    Für mich ein Beispiel, wie man mit richtigen Begriffen eine Debatte entleeren oder in die falsche Richtung lenken kann.

    Wie wäre es zur Abwechlung mal mit einem Interview mit einem Sachverständigen, der die Bereiche Energie, Technologie und Ethik gleichermaßen abdeckt? Herr Moellendorfs Ausführungen waren hier wenig tauglich.

  • Zitat: „Wirtschaftswachstum ist nicht das Problem.“

    Welch eine Aussage für einen Universitätsprofessor! Ich fürchte bzw. hoffe, mindestens jeder zweite seiner Studenten würde dieses Postulat auf Anhieb relativieren.

    Wirtschaftswachstum ist nicht gleich Wirtschaftswachstum. Nehmen wir als Beispiel nur mal die Energiewirtschaft. Der Aufwand, der betrieben werden muss, um Öl, Gas und Kohle zu gewinnen, wird ständig größer. Es werden etwa immer größere Maschinen gebraucht für die Energiegewinnung, die – sowohl bei ihrer Herstellung als auch im Betrieb – immer mehr Energie verbrauchen. Ein Wachstum, das durch den Verkauf von immer mehr auf diese Art gewonnener Energie generiert wird, ist sehr wohl ein Problem, und zwar ein ziemlich großes. Die Hoffnung darauf aber, dass die kapitalistische Wirtschaft quasi über Nacht und in ausreichendem Umfang Technologien bereitstellen wird, mit denen immer schneller immer mehr CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden kann, ähnelt unter den gegebenen Umständen dem Glauben an den Weihnachtsmann.

    Apropos Glauben: Dass „der klimafreundlichste Lebensstil [...] wahrscheinlich darin [besteht], politischen Druck auszuüben“, ist die beliebteste Lebenslüge „moderner“ Autoritärer. Druck erzeugt nicht nur in der Physik immer einen Gegendruck. Es ist eher der Zug, den erfolgreiche Lobbyisten nutzen. Aber um Zug ausüben zu können, braucht der Mensch erst einmal eine Idee. Dieser „Philosoph“ hat erkennbar keine. Jedenfalls keine, die über ein „Weiter so!“ hinaus ginge. Und wie weit man kommt, wenn man den den Menschen sagt, dass ihr (Nicht-)Handeln keine Probleme verursacht, merken wir grade: Genau so weit nämlich, wie man mit Druck kommt. Die einzige Bewegung, die man auf die Art provoziert, ist eine Rückwärtsrolle. Die aber kriegt der Rest der Welt vermutlich auch ohne geschwätzige Philosophie-Professoren hin.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @mowgli:

      Dem Einwand in Sachen "Idee" schließe ich mich vollumfänglich an.

      Er betrifft nicht nur Herrn Moellendorf, sondern die NeoLibs generell. Ich habe seit langem keine stichhaltige ökonomische Begründung gehört, gesehen, gelesen, die mehr zu bieten gehabt hätte als das "WEITER SO".

      Erstaunlich, womit sich Menschen abfinden lassen - um dann im stillen Kämmerlein den Papiertiger zu mimen.

  • CO2, Herr Moellendorf, verbleibt mehrere Jahrtausende in der Atmosphäre.

    Es fällt auch bei der Entwicklung und Herstellung neuer Technologien und dem Aufbau neuer Industrien an. Der CO2 Ausstoß geht nicht zurück, wenn sie parallel und zusätzlich neben den Alttechnologien betrieben und genutzt werden.



    Es gibt einen Zusammenhang zwischen menschengemachtem Wirtschaftswachstum und menschengemachten Klimawandel.

    Technologiegläubigkeit als Religion; der Glaube an den ewig klimaneutral brennenden Busch, dessen Flammen ihn nie verzehren, auf einem unendlichen Planeten, mit unendlichen Ressourcen und Rohstoffen, der auf ewig die unendlichen Kapitalinteressen und unendlicher Verschwendungssucht befriedigen!

    Sorry, aber das ist vormittelalterliches Weltverständnis. Willkommen auf einer Diskussionsebene, bei der sich die Sonne um die Erde dreht und diese eine Scheibe ist!