Pfosten im Weinberg: Das härteste K in ganz Franken
Stöcke tragen viele Namen: Prügel, Knüppel, Pflock. In Franken gibt es im Weinbau den Stickl, der erstaunlich unfränkisch ausgesprochen wird.

E s heißt, die Inuit hätten hundert verschiedene Wörter für Schnee. Aber wissen Sie, wie viele Wörter die Deutschen für ein Stück Holz haben? Ich habe aufgehört zu zählen. Es sind eine Menge.
Was ich meine, ist ein einfacher Stock, man könnte auch sagen, ein Holzstab. Je nach Form ist es ein richtiger Prügel, dann wieder ein grobes Scheit, in die Erde gerammt ein Pflock, eng aneinander auf den Boden gelegt ergeben abgebrochene Äste oder zusammengesägte Stämme einen Bohlendamm oder Knüppelweg. Ich könnte noch ewig weitermachen, würde mir die Redaktion den Platz dafür geben. Denn über den deutschen Dialekt wird die Vielzahl an Begriffen für kleinere oder größere Stäbchen quasi noch einmal ins Quadrat genommen.
Ich habe keine Ahnung, ob das etwas über die Deutschen und ihre Sprache sagt. Vielleicht ist es ein Ausfluss dieser sprichwörtlichen Liebe zum Wald, die so viele Begriffe für nützliches Totholz geboren hat, ob Latte, Stiel, Stecken oder Pfahl. Inzwischen ist mir in Unterfranken ein neues Wort begegnet: Stickl.
Ist man des hiesigen Dialekts nicht mächtig, kann man das wegen der Verniedlichungsform erst mal für so etwas wie einen Zahnstocher oder einen Schaschlikspieß halten. Könnte ja sein, dass das Wort dem englischen „stick“ entlehnt worden ist. Doch weit gefehlt: Stickl sind mächtige Pfosten, die in die Weinberge gerammt werden, um daran Drähte zu spannen, an denen sich der Wein entlangrankt. Inzwischen sind sie meist aus Stahl, heißen aber weiterhin Stickl. Auch hölzerne gibt es noch, etwa um junge Bäume daran zu binden. Und wir haben sogar einen uralten Stickl mit einem tiefen mahagonifarbenen Glanz. Er dient dazu, Obst einzustampfen, um später aus der vergorenen Maische Schnaps zu brennen.
Das eigentlich Faszinierende aber ist: Das Ding passt nicht zum Dialekt. Das Fränkische lebt von der Verweichlichung von normalerweise harten Konsonanten wie T, P und K. Was dazu führt, dass eine Papiertüte zur Babierdüddn mutiert. Doch selbst eingefleischte Muttersprachler beherrschen es nicht, den „Stiggl“ verbal angemessen weichzuklopfen. Nie haben Franken ein härteres K über die Lippen gebracht als bei diesem Wort.
Man würde ihnen auch wünschen, dass es eine Alternative für den Begriff „Terroir“ gäbe. Der französische Begriff bezeichnet das Zusammenspiel von Boden und Mikroklima, das dem Wein seinen Charakter gibt. Hier spricht man das entweder „Derroa“ aus, was sehr wie Diarrhö klingt, oder auch einfach „Derror“, was zu terrormäßigen Missverständnissen führen kann. Irgendwelche Vorschläge? Wir würden dafür den „Stickl“ eintauschen.
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