Pfle­ge­r*in­nen über ihre Arbeit: „Es wird immer schlimmer“

Der Pflegebereich ist chronisch unterfinanziert. Viele Beschäftigte sind gestresst und ausgebrannt. Unser Autor sprach mit Betroffenen.

Eine Pflegerin in Schutzkleidung an einem Krankenbett

Schwerstarbeit auf einer Corona-Intensivstation Foto: Fabian Strauch/dpa

Der Pflege und dem Care-Bereich ging es schon vor Corona nicht sonderlich gut. Als die Pandemie begann, war vielen Beschäftigten klar: Es würde übel werden. Das betraf nicht nur die Krankenhäuser und Pflegeheime, auch andere Bereiche sahen sich schlagartig vor neue Herausforderungen gestellt.

Die Protokolle in diesem Buch ergeben keine soziologische Studie, sondern erzählen die Werdegänge und Motivationen der jeweiligen Protagonist*innen. „Es ist schwer gerade. Ich hab das Gefühl, alle lassen uns hängen. Ich bin mal gespannt, was das mit den Mitarbeitenden macht, wenn das Interesse so gering bleibt.“ (Nina, Anfang 40, Pflegerin, zu Beginn der Pandemie)

Tatsächlich brachte Corona viele neue Ex­­per­t*in­nen hervor, Vi­ro­lo­g*in­nen, Epi­de­­miolog*innen, Sta­tis­ti­ke­r*in­nen. Menschen aus der Pflege und der sozialen Arbeit waren wenige dabei, und wenn doch – wie im Falle des medial präsenten Berliner Pflegers Ricardo Lange –, dann waren das oft Intensivpfleger*innen, also hochqualifizierte Fachkräfte, deren Tätigkeit stark medizinisch ausgerichtet ist und weniger stark sozial.

In meinem Buch äußern sich einige Protagonist*innen, deren Bereich zwar hochbelastet war, über die aber kaum geschrieben wurde; etwa Be­treue­r*in­nen aus der stationären Jugendhilfe, die sich von heute auf morgen vor der Herausforderung sahen, im Einzeldienst neun Kinder – teils mit hohem Förderbedarf – homezuschoolen.

Der reine Zynismus

„Die Schulschließungen haben sehr viel kaputtgemacht zwischen uns, also dem Team, und den Kindern, weil wir in eine Rolle rutschen, die nicht unsere ist; eine sehr autoritäre Rolle, was die Schule betrifft, was das Lernen betrifft.“ (Marion, Anfang 30, Erzieherin)

Frédéric Valin: „Pflegeprotokolle“. Verbrecher Verlag, 18 Euro

Nichtsdestotrotz sind die Belange der Pflege häufiger diskutiert worden als vor der Pandemie, und weite Teile der Öffentlichkeit wünschen sich eine bessere Behandlung der Care-Berufe. Umfassende politische Konzepte dazu fehlen allerdings; stattdessen hat Jens Spahn die Pflegekräfte selbst in die Pflicht genommen und gesagt, sie müssten mehr Verantwortung übernehmen, um in Tarifverhandlungen höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu erkämpfen.

Das ist der reine Zynismus, weil Jens Spahn natürlich klar ist, dass durch das kirchliche Arbeitsrecht in vielen Pflegebereichen die wichtigsten Instrumente zum Arbeitskampf fehlen, es beispielsweise keine Betriebsräte geben darf und Streiken verboten ist.

Einige Monate zuvor hatte die Caritas aufgrund des kirchlichen Arbeitsrechts einen fertig ausgehandelten Flächentarifvertrag platzen lassen, der für Kol­le­g*in­nen der privaten Träger echte Verbesserungen vorgesehen hätte. Jens Spahn hat sich dazu gar nicht geäußert und auch keine Reformen angestoßen, um die rechtliche Situation in seinem Bereich zu verbessern.

Außerdem hat, das wird in vielen der Gespräche deutlich, der Pflege- und Carebereich ein Problem mit Fehlerkultur und Hierarchien; auch in jenen Institutionen, die Betriebsräte erlauben.

Betriebsräte sollen umgepolt werden

„Meine Geschäftsführung hat mich gefragt, ob ich Betriebsratsvorsitzende werden möchte. Da dachte ich mir: „Entschuldigung, in welche Richtung geht das Ganze?“ Ja, und im nächsten Moment haben die mich dann gefragt, ob ich irgendwo Leitung werden wollen würde. Das hat bei uns eine gewisse Tradition, dass Betriebsräte, die viel reden und viele Kontakte haben, in Leitungstätigkeiten kommen und teilweise komplett umgepolt werden. Das geht nicht, ich kann so was nicht machen.“ (Cordula, Anfang 30, Betriebsrätin)

Ohne Korrektive aus der Praxis sind aber substanzielle Verbesserungen ausgeschlossen. So fallen auch die Erwartungen, was die Zukunft anbelangt, düster aus:

„Ich hab das Gefühl, es wird immer schlimmer. Während ich da war, wurde im Klinikum eine neue Pflegedirektion eingestellt, die an den Zahlen feilen sollte. Die hat erst mal 56 Pflegekräfte im ganzen Krankenhaus entlassen und dann waren die Zahlen besser, aber die Krankenhausarbeit viel schlechter. Schließlich kam eine große Kündigungswelle, die Leute sind alle gegangen, da war das Geheule wieder groß.

Sie haben versucht, das mit Leuten aus dem Ausland zu regeln, indem sie Italiener und Spanier holen. Die wurden allerdings behandelt wie Scheiße. Jeder von denen hatte einen anderen Arbeitsvertrag. Jeder hat unterschiedlich verdient. Man hat ausgenutzt, dass sie nicht zu hundert Prozent Deutsch sprechen konnten. Die sind mittlerweile auch alle wieder weg.“ (Klaus, Ende 20, Intensivpfleger)

Das Helfersyndrom

Warum gehen Menschen trotzdem in den sozialen Bereich?

„Ich habe schon immer so ein Helfersyndrom gehabt, habe es aber oft im privaten Bereich ausgelebt und bin dann vor etlichen Jahren in eine schwere Depression geraten. Meine Therapeutin stellte mir einen Krug mit Wasser auf den Tisch, mehrere Plastikbecher.

Und ich sollte die Becher beschriften mit all den Aufgaben und Menschen, die meine Energie benötigen. Und dann sollte ich die Energie, das Wasser aus dem Krug entsprechend verteilen und die Becher füllen. Als ich fertig war, kuckte mich die Therapeutin nur an und fragte: „Wo ist der Becher mit Ihrem Namen?“

Und ich: „Hä? Was meinen Sie?“ Heraus kam, dass ich mehr auf mich achten muss. Ich bin dann raus, war ja damals in einer Tagesklinik, bin aufs Klinikgelände, eine rauchen und war so voll neuen Mutes. Und sehe beim Rauchen aus dem Augenwinkel eine Patientin im Rollstuhl sitzen, schwer behangen mit lauter Beuteln, nasse Hose, Riesenpfütze unterm Rollstuhl. Sie ist da völlig alleine. Kein Pfleger, nix. Irgendwie.

Und ich denke: „Das ist jetzt nicht euer Ernst.“ Ich kucke rüber, und dann sag ich: „Nein, du hast jetzt gerade beschlossen, du kümmerst dich nicht permanent um andere, du kümmerst dich um dich.“ Aber ich konnte nicht anders. Ich kuckte in den Himmel und sagte „fuck you“ zum Universum, bin zu der Frau und hab ihr natürlich geholfen, sie ins Haus zurückgeschoben, die Pfleger rausgeklingelt und blablabla.“ (Yolá, Ende 40, Erwachsenenbildung)

In der Zwischenzeit sind einige der Prot­ago­nis­t*in­nen aus dem Beruf ausgeschieden, weil die Belastung zu hoch wurde; bei anderen sind die Teams zerbrochen. Der deutsche Berufsverband für Pflegeberufe hat in einer bundesweiten Umfrage aus dem Dezember 2020 herausgefunden, dass ein Drittel der Pflegenden erwägt, aus dem Beruf auszusteigen.

Arbeit mit Unsichtbaren

Und das, obwohl der Bereich ohnehin schon dramatisch unterbesetzt ist: Laut dem Gesundheitsexperten Prof. Dr. Michael Simon fehlten allein in den Krankenhäusern im April 2020 100.000 Pflege-Vollzeitstellen. In den Altenheimen sind es laut einem Gutachten, das vom Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gegeben wurde, 120.000 Stellen.

„Ich bin schon länger wieder zu Hause, ich gehe nicht arbeiten, keine zehn Pferde kriegen mich wieder in die Pflege. Ich hab immer erwartet, dass sich irgendwas ändert. Ich habe eine Nachbarin, die hat jetzt gerade angefangen mit ihrer Ausbildung, die ist auch bei einem Pflegedienst, den ich gut kenne. Und es ändert sich nichts.“ (Andrea, Ende 50, examinierte Krankenpflegerin)

Ein Problem ist, dass die Menschen, mit denen in diesem Sektor zusammengearbeitet wird, gesellschaftlich an den Rand gedrängt wurden; dass es keine Solidarität mit den sogenannten Schwachen in der Gesellschaft gibt. Auch Corona hat noch einmal gezeigt, dass Menschen, die sich für unverletzlich und unangreifbar halten, einen viel größeren Widerhall in Politik und Medien finden als die Belasteten und Marginalisierten.

„Wir arbeiten mit den Unsichtbaren der Gesellschaft. Wir arbeiten mit Obdachlosen, mit Drogenkranken. Wir arbeiten mit Leuten, die vereinsamen zu Hause. Und genau so wie diese Menschen übersehen werden, werden wir auch übersehen: Der Bereich, in dem ich arbeite, ist ohnehin nie im Diskurs.“ (Vanessa, Anfang 30, ambulante Hilfe)

Tatsächlich ist eine Hoffnung, dass sich Pflege und soziale Arbeit mit ihren Bewohner*innen, Pa­ti­en­t*in­nen und Kli­en­t*in­nen solidarisiert; dass gesellschaftspolitische Schnittmengen gefunden werden zwischen diesen Gruppen und Möglichkeiten, Bündnisse herzustellen. Klar ist: Pflege geht alle an, auch wenn jene Menschen das gerne verdrängen, die gerade nicht auf sie angewiesen sind.

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