Personalentscheidung bei den Grünen: Jetzt auch Nr. 1 fürs ganze Land
Die Brandenburgerin Annalena Baerbock soll ins Kanzleramt – aus Schöneberg streamen die Grünen die Antwort auf ihre K-Frage in die Welt.
Aus der Malzfabrik, einem Kulturzentrum gleich neben dem Schöneberger Südgelände, hatten die Grünen ab 11 Uhr die Lösung ihrer K-Frage per Stream in die Welt geschickt. Schon um 11.01 Uhr, als Co-Bundeschef Robert Habeck neben einer wie auf ihre Erstkommunion wartenden Baerbock zu sprechen begann, war klar, dass hier einer seine Kollegin als erste grüne Kanzlerkandidatin vorstellt.
Was an diesem Montag wie zwangsläufig wirkte, war vor gar nicht langer Zeit weit weniger zwingend. Drei Jahre ist es erst her, dass Baerbock knapp zehn Kilometer nördlich der Malzfabrik bei einer Vorstellungstour für den Grünen-Vorsitz klarmachen musste, dass auch eine Reala wie sie links denken kann. Bei einem kleinen Parteitag der Berliner Grünen – die damals in Umfragen bundesweit bei 11 bis 12 Prozent lagen – nur drei Tage vor der Wahl des Bundesvorstands hatte sie sich mit ihrer Gegenkandidatin vorgestellt, Anja Piel. Die war bei den Grünen links eingeordnet, damals Fraktionschefin in Niedersachsen und ist inzwischen in den DGB-Vorstand gewechselt.
„Sie ist eine gesamtdeutsche Kandidatin“
Im Tagungsort in Prenzlauer Berg gab es zwar kein Hauen und Stechen zwischen den Lagern. Durchaus spürbar aber waren Versuche, Baerbock als zu wenig links zu verorten. Die jetzige Kanzlerkandidatin sagte schon damals, Anfang 2018, was seither in ähnlicher Form vielfach von ihr und Habeck zu hören war: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu sehr um uns selbst kreisen.“Sie mochte sich damals auch nicht über die Abgrenzung zu anderen Parteien definieren. Und damals wie heute war und ist Klimapolitik ihr großes Thema. Ein Votum gab es nicht – es blieb eher der Eindruck, jener Parteitag hätte sich auch die beiden Frauen – ohne Habeck – als Doppelspitze vorstellen können.
Baerbocks Nominierung fürs Kanzleramt hat auch Bedeutung für Potsdam, jedenfalls für Brandenburgs Grünen-Chefin Alexandra Pichl: „Unser Wahlkampf im Wahlkreis hat ebenfalls einen kräftigen Schub bekommen“, sagte sie. Baerbock hatte am Samstag angekündigt, in ihrem Wohnort „das erste bündnisgrüne Direktmandat in Ostdeutschland“ gewinnen zu wollen. Dies unterschlug die Friedrichshainer im Osten Berlins: Die machen die Hälfte des seit 2002 von den Grünen dominierten Wahlkreises Friedrichshain-Kreuzberg aus, zu dem auch ein Stück Prenzlauer Berg gehört. (sta)
Baerbock mit ihrer West-Ost-Biografie – geboren und aufgewachsen in Niedersachsen, 2008 in den Landesvorstand der Brandenburger Grünen gekommen und mit ihrer Familie in Potsdam zu Hause – könnte zudem den lange darbenden Grünen in Ostdeutschland weiteren Auftrieb geben. „Für Berlin und Brandenburg ist das natürlich eine besondere Freude“, sagt der Pankower Bundestagsabgeordnete Stefan Gelbhaar der taz. Ostdeutsche Themen hätten beide Bundesvorsitzende auf dem Schirm.
Baerbock aber sei nach vielen Jahren in Brandenburg und als frühere Landesvorsitzende durch eigenes Erleben noch näher dran an der ostdeutschen Realität. „Sie ist im besten Sinne eine gesamtdeutsche Kandidatin“, sagte Gelbhaar.
Ähnlich sieht das auch Abgeordnetenhausmitglied Andreas Otto, der 2006 als erster ostdeutscher Grüner überhaupt mit einem Direktmandat in ein Landesparlament einzog. Nah dran an ostdeutschen Themen sei Baerbock, „sie bringt den Blick auf die Dinge mit“.
Ganz anders hingegen äußerte sich – von Frau zu Frau – die neue AfD-Landesvorsitzende Kristin Brinker über die Grünen-Spitzenkandidatin: „Baerbock-Nominierung setzt auf Niedlichkeitsfaktor“, war eine Pressemitteilung von ihr überschrieben. Ansonsten verzichtete die politische Konkurrenz weitgehend auf Bewertungen. „Kein Kommentar“, hieß es beispielsweise im CDU-Hauptquartier von Parteichef Kai Wegner: Dort war man am Montag ohnehin auf die für den späten Abend angekündigte Klärung der eigenen K-Frage fokussiert.
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