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Performance zur Geschichte des HassesAus Angst mach Hass und Mord

Die Berliner HAU führt „Hate Hate But Different“ auf. Die Performance versucht sich an einer Analyse der rechtsradikalen Mobilisierung.

Ingo Tomi von Futur II Konjunktiv bei der Performance „Hate Hate But Different“ Foto: Cristina Nyfeler

Der Abend beginnt mit einer kleinen Provokation. „Wir müssen uns den Nazi als einen ängstlichen Menschen vorstellen“, sagt Ingo Tomi. Und während diese Worte so langsam ins Bewusstsein sickern und vor dem inneren Auge Bilder von Demonstrationen vorbeiziehen, auf denen stiernackige Männer mit kahl geschorenen Schädeln und vor Hass verzerrten Gesichtern Wut aus ihren Schlünden herausquellen lassen und im Hintergrund andere mit jener aufgepumpten Mannhaftikgkeit marschieren, die schon Klaus Theweleit für die weißen Männer der Freikorps beschrieben hat, wird die Berechtigung dieses Satzes immer deutlicher.

Denn die rechtsradikalen Morde der letzten Jahre, angefangen vom NSU über den Mord an Walter Lübcke und das Attentat in Halle bis hin zu den Hanauer Morden, verbindet vor allem Heimtücke und Feigheit. Sie sind, folgt man dem, was über die Motivationen der Täter und der einen Täterin bekannt ist, von Hass getrieben, der sich selbst aus Wahnvorstellungen von Ängsten sowie echten Abstiegsängsten und Frustrationen speist. Sich den Nazi mal als ängstlichen Menschen vorzustellen, könnte tatsächlich ein Schlüssel zum Verstehen des Phänomens sein.

Die Berliner Gruppe Futur II Konjunktiv verlässt in ihrer Performance „Hate Hate But Different“, die im HAU 3, einer Spielstätte des Hebbel-Theaters in Berlin, uraufgeführt wurde, leider zwischenzeitlich diesen Weg. Tomi und seine Bühnenpartnerin Agnes Mann verlegen sich aufs Predigen vor den bereits Bekehrten. Die Häufigkeit der neonazistischen Gewalttaten wird betont, die oft laxe Ermittlungsarbeit der Polizei kritisiert. Die rechten Netzwerke in Polizei und Justiz werden beklagt. Das sind alles Tatsachen, gewiss, leider. Ihr Referieren verleiht diesem Theaterabend aber weder Gewicht noch Tiefe.

Der Weg des Attentäters

Die Performance gewinnt erst wieder an Kraft, als Mann und Tomi einen Besuch in Hanau schildern. Sie fahren die Orte ab, die auch der Attentäter Tobias R. abfuhr. Sie beschreiben die Morde, die ganze schlimme Banalität des neunfachen Tötens. Sie geben zugleich den Opfern ihre Namen, ihre Gesichter zurück. Sie sprechen auch vom Gedenken der Angehörigen an ihre toten Kinder und Geschwister.

Die Aufführungen

„Hate Hate But Different“, im HAU 3 in Berlin, bis 17. Oktober, 20 Uhr.

Der Gedanken und Emotionen des Schützen werden sie allerdings nicht habhaft. Wie auch, R. fuhr nach der Tat zurück in sein Elternhaus, erschoss dort seine 72-jährige, bettlägerige Mutter und dann sich selbst. Sein Vater, der selbst mit rechtsradikalen und rassistischen Schreiben auffiel, und deswegen letzte Woche vom Amtsgericht Hanau auch verurteilt wurde, behauptet gern, der Sohn sei Opfer einer Geheimdienstoperation.

Auch in diesen Kopf kann man mit den Mitteln des Theaters nur schwer gucken.

Über einen Umweg, zugleich dem stärksten Teil der Vorstellung, gelingen Mann und Tomi immerhin Einblicke in eine werdende Radikalisierung. Sie schildern eine Dresdner Rede von B. H.. Die Anspielungen legen nahe, dass es sich bei dem Redner um Björn Höcke handelt. Beschrieben wird das Einverständnis im Publikum. Es breitet sich eine Ahnung aus, wie dort die kollektive Furcht um ein Deutschland, das von Migration und Multikultur, von Kapitalismus und Globalisierung bedroht sei, immer neue, größere und gespenstischere Formen annimmt.

Dann schlägt diese Angst in Hass um, der jeden und jede Anwesende umspült, erfüllt und erhöht und letztlich zu einer wandelnden Zeitbombe macht. Nur der Zündmechanismus ist noch nicht in Gang gesetzt. Geschieht das, muss im Nachgang wieder über die nächsten Einzeltäter ermittelt werden. Einzeltäter allerdings, die aus einem kollektiven Einverständnis heraus handeln. Diesen Zusammenhang modelliert dieser spekulative Theaterabend dann doch sehr eindrücklich heraus.

Auch eine kleine medienhistorische Delikatesse ist eingebaut. Hitler & Co. mussten in die frühen Mikrofone ihrer Zeit noch schreien, weil die technische Qualität von Aufzeichnung und Übertragung nicht so gut gewesen sei, argumentiert Tomi. Technologische Notwendigkeit und individuelle Vorlieben führten also zur besonderen Performanz des A. H. B. H. und dessen Zeitgenossen könnten aber mit leiser Stimme locken, werben und klagen.

Eine neue Wehleidigkeit, nicht in diesem Maße überliefert bei den Nazis des letzten Jahrhunderts, beobachten Futur II Konjunktiv bei den heutigen Oratoren der extremen Rechten. Eine Charakterveränderung, nur weil die Mikrofone besser werden. Ein schräger Aspekt. Und ein weiteres Argument dafür, dass man sich den Nazi vielleicht tatsächlich als ängstlichen Menschen vorstellen kann. Das bedeutet nicht bemitleiden. Denn feige Bösartigkeit gipfelt immer wieder im Tötungsverbrechen.

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2 Kommentare

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  • Recht amüsant wenn sich Linke 30 Jahre alte Stereotypen bedienen und damit eigentlich das tun was sie anderen vorwerfen. Die neue Rechte nicht verstanden.

    Der Amoklauf in Hanau ist immer noch keine rechtsradikale Tat. Das war nur für die Medien. Haben sie es auch dankbar angenommen. Berechenbar.

  • Der Artikel zeigt, dass junge Menschen heute offensichtlich erschreckend wenig über den Nationalsozialismus wissen.