Performance über Männer und Sicherheit: Arbeiten mit der Angst

Die Kunstaktion „Security“ fragt mit Männern aus der Sicherheitsbranche, wie Männlichkeitsbilder, Sicherheit und prekäre Arbeit zusammenhängen.

Vier Männer stehen in einem Raum, einer schaut zur Kamera, zwei schauen seitlich, einer schaut die Wand an

Choreografie zwischen Härte und Zartheit: die vier Performer in „Security“ Foto: Lukas Eilandt

HAMBURG taz | Nichts ist sicher, irgendwo lauert die Bedrohung, jede Situation kann entgleiten. Sicherheit steht immer zur Disposition, immer besteht Dringlichkeit: Sichern ist Handeln in einer Gegenwart mit bedrohter Zukunft; wer sichert, muss sich ein Bild von der Bedrohungslage machen, nach Zeichen suchen, wo Handlungsbedarf entsteht.

Und so sucht auch die Kamera in Christopher Ramms Performance „Security“, die noch bis Samstag als Stream zu sehen ist, erst mal langsam einen dunklen Raum ab. Eine stilisierte Tiefgarage hat Bühnenbildnerin Carolina Burandt gebaut: weiße Linien für Parkflächen, flackernde Straßenlaternen an der Wand, ein Gebilde aus Betonquadern am Rand, ein Auto steht herum.

Dazu erklingt eine bedrohliche Soundkulisse, hier ein Knistern, da ein Knacken, sirrender Strom. Ein muskulöser Mann steht da mit ausdrucksloser Türsteher-Miene, neben ihm auf dem Boden: Liegt da ein Mensch? Und dieses Geräusch, zuerst klingt es wie entferntes Hundegebell, dann eher wie Schluchzen, dann wie ein Stöhnen.

In einem Auto sitzt ein zweiter Kerl. „Security“ steht auf seiner Mütze, das kleine Autodeckenlicht erleuchtet auch bei ihm einen ausdruckslosen Blick nach draußen. Und ja, dort liegt einer auf dem Boden. Bewegt sich noch, die Beine, dreht sich leicht. Aber sonst: kaum Bewegung, nur diese fast ereignislose Spannung.

Christopher Ramms Performance „Security“ ist noch bis zum 16. Mai 2021 rund um die Uhr kostenlos im Stream zu sehen: https://www.kampnagel.de/de/programm/security/

Immer müsse man – in diesem Fall ganz ausdrücklich fast immer: Mann – eine Spannung aufrecht erhalten, hatte einer der Sicherheitsmänner dem Performer, Regisseur und Soundkünstler Ramm in den vorbereitenden Interviews erzählt. Die Regel sei „halt die Langeweile, das Stehen, die Tristheit“, steht dort noch: „Dass man irgendeinen Punkt anstarrt und da sitzt als Nachtbewachung, Objektbewachung im Container oder so was.“ Präsenz zeigen, Sicherheit performen.

Am Freitag hatte das Stück Premiere, das „ein mehrdimensionales Bild von Beschützern und deren Verletzlichkeit“ zeichnen und „nach einer nicht-toxischen Performanz von Sicherheit“ suchen soll. Vier Performer hat Ramm dafür zusammengebracht: Zwei von ihnen, Michael Albrecht und Michael Bachmann, arbeiten in der Sicherheitsbranche, zwei sind Künstler: Gustav Janata beschäftigt sich mit Körperlichkeiten und Beziehungsgeflechten. Und René Ritterbusch ist Theaterwissenschaftler und Performer, unter anderem am Theater Osnabrück.

Sicherheit performt

Nach gut fünf Minuten kommt Bewegung ins Spiel. Der Mann aus dem Auto steigt aus und es wird klar: Der Mann auf dem Boden ächzt, weil er Sit-ups macht. Dann stehen sie wieder, nebeneinander, angespannter Körper, einer hockt und schaut ins Handy. Einer sucht den Raum mit der Taschenlampe ab. Im Auto läuft „Wonderful Life“ von Black, bittersüße Melancholie. Ein paar Minuten geht es so weiter: vorsichtiges Absuchen, Marsch in Formation, gegenseitiges Abtasten, einer wird abgeführt. Eine Arbeit über Männlichkeitsbilder und Männlichkeiten in der Krise soll es sein. Aber was ist das für eine Krise, in der diese gestandenen Männer da stecken?

Zunächst einmal eine der prekären Arbeit, der sozialen Entsicherung – die Kehrseite einer zunehmenden Versicherheitlichung von immer mehr Lebensbereichen. Seit den 1990er-Jahren ist die Zahl der Sicherheitsdienstleister in Deutschland rapide angestiegen. Gab es 1990 noch rund 900 Unternehmen, waren es 2010 schon über 5.100. In den vergangenen Jahren ist die Zahl nicht mehr so stark gestiegen, dafür der Umsatz: Über neun Milliarden Euro haben private Sicherheitsdienste 2020 mit einer guten Viertelmillion Mit­ar­bei­te­r:in­nen umgesetzt.

Von dem Geld, das mit dem Herumstehen und Bewachen verdient wird, bekommen die Männer selbst wenig. In der untersten Lohngruppe gibt es meist nicht viel mehr als den Mindestlohn, dazu kommen branchentypische Zulagen für Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit. „10,55 die Stunde, brutto, mit Glück mit Objektzulagen“, sagt eine Stimme aus dem Off, dann kämen 50 Cent dazu, auch mal ein Euro. Nachts Zwölf-Stunden-Schichten, tagsüber schlafen, keine Zeit für soziale Beziehungen.

Andere erzählen aus dem Off vom Unverständnis und der Ablehnung derer, die doch den Schutz genießen sollen: „Die stehen doch nur herum“, dächten die meisten, dass Sicherheitsleute ihnen „auf den Sack gehen“. Jeder wolle sich sicher fühlen, aber bezahlen wolle dafür niemand.

Harte und zarte Gesten

Dann wieder eine Choreografie, ruppiger diesmal, mit Tritten gegen das Auto, gegenseitigem Anspringen und Miteinanderringen. Und plötzlich: ein erschöpfter Blick, ein Aneinanderfesthalten, umarmt, dazu zarte Töne. Im Auto eine Unterhaltung übers Eisessen, „schön mit Schokoladensoße drüber“. Draußen stützt einer den anderen, legt ihn sanft auf den Boden.

Aber die Ruhe währt nicht lange: kreischende Reifen, Nebel, zuckendes Licht, Schattenboxen und -verklopptwerden, Geräusche wie vom Durchladen von Waffen, ein Techno-Soundtrack wie aus einem Ballerspiel. Und überhaupt: Immer vielschichtiger begleitet Christopher Ramms beeindruckende Musik- und Klangmelange die immer tänzerischer und ambivalenter zwischen harten und zarten Gesten wandelnde Choreografie von Carolin Jüngst: düster und dystopisch wirkt all das, immer diese Spannung aus kaputter Elektronik, Klirren und Kreischen hier, ein bisschen „Blade Runner“ dort, mal schroff und laut, dann wieder zart und still.

„Sah ganz schön powermäßig aus das Ganze, oder?“, richtet sich schließlich einer der vier Performer ans Publikum. „Aber keine Angst, hier war alles sicher.“ Und er zeigt, wie es gemacht wurde, die Nebelmaschine, das Auto, „hier ist alles sicher“, alles geprüft und brandsicher, „keine Angst“. Dann setzt er sich zu den drei anderen auf dem Boden in einen Kreis.

Und nun bekommen die Männer auch auf der Bühne Namen und eine Geschichte, werden sympathisch. Und sie sprechen aus, was ihnen selbst Angst macht: Kalorien in Nachos, Schlangen, Fußgeruch zum Beispiel; dass sie ihren Text vergessen, dass sie morgen heiser sind oder dass es den Zu­schauer:in­nen vielleicht gar nicht gefallen haben könnte.

Aber ein anderer beschwichtigt: Nein, keine Angst! Ich finde, wir haben gute Arbeit geleistet heute Abend. Und da hat er Recht. So viel ist sicher.

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