Feministische Performance in Hamburg: Gescheiterte Heldinnen

Mit vier Fäusten durch Legenden und Comics: Die Performance „She Legend“ verknüpft Klischees vom Superheldentum mit feministischen Fragen.

Eine Frau im Sportdress sitzt breitbeinig auf einer weißen Treppe

Kämpfende Frauen als Projektionsfläche: Lisa Rykena breitbeinig auf einer Treppe Foto: Daniel Domolky

Hamburg taz | Sie machen sich warm, bereit für den Kampf. Noch während die Zuschauer auf der Tribüne Platz nehmen, tigern die beiden Tänzerinnen um ein großes, weißes Podest. In kurzen Sporthosen und glänzenden Daunenjacken ist jede für sich. Tänzelnd, federnd. Wie Rivalinnen vor dem Ringkampf. Lisa Rykena auf der einen Seite, Carolin Jüngst auf der anderen.

Sie boxen in die Luft, krümmen sich und werfen sich auffordernde, abschätzende Blicke zu. Die beiden Performerinnen sind unablässig in Bewegung. Mit schmatzenden, schnalzenden, schmetternden Comic-Sounds untermalen sie ihre Bewegungen, Sounddesigner Konstantin Bessonov steuert triumphale und geschickt ausgebremste Synthetik-Akkorde dazu. Spielerisch kombinieren die Tänzerinnen Kickboxen mit zarten Chassé-Sprüngen und gezielten Hieben in die Luft, tänzeln mit gebündelter Energie auf der Stelle und werfen sich bald mit fechtenden Gesten durch den ganzen Raum.

„The world is in trouble“, ruft eine mit ernster Stimme. „Let’s face it“, reagiert die andere. Also wirft Lisa Rykena ihre Beine hoch in die Luft, tritt und tanzt energiegeladen und zerstörungswütig quer über das Podest. Schnell, aggressiv und vollkommen ziellos. Kollateralschäden werden mutwillig in Kauf genommen. Da reckt Carolin Jüngst – hinter dem Podest liegend – zart ihre Hand in die Luft. Eine unvermittelte Hilfe suchende Geste und aus Lisa Rykena wird eine heldenhafte Retterin.

Man denkt an Actionhelden aus Endzeitfilmen, an Comichelden wie Super- oder Spiderman, aber vor allem – schließlich agieren auf der Bühne zwei Frauen – auch an an deren weibliches Pendant: die Batman-Feindin Poison Ivy etwa, Lara Croft, Wonder Woman oder Catwoman.

Fetisch Superkräfte

Der Abend ist voller Zitate, Anspielungen und Verweise. Auf Filme, Comics und Legenden, von Hollywood über Mangas bis zur Antike. Wenn sie nicht gerade raumgreifend die imaginierte Welt retten (und dabei ausreichend verbrannte Erde hinterlassen) verweilen die Performerinnen in reduzierten Posen und Gesten, reihen assoziativ rettende Reiter, Martial-Arts-Abfolgen und Westerndialoge aneinander, sind mal stolze Amazonen, mal auch listige Kämpferinnen, die ihre langen, geflochtenen Zöpfe als wirbelnde Superwaffe erproben. Meist pfeift über die Lautsprecher ungemütlicher Wind dazu.

Carolin Jüngst und Lisa Rykena haben mit „She Legend“ ein Tanzstück entwickelt, das die Klischees und Darstellungen von Heldentum untersucht. Im Rahmen des „Nordwind“-Festivals wird es nun aufgeführt.

Unter der Überschrift „Exploring Blankness“ widmet sich das Festival noch bis zum kommenden Samstag den Konsequenzen und Potenzialen der vierten Welle des Feminismus für die Geschichte und Praxis eines Feminismus in Europa, und versucht eine kritische Re-Lektüre der Bewegung der vergangenen Jahrzehnte. In „She Legends“ wollen die Performerinnen die fetischisierte Projektionsfläche von Superheldinnen hinterfragen und die damit einhergehenden Rollenmuster und Geschlechterstereotypen. Die Fragestellung ist interessant genug, sie ermöglicht Bilder und feministische Debatten, ist theorie- und bühnentauglich.

Spannungsarmer Abend

In der Umsetzung allerdings bleibt der Ansatz vor allem buchstabendick im Programmheft kleben, auf der Bühne findet er kaum Ausdruck. Da blitzt in mancher Szene heitere Pose und kluge Persiflage auf, auch schon in den ironisch gesetzten Kurzhosen-Retro-Sport-Outfits von Hanna Scherwinski. Doch insgesamt wirkt der Abend in seiner dramaturgischen Abfolge, in seiner szenischen Reihung von Gesten, Posen und Weltkatastrophen allzu wahllos: Faustschläge, Tritte, imaginierte Schüsse, wirbelnde, sich krümmende Körper. Und alles noch mal von vorn.

She Legend“: Fr, 8.12. und Sa, 7. 12., 19.30 Uhr, Hamburg, Kampnagel

„Nordwind“-Festival: bis Sa, 14. 12.

Die theatralen Mittel – das geräuschvolle, comichafte Illus­trieren der Bewegungen, die wiederkehrenden robotergleichen Sequenzen, die pantomimische Darstellung übermenschlicher Kräfte – folgen keinem Narrativ, keiner Logik und letztlich auch keiner Dringlichkeit. Spannungsarm perlt der Abend mit gleichbleibender Energie vorüber, heiter und charmant, und auf tänzerisch hohem Niveau.

Tatsächlich aber hinterlässt er eine unbefriedigende Unschärfe. Wenn gegen Ende die Soundkulisse bedrohliches Feuer und prasselnden Regen suggeriert, dann kommt kurzzeitig Endzeitstimmung auf, sprechen die Performerinnen grabestief von „Rain, Blood, Fire“ und reißt eine der anderen das Herz aus.

Schließlich sterben die Überwesen einen dramatischen Bühnentod. Ein Chor in weißem Tennis-Outfit joggt auf die Bühne, singt den Sterbenden einen herzzerreißenden Choral. Herrlicher Pathos – und große Geste. Endlich. Aber zu spät für einen Abend über Superheldinnen und Retterinnen, über Macht, Erfolg und Scheitern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.