Parteitag der Linkspartei: Die Post-Wagenknecht-Linke
Das Kräfteverhältnis in der Linken hat sich verschoben. Die Mitgliedschaft ist westlicher und jünger geworden. Das hat Auswirkungen.
Kurz vor ihren selbstkritischen Worten waren Wissler und die 43-jährige Thüringerin Susanne Hennig-Wellsow am Samstag zu neuen Vorsitzenden der Linkspartei gewählt worden. Sie übernehmen eine Partei in schwerem Fahrwasser. In den Umfragen rangiert sie derzeit nur noch zwischen 6 und 8 Prozent. Wenn sie nicht aufpasst, könnte da die Fünfprozenthürde bis zur Bundestagswahl noch in bedrohliche Nähe rücken.
Auf dem Parteitag schien der Ernst der Lage erkannt worden zu sein. So zivilisiert wie diesmal gingen die rund 540 Delegierten wohl noch nie miteinander um – was nicht nur am digitalen Format gelegen haben dürfte. Auf persönliche Attacken wurde weitgehend verzichtet, in zahllosen Wortbeiträgen stattdessen der Zusammenhalt betont. Der Wunsch, einen Schlussstrich zu ziehen unter die quälenden und meist öffentlich ausgetragenen Streitereien der vergangenen Jahre, war unübersehbar. „Wir alle sind in diese Partei eingetreten, weil wir uns empören über Armut, weil wir Ungerechtigkeit nicht hinnehmen wollen, weil wir den Krieg verachten und weil wir wissen, dass der Faschismus nie wieder siegen darf“, formulierte Wissler die gemeinsame Basis.
Das bedeutet keineswegs, dass es nicht weiterhin gravierende inhaltliche Konflikte geben würde. Aber sie wurden für linke Verhältnisse diesmal pfleglich ausgetragen. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der spannendsten Personalie auf dem Parteitag: der Kandidatur des Verteidigungspolitikers Matthias Höhn gegen den Friedenspolitiker Tobias Pflüger um einen der sechs Plätze als stellvertretende Parteivorsitzende. Sie stehen für eine unterschiedliche Ausrichtung der Partei: Während Höhn dafür plädiert, unter bestimmten Bedingungen die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen zu befürworten, lehnt Pflüger im Einklang mit dem Parteiprogramm jegliche Bundeswehrauslandseinsätze kategorisch ab.
Mit 54,2 Prozent konnte sich Pflüger behaupten, Herausforderer Höhn unterlag mit 41,6 Prozent – was aber weder zu Triumphgeheul bei den einen, noch zu Wut und Tränen bei den anderen führte. Es gehe ihm gut, sagte Höhn auf Nachfrage der taz. Die Zustimmung für ihn zeige, dass er in der Partei keine Einzelmeinung vertrete. Ihm gehe es vor allem darum, ob die Linkspartei willig sei zu regieren, meinte Höhn. „Und eine Partei, die Dogmen vor sich her trägt, strahlt keine Regierungswilligkeit aus.“ Die Diskussion über den richtigen friedenspolitischen Weg wird weitergehen.
Partei im geografischen Wandel
Rund 60.350 Mitglieder zählt die Linkspartei. In den knapp neun Jahren mit Katja Kipping und Bernd Riexinger als Vorsitzenden hat sie sich stark demografisch gewandelt. Bei der Verabschiedung der beiden am Freitagabend wies Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler auf 27.700 Neueintritte während ihrer Amtszeit hin. Unerwähnt ließ er, dass die Linkspartei trotzdem heute rund 3.400 Mitglieder weniger hat.
Das liegt daran, dass die vielfach noch DDR-geprägte Mitgliedschaft im Osten stark geschrumpft ist, und zwar weniger durch Austritte als durch Todesfälle. Den Sonderfall Berlin nicht mitgerechnet, kamen 2012 noch 51 Prozent der Mitglieder aus dem Osten, heute sind es nur noch 38 Prozent. Größter Landesverband ist inzwischen nicht mehr Sachsen, sondern Nordrhein-Westfalen, gefolgt vom urbanen Ost-West-Stadtstaat Berlin. Die Partei ist westlicher geworden, vor allem aber jünger.
Das hat Auswirkungen auf die Auseinandersetzungen in der Partei. Es sind nicht mehr die alten Ost-West-Schlachten aus den Anfangsjahren, die geschlagen werden. Die östlichen Landesverbände sind kein über gemeinsame SED- und PDS-Zeiten zusammengeschweißter Block mehr, der monolithisch einer ihnen kulturell völlig fremden Westlinken gegenübersteht. Kipping und Riexinger haben es geschafft, ein neues Parteizentrum zu etablieren, das sich nicht mehr geografisch verorten lässt. Von ihm werden auch ihre Nachfolgerinnen Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow getragen.
Verschiebung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse
Die innerparteilichen Kräfteverhältnisse haben sich verschoben, weg sowohl von dem Ostfrontmann Dietmar Bartsch als auch von dem Duo Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, das sich lange Zeit auf die westlichen Landesverbände hatte stützen können. Auch der Versuch der einstigen Antipoden, sich mittels eines taktischen Bündnisses weiterhin entscheidenden Einfluss zu sichern, funktioniert zwar noch mehr schlecht als recht in der Bundestagsfraktion, ist ansonsten aber gescheitert.
Die Anhänger:innenschaft von Bartsch ist geschwächt, die von Wagenknecht geradezu marginalisiert. Die Irrungen und Wirrungen der früheren Bundestagsfraktionsvorsitzenden nicht nur in der die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik haben ihre innerparteiliche Basis massiv schmelzen lassen.
Das zeigte sich bei den Vorstandswahlen, bei denen sich in der großen Mehrzahl Kandidat:innen durchsetzen konnten, die sich weder als „Bartschist:innen“ noch als „Wagenknechtianer:innen“ verorten lassen. Mit den Altlinken Ralf Krämer von der Sozialistischen Linken und dem Cuba Si-Aktivisten Harald Grünberg verloren zwei prominente Wagenknecht-Unterstützer ihren Posten. Stattdessen prägen nun junge „Bewegungslinke“ wie Ates Gürpinar, Bettina Gutperl, Lorenz Gösta Beutin, Birgül Tut, Janis Ehling oder Daphne Weber den neuen Vorstand.
Großer Erfolg für „Bewegungslinke“
Die „Bewegungslinke“, ein noch junger Zusammenschluss innerhalb der Partei, der bislang im Strömungsstrudel der Linkspartei keine Rolle gespielt hatte, ist der eigentliche Gewinner der der Wahlen. Alle 20 der von der „Bewegungslinken“ unterstützten Kandidat:innen wurden in den 44-köpfigen Parteivorstand gewählt, damit stellen sie also nun fast die Hälfte der Mitglieder. „Wir waren selbst ein bisschen überrascht“, davon sagt die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke aus Bayern, die den Zusammenschluss 2018 mit ins Leben gerufen. Man sei ja gerade noch im Aufbau.
Die „Bewegungslinke“ verdankt ihre Gründung indirekt Wagenknecht und der von ihr mitgegründeten „Sammlungsbewegung Aufstehen“. Damals tobte zwischen der Fraktionsvorsitzenden und der Parteispitze ein offener Streit um die Ausrichtung Linkspartei: Soll sie nicht weiter offene Grenzen und Rechte für Minderheiten fordern, sondern sich vor allem ums heimische „klassische“ Arbeiter:innenmilieu sowie um zur AfD abgewanderte Wähler:innen bemühen?
Die „Bewegungslinke“ lehnt solch eine Verengung ab. „Unsere Aufgabe ist es nicht, die ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin und den geflüchteten Jugendlichen, den VW-Arbeiter und die Klimabewegte, den ukrainischen Paketboten und den transsexuellen Busfahrer gegeneinander auszuspielen“, begründete das Raul Zelik, einer ihrer Gründer:innen, auf dem Parteitag. Bernd Riexinger hat dafür den etwas sperrigen Begriff „verbindende Klassenpolitik“ geprägt.
Aktivistischer Ansatz
„Dass wir als Linke gleichermaßen BlackLifeMatters, Fridays for Future und Gewerkschaften unterstützen, scheint mir mittlerweile common sense zu sein“, meint Gohlke. Viele der inzwischen 700 Mitglieder seien junge Leute, die vor dem Parteieintritt schon in sozialen Bewegungen aktiv waren, Leute, die wenig Bock auf „Sitzungssozialismus und Hinterzimmer“ hätten. Auch die Diskussion über mögliche Regierungsbeteiligungen steht nicht ganz oben auf ihrer Tagesordnung.
Es ist also mehr dieser aktivistische Ansatz als das konkrete Thema oder gar Ideologie, was die „Bewegungslinken“ eint. Auf dem Parteitag warben sie sowohl für die Verdi-Organizerin Jana Seppelt als auch für den Ende-Gelände-Aktivisten Maximilian Becker. Beide sind nun Mitglieder im Linken-Vorstand.
Der Ostreformer Bartsch zeigt sich bemüht, sich mit der neuen Parteiführung zu arrangieren. Demonstrativ stellte sich der Bundestagsfraktionsvorsitzende hinter Wissler und Hennig-Wellsow. „Lasst uns positiv über unser Spitzenpersonal reden“, gab er als Parole aus. Wagenknecht ließ sich auf dem Parteitag hingegen nicht blicken. Ein positives Wort über die Neuen an der Spitze ist von ihr bislang nicht überliefert.
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