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Parteitag der LinksparteiDie Post-Wagenknecht-Linke

Das Kräfteverhältnis in der Linken hat sich verschoben. Die Mitgliedschaft ist westlicher und jünger geworden. Das hat Auswirkungen.

Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow hoffen auf einen Aufbruch für die Linkspartei Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

Berlin taz | Für eine Siegesrede waren es ungewöhnliche Sätze. Ihre Partei sei „oft sehr anstrengend und manchmal auch ziemlich nervig“, sagte Janine Wissler. Da würde sich bisweilen über Dinge die Köpfe heißgeredet, „die kein Außenstehender versteht, manchmal nicht mal wir selbst“. Und dann forderte die 39-jährige Hessin: „Lasst uns diesen Parteitag als Aufbruch nutzen!“

Kurz vor ihren selbstkritischen Worten waren Wissler und die 43-jährige Thüringerin Susanne Hennig-Wellsow am Samstag zu neuen Vorsitzenden der Linkspartei gewählt worden. Sie übernehmen eine Partei in schwerem Fahrwasser. In den Umfragen rangiert sie derzeit nur noch zwischen 6 und 8 Prozent. Wenn sie nicht aufpasst, könnte da die Fünfprozenthürde bis zur Bundestagswahl noch in bedrohliche Nähe rücken.

Auf dem Parteitag schien der Ernst der Lage erkannt worden zu sein. So zivilisiert wie diesmal gingen die rund 540 Delegierten wohl noch nie miteinander um – was nicht nur am digitalen Format gelegen haben dürfte. Auf persönliche Attacken wurde weitgehend verzichtet, in zahllosen Wortbeiträgen stattdessen der Zusammenhalt betont. Der Wunsch, einen Schlussstrich zu ziehen unter die quälenden und meist öffentlich ausgetragenen Streitereien der vergangenen Jahre, war unübersehbar. „Wir alle sind in diese Partei eingetreten, weil wir uns empören über Armut, weil wir Ungerechtigkeit nicht hinnehmen wollen, weil wir den Krieg verachten und weil wir wissen, dass der Faschismus nie wieder siegen darf“, formulierte Wissler die gemeinsame Basis.

Das bedeutet keineswegs, dass es nicht weiterhin gravierende inhaltliche Konflikte geben würde. Aber sie wurden für linke Verhältnisse diesmal pfleglich ausgetragen. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der spannendsten Personalie auf dem Parteitag: der Kandidatur des Verteidigungspolitikers Matthias Höhn gegen den Friedenspolitiker Tobias Pflüger um einen der sechs Plätze als stellvertretende Parteivorsitzende. Sie stehen für eine unterschiedliche Ausrichtung der Partei: Während Höhn dafür plädiert, unter bestimmten Bedingungen die Beteiligung der Bundeswehr an Blauhelmeinsätzen zu befürworten, lehnt Pflüger im Einklang mit dem Parteiprogramm jegliche Bundeswehrauslandseinsätze kategorisch ab.

Mit 54,2 Prozent konnte sich Pflüger behaupten, Herausforderer Höhn unterlag mit 41,6 Prozent – was aber weder zu Triumphgeheul bei den einen, noch zu Wut und Tränen bei den anderen führte. Es gehe ihm gut, sagte Höhn auf Nachfrage der taz. Die Zustimmung für ihn zeige, dass er in der Partei keine Einzelmeinung vertrete. Ihm gehe es vor allem darum, ob die Linkspartei willig sei zu regieren, meinte Höhn. „Und eine Partei, die Dogmen vor sich her trägt, strahlt keine Regierungswilligkeit aus.“ Die Diskussion über den richtigen friedenspolitischen Weg wird weitergehen.

Partei im geografischen Wandel

Rund 60.350 Mitglieder zählt die Linkspartei. In den knapp neun Jahren mit Katja Kipping und Bernd Riexinger als Vorsitzenden hat sie sich stark demografisch gewandelt. Bei der Verabschiedung der beiden am Freitagabend wies Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler auf 27.700 Neueintritte während ihrer Amtszeit hin. Unerwähnt ließ er, dass die Linkspartei trotzdem heute rund 3.400 Mitglieder weniger hat.

Das liegt daran, dass die vielfach noch DDR-geprägte Mitgliedschaft im Osten stark geschrumpft ist, und zwar weniger durch Austritte als durch Todesfälle. Den Sonderfall Berlin nicht mitgerechnet, kamen 2012 noch 51 Prozent der Mitglieder aus dem Osten, heute sind es nur noch 38 Prozent. Größter Landesverband ist inzwischen nicht mehr Sachsen, sondern Nordrhein-Westfalen, gefolgt vom urbanen Ost-West-Stadtstaat Berlin. Die Partei ist westlicher geworden, vor allem aber jünger.

Das hat Auswirkungen auf die Auseinandersetzungen in der Partei. Es sind nicht mehr die alten Ost-West-Schlachten aus den Anfangsjahren, die geschlagen werden. Die östlichen Landesverbände sind kein über gemeinsame SED- und PDS-Zeiten zusammengeschweißter Block mehr, der monolithisch einer ihnen kulturell völlig fremden Westlinken gegenübersteht. Kipping und Riexinger haben es geschafft, ein neues Parteizentrum zu etablieren, das sich nicht mehr geografisch verorten lässt. Von ihm werden auch ihre Nachfolgerinnen Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow getragen.

Verschiebung der innerparteilichen Kräfteverhältnisse

Die innerparteilichen Kräfteverhältnisse haben sich verschoben, weg sowohl von dem Ostfrontmann Dietmar Bartsch als auch von dem Duo Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht, das sich lange Zeit auf die westlichen Landesverbände hatte stützen können. Auch der Versuch der einstigen Antipoden, sich mittels eines taktischen Bündnisses weiterhin entscheidenden Einfluss zu sichern, funktioniert zwar noch mehr schlecht als recht in der Bundestagsfraktion, ist ansonsten aber gescheitert.

Die An­hän­ge­r:in­nen­schaft von Bartsch ist geschwächt, die von Wagenknecht geradezu marginalisiert. Die Irrungen und Wirrungen der früheren Bundestagsfraktionsvorsitzenden nicht nur in der die Flüchtlings- und Einwanderungspolitik haben ihre innerparteiliche Basis massiv schmelzen lassen.

Das zeigte sich bei den Vorstandswahlen, bei denen sich in der großen Mehrzahl Kan­di­da­t:in­nen durchsetzen konnten, die sich weder als „Bartschist:innen“ noch als „Wagenknechtianer:innen“ verorten lassen. Mit den Altlinken Ralf Krämer von der Sozialistischen Linken und dem Cuba Si-Aktivisten Harald Grünberg verloren zwei prominente Wagenknecht-Unterstützer ihren Posten. Stattdessen prägen nun junge „Bewegungslinke“ wie Ates Gürpinar, Bettina Gutperl, Lorenz Gösta Beutin, Birgül Tut, Janis Ehling oder Daphne Weber den neuen Vorstand.

Großer Erfolg für „Bewegungslinke“

Die „Bewegungslinke“, ein noch junger Zusammenschluss innerhalb der Partei, der bislang im Strömungsstrudel der Linkspartei keine Rolle gespielt hatte, ist der eigentliche Gewinner der der Wahlen. Alle 20 der von der „Bewegungslinken“ unterstützten Kan­di­da­t:in­nen wurden in den 44-köpfigen Parteivorstand gewählt, damit stellen sie also nun fast die Hälfte der Mitglieder. „Wir waren selbst ein bisschen überrascht“, davon sagt die Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke aus Bayern, die den Zusammenschluss 2018 mit ins Leben gerufen. Man sei ja gerade noch im Aufbau.

Die „Bewegungslinke“ verdankt ihre Gründung indirekt Wagenknecht und der von ihr mitgegründeten „Sammlungsbewegung Aufstehen“. Damals tobte zwischen der Fraktionsvorsitzenden und der Parteispitze ein offener Streit um die Ausrichtung Linkspartei: Soll sie nicht weiter offene Grenzen und Rechte für Minderheiten fordern, sondern sich vor allem ums heimische „klassische“ Ar­bei­ter:­in­nen­mi­lieu sowie um zur AfD abgewanderte Wäh­le­r:in­nen bemühen?

Die „Bewegungslinke“ lehnt solch eine Verengung ab. „Unsere Aufgabe ist es nicht, die ostdeutsche Hartz-IV-Empfängerin und den geflüchteten Jugendlichen, den VW-Arbeiter und die Klimabewegte, den ukrainischen Paketboten und den transsexuellen Busfahrer gegeneinander auszuspielen“, begründete das Raul Zelik, einer ihrer Gründer:innen, auf dem Parteitag. Bernd Riexinger hat dafür den etwas sperrigen Begriff „verbindende Klassenpolitik“ geprägt.

Aktivistischer Ansatz

„Dass wir als Linke gleichermaßen BlackLifeMatters, Fridays for Future und Gewerkschaften unterstützen, scheint mir mittlerweile common sense zu sein“, meint Gohlke. Viele der inzwischen 700 Mitglieder seien junge Leute, die vor dem Parteieintritt schon in sozialen Bewegungen aktiv waren, Leute, die wenig Bock auf „Sitzungssozialismus und Hinterzimmer“ hätten. Auch die Diskussion über mögliche Regierungsbeteiligungen steht nicht ganz oben auf ihrer Tagesordnung.

Es ist also mehr dieser aktivistische Ansatz als das konkrete Thema oder gar Ideologie, was die „Bewegungslinken“ eint. Auf dem Parteitag warben sie sowohl für die Verdi-Organizerin Jana Seppelt als auch für den Ende-Gelände-Aktivisten Maximilian Becker. Beide sind nun Mitglieder im Linken-Vorstand.

Der Ostreformer Bartsch zeigt sich bemüht, sich mit der neuen Parteiführung zu arrangieren. Demonstrativ stellte sich der Bundestagsfraktionsvorsitzende hinter Wissler und Hennig-Wellsow. „Lasst uns positiv über unser Spitzenpersonal reden“, gab er als Parole aus. Wagenknecht ließ sich auf dem Parteitag hingegen nicht blicken. Ein positives Wort über die Neuen an der Spitze ist von ihr bislang nicht überliefert.

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6 Kommentare

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  • 1G
    13566 (Profil gelöscht)

    An meine beiden VorschreiberInnen:



    Immer nur auf den bösen Grünen herumhacken, die sich verbiegen und alte Ideale für die Regierungsmacht vergessen.



    In der Regierung sein ist nicht gut.



    Nun, was ist mit Thüringen?



    Da bleibt sich die Linken-Partei natürlich auf Punkt und Komma treu. Keine bösen Kompromisse, kein Verbiegen, reine Linken- Politik.



    Ja,ja...schon klar.

    • @13566 (Profil gelöscht):

      So ist es. Es geht nur immer darum, was die Grünen unter Regierungsbeteiligung "verbrechen". Niemand redet von den Linken in Regierungsverantwortung. Ich kann "meine Partei" nicht mehr ernst nehmen, wenn sie bloße Fundamentalopposition im Modus "dagegen" anstrebt. Gegenkonzepte sind gefragt, für das "wogegen" Mensch ist.

    • @13566 (Profil gelöscht):

      Naja, wenn ich CDU will wähle ich CDU und nicht Grün.

      Aber gut, wenn ich Christ wäre würde ich der CDU ihre Politik auch übler nehmen.

      Man wünscht sich von linken Parteien schon soziale Politik und nicht Symbolpolitik ala Gendersternchen. Am besten kostet es nichts und generiert viel Diskurs. So ungefähr wie Überschriften in digitalen Medien.

  • "Soll sie nicht weiter offene Grenzen und Rechte für Minderheiten fordern, sondern sich vor allem ums heimische „klassische“ Ar­bei­ter:­in­nen­mi­lieu sowie um zur AfD abgewanderte Wäh­le­r:in­nen bemühen?"

    Aus meiner Sicht beschreibt das den Grundkonflikt aus einer Sicht. Eine andere Sicht sieht so aus, dass die "Gegner" nicht gegen die Rechte irgendeiner Gruppe sind, sondern sich die Frage stellen, ab wann Gesellschaften im- oder explodieren, weil das Verhältnis von Menschen, denen Rechte zugestanden werden müssen und deren Diskriminierung beendet werden muss, und solchen, die Rechte abgeben müssen und ihre diskriminierenden Strukturen (oder gar persönliches Verhalten) beenden müssen, kippt.

    Die Sorge ist, ob und wie die Gesellschaft funktionsfähig ist, wenn die "diskriminierende" alte Mehrheitsgesellschaft abgetreten ist und die diskriminierten Minderheiten in ihren widersprüchlichen Ansprüchen direkt aufeinandertreffen.

    Niemand weiß das, das kann alles sehr gut werden, auf jeden Fall gibt es neue Impulse, vielleicht lassen sich nationale/ethnische/religiöse/kulturelle/sprachliche/etc. Grenzen in einer modernen Welt ohnehin nicht mehr halten ... das kann alles sein.

    Ich will nur darauf hinweisen, dass es Menschen gibt, die den "Linken Grundkonflikt" anders beschreiben würden. (Es gibt auch noch andere Beschreibungen)

  • Das Problem ist was aus einer Regierungsbeteiligung folgt. Als Junior-Junior-Partner von Grün-Rot müssten gnadenlose Kompromisse eingegangen werden - das liegt in der Natur der Sache (Regierungskoalition). Die Entwicklung der Grünen zeigt, wohin das führt: Beispiel Baden-Württemberg. Hier geben sich die Grünen konservativer als die CDU und opfern der Regierungsführung die Inhalte - dito Hessen. Die Grünen sind mittlerweile eine Art modernisierte CDU geworden, sie sind an linken Wählern nicht interessiert, da sie auf die Liberalkonservativen Schichten setzten. Ein politischer Ruck nach Rechts ist die Folge.



    Für die Linke, deren 'Bewegungsflügel' jetzt Erfolge auf dem Parteitag feierte, würde eine Koalition folgende Auswirkungen haben: 1. Keine Kritik am Koalitionspartner ist möglich. Man wäre gezwungen, außerparlamentarische Aktionen auszubremsen - und degeneriert inhaltich - siehe Grüne in BaWü und Hessen . 3. Die alte Leier wird geschalgen: 'Es geht nicht anders' und 'wir wollen doch gestalten, wür düfen die Regierungsbeteiligugn nicht gefährden - also haltet das Maul!' An den Rand gedrängt werden zwangsläufig diejenigen , die auf außerparlamentarische Aktionen setzten. Parlamentsfixierung - Regierungsbeteiligung um jeden Preis - die Story ist altbekannt - nach "Willy Wählen" anno 1972 (meine erste Bundestagswahl) über "Jetzt wählen wir uns selbst" (Bunte Liste Hamburg 1978) bis zu "Er weiß, was wir können" (Grüne Baden-Württemberg 2021) - Adenauer reloaded in Grün. Eine aktive Basis stört und wird nur als Akklamationsorgan der Führung gebraucht.

    • @Philippe Ressing:

      Das sehe ich ähnlich. Jede Partei, die in irgendeiner Form an der Regierung beteiligt war, wurde entweder als Koalitionspartner der CDU politisch assimiliert oder, wenn CDU mal nicht regierte, durch mächtige Lobbyisten in CDU-nahe Positionen gedrängt (Schröders Agenda 2010 z.B.)

      In meiner Jugend war die FDP noch eine Partei, die für Bürgerrechte eintrat, im Laufe der Koalition mit der CDU ging diese "Duftmarke" total verloren. Jetzt tritt die FDP ausschließlich für die Wirtschaft ein.

      Die SPD in der GroKo wurde nahezu unsichtbar, und für angestammte SPD-Wähler endgültig unwählbar. Vollmundig wird zwar "nie wieder GroKo" posaunt, aber wenn es für Rot-Rot-Grün gegenüber Schwarz-Gelb nicht reicht, ist das sicher auch bald vergessen.

      Schwarz-Grün in Hessen und Ba-Wü: Grün wurde welk und verfärbte sich gelb. Und das Ranwanzen an die CDU lässt die alten Grundsätze der Grünen dahinschmelzen wie die Alpengletscher im Klimawandel. Die Aussicht auf Schwarz-Grün hat für mich die Grünen ebenfalls nicht mehr wählbar gemacht. Und ich habe seit Bestehen der Partei Grün gewählt....

      Die Blaunen würden ja gerne mit der CDU, aber die geniert sich (noch), bis es keine andere Möglichkeit mehr gibt, eine Regierungsmehrheit zu bilden.

      Also egal, was du wählst, am Ende steht eine CDU-Regierung.

      Die Linken können sich nur in einer starken Opposition selbst treu bleiben. Wenn sie das gut hinkriegen, und sich nicht wieder in symbolpolitischem Klein-Klein und Personalien verzetteln, und sich nicht zwecks Machtgewinn prostituieren, könnten sie "linkere" Grünen- und SPD-Wähler/innen auf ihre Seite ziehen. Über die Grünen hat man am Anfang ja auch gelacht.