Parteitag der Berliner SPD am Samstag: Vorwärts, und angefressen
Nach der Schlappe bei der Bundestagswahl wird die Kritik an Parteichef Müller und Fraktionschef Saleh lauter: Gute Voraussetzungen für einen spannenden Parteitag.
Er kann’s nicht lassen: Am Donnerstag forderte der Berliner SPD-Fraktionschef Raed Saleh in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung den Wiederaufbau von Synagogen, die von den Nazis zerstört worden waren. Damit heizt er eine Debatte an, die tags zuvor fulminant begonnen hat. Am Mittwoch hatte etwa ein Drittel der SPD-Fraktion in einem quasi öffentlichen Brief Saleh vorgeworfen, sich zu wenig für die Belange der Fraktion und zu viel für eigene Interessen einzusetzen. Konkret wurden unter anderem die „vielen Namensbeiträge“ Salehs kritisiert, die dieser seit der Abgeordnetenhauswahl im September 2016 veröffentlicht habe.
Pikant sind nicht nur die teils massiven Vorwürfe in dem fünfseitigen Schreiben, das von drei der fünf Vizechefs der Fraktion unterzeichnet wurde. Auch der Zeitpunkt ist gut gewählt: Am Samstag trifft sich die SPD zum ersten Landesparteitag nach der Schlappe bei der Bundestagswahl, bei der die Partei mit lediglich 17,9 Prozent nicht nur hinter der CDU mit 22,7 Prozent, sondern auch noch hinter der Linken mit 18,8 Prozent auf Platz drei lag.
Und nicht nur Saleh steht vor diesem Parteitreffen unter massiven Druck. Auch der Regierende Bürgermeister und SPD-Landeschef Michael Müller ist in den vergangenen Wochen öffentlich hart angegangen worden. Ende Oktober hatten die SPD-Abgeordneten Dennis Buchner und Sven Kohlmeier Müller indirekt zum Rücktritt aufgefordert.
Statt nach Wahlverlusten abzutreten, wie es der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen 2015 getan hatte, würden in Berlin, so die beiden Abgeordneten, „nach Wahlniederlagen die Verluste der anderen Parteien genüsslich analysiert, eigene Verluste werden schöngeredet oder verharmlost“. Mit einer Anspielung auf Müller heißt es weiter: „Und dann steht die Combo wieder gemeinsam auf der Bühne, um mit hängenden Mundwinkeln weitere Niederlagen entgegenzunehmen.“
Elf Monate nach dem Start der rot-rot-grünen Senatskoalition ist der Machtkampf in der Berliner SPD also nicht abgeebbt. Fast wehmütig denken manche Genossen an die Zeit zurück, in der zwischen dem Regierungschef Klaus Wowereit und seinem Fraktionschef Michael Müller kein Blatt passte. Inzwischen ist es so, dass sich der Fraktionsvorsitzende nicht einmal mehr allzu sehr für die Arbeit im Senat interessiert. Als Rot-Rot-Grün nach dem verlorenen Volksentscheid über die Zukunft von Tegel debattierte, fehlte Raed Saleh.
Die Fraktionschefs von Linken und Grünen dagegen nutzen die Möglichkeit, bei Senatssitzungen dabei sein zu dürfen. Auch deshalb ist bei vielen SPD-Leuten der Eindruck entstanden, Grüne und Linke geben in Berlin den Ton an und nicht die Sozialdemokraten.
Vor allem Saleh bekommt nun den Unmut zu spüren. „Vor einem Jahr bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden haben wir Dir unsere Stimme gegeben“, heißt es in dem Schreiben der 14 SPD-Abgeordneten an ihren Chef. „Seitdem hast Du […]mit Deinem Pressesprecher ein Buch zur deutschen Leitkultur geschrieben und Dich auf Lesereise in alle Teile Deutschlands begeben.“ Doch in den entscheidenden Momenten sei Saleh nicht greifbar, so die Kritik. Es ist ein rasanter Machtverlust, den Saleh da erleben muss.
Und wieder ein Alleingang
Noch im Januar hatte sich sein Pressesprecher gerühmt, Saleh habe „ganz sicher 80 Prozent der Fraktion“ hinter sich. Rechnet man zu den 14 Unterzeichnern des Briefes noch die vier SPD-Senatoren dazu, ist es nun gerade noch die Hälfte. Und dass Saleh mitnichten daran denkt stillzuhalten, zeigt sein Vorschlag zum Wiederaufbau der Synagogen (siehe auch Text unten), ein weiterer Alleingang, der mit Michael Müller nicht abgesprochen war.
Wird Saleh beim Parteitag am Samstag weiter zündeln? Und wie wird Michael Müller darauf reagieren, der zuletzt immer missmutiger dreinblickte? Denn auch wenn einer seiner Getreuen bei den Fraktionswahlen im nächsten Jahre Saleh vom Vorsitz drängen würde – der Riss, der durch die Partei geht, wäre nicht gekittet.
Der Landesparteitag beginnt am Samstag mit Reden von Michael Müller und der Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Andrea Nahles. Anschließend ist eine Aussprache geplant.
Besonders spannend dürfte ein Antrag werden, der eine Leitkultur ablehnt und für die Werte des Grundgesetzes plädiert. Raed Saleh dagegen verlangt in seinem Buch „Ich deutsch“ eine neue deutsche Leitkultur. (wera)
Aber vielleicht gibt es ja einen lachenden Dritten oder eine lachende Dritte. Die Bundestagsabgeordnete Eva Högl hat bereits angekündigt, im kommenden Jahr den Kreisvorsitz in Mitte übernehmen zu wollen – jenen Kreisverband, der die meisten der SPD-Delegierten auf Parteitagen stellt. Der Beginn einer Karriere im Berliner Landesverband, der mit dem Landesvorsitz oder dem Amt der Regierenden enden könnte? Högl will sich derzeit zu ihren Berliner Plänen nicht äußern.
Eine weitere Möglichkeit ist Innensenator Andreas Geisel, dessen Ruhe und Souveränität viele schätzen, auch wenn er dem rechten Parteiflügel angehört. Gut möglich, dass er der strahlende Sieger des Parteitags im Interconti am Samstag sein wird. Denn nach der Aussprache zu Beginn, bei der die Fetzen fliegen könnten, hat die Parteitagsregie einen Antrag zum Thema „Sicherheitspolitik in Berlin“ auf die Tagesordnung gesetzt – quasi zur Beruhigung der Gemüter. Es ist die Chance für den Innensenator, den Blick über seine Partei hinaus zur richten.
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