Parteiprogramme für die Neuwahl: Auf die Plätze, fertig, Wahlkampf!
Am 23. Februar wird der Bundestag neu gewählt. Worauf setzen die Parteien im Wahlkampf?
In etwas mehr als drei Monaten, wählt Deutschland einen neuen Bundestag. Wie es um die verschiedenen Parteien steht, worauf sie setzen und was sie fordern.
Die Union wird im Wahlkampf stark auf das Thema Wirtschaft setzen. Nach dem Motto: Die Ampel hat Mittelstand und Industrie an den Abgrund geführt, wir werden sie retten. Die Mitverantwortung der Merkel-Regierungen für das Schlamassel? Wird gekonnt ignoriert. Eine grundlegende Wende sei nötig, betont CDU-Chef Friedrich Merz derzeit allerorten. Die Union fordert Steuersenkungen, weniger Ausgaben für Sozialleistungen, Bürokratieabbau und Deregulierung. Das Wirtschafts- und Arbeitsministerium will Merz zusammenlegen, wie Gerhard Schröder es 2002 für Wolfgang Clement gemacht hat. Ohnehin klingt das alles sehr nach Vergangenheit. Wie die Union das im Jahr 2025 konkret umsetzen und damit die deutsche Wirtschaft retten will, ist noch nicht bekannt.
Natürlich werden auch Migration und Sozialpolitik eine Rolle spielen; die Figuren des „faulen Arbeitslosen“ und des „kriminellen Ausländers“ sind etabliert und werden weiter in Szene gesetzt. Nach der Wahl will die Union ein Zehn-Punkte-Sofortprogramm starten. Auf dieser Liste werden wohl unter anderem die Abschaffung des Bürgergelds, die Abwicklung des Heizungsgesetzes und Zurückweisungen an den Grenzen stehen. Hauptgegner im Wahlkampf: Bundeskanzler Olaf Scholz, schließlich will Merz ihn im Amt beerben. Seine Lieblingsoption: Dass es jeweils mit SPD oder Grünen für eine Zweierkoalition reicht und er mit beiden verhandeln und sie gegeneinander ausspielen kann. Auf die FDP setzt man bei der Union nicht mehr. Sabine am Orde
Die SPD will Kanzler bleiben, und zwar mit Olaf Scholz. Die Parteispitze hat sich festgelegt und wiederholt trotz des „Grummelns in der Partei“ (O-Ton Rolf Mützenich, Fraktionschef): Scholz sei der Richtige. Am 11. Januar wird man sich zum Sonderparteitag in Berlin treffen, womöglich noch vorher Scholz offiziell küren, um die innerparteiliche Debatte zu beenden.
Für den Amtsinhaber wird es schwer. Die SPD startet laut Umfragen von Platz drei, hat mit 15 Prozent derzeit nicht mal halb soviel Zuspruch wie die Union. Man beruhigt sich in der Parteizentrale mit dem Blick in die Vergangenheit. Als Gerhard Schröder im Mai 2005 ankündigte, die Vertrauensfrage zu stellen, lag die SPD in Umfragen 15 Prozentpunkte hinter der Union. Im Laufe des Wahlkampfs schmolz der Abstand, noch am Wahlabend im September fühlte sich Schröder als Sieger. Hat also fast geklappt. Und 2021 startete Scholz zunächst als Außenseiter in den Wahlkampf, gewann dann doch vor der Union mit Armin Laschet und Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock.
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Im Duell Scholz gegen Merz setzt die SPD darauf, Merz als kalten Neoliberalen darzustellen, mit dem soziale Kürzungen kommen. Die SPD hingegen will sich als Bewahrerin der sozialen Sicherheit inszenieren, setzt auf das Thema stabile Renten. Die dürften nicht gegen die weitere Unterstützung der Ukraine ausgespielt werden. Vorläufiges Motto: Kein Entweder-oder sondern ein Sowohl-als-auch. Klingt sperrig? Ist es auch. Und es wird verdammt hart. Nicht nur wegen des Winterwahlkampfs. Dagegen helfen „warmer Tee, Handwärmer und dicke Unterwäsche“, so ein Genosse. Damit sich die Menschen für die SPD erwärmen, braucht es aber mehr. Anna Lehmann
Was die Grünen anders als bei den Landtagswahlen dieses Jahres nicht in den Mittelpunkt stellen werden: den Kampf gegen die AfD und für die Demokratie. Umfragedaten zufolge hat die Partei mit diesem Wahlkampfthema zwar ihr Klientel mobilisiert. Es ging zur Wahl – stimmte dann aber nicht für die Grünen. In Brandenburg gab es bei der Landtagswahl zum Beispiel eine starke Wählerwanderung von den Grünen zur SPD, die damit geworben hatte, stärkste Kraft vor der AfD bleiben zu wollen.
2025 sollen es deswegen die eigenen Inhalte richten. Für Klimaschutz, mit dem die Grünen zuletzt verhuscht umgegangen sind, wollen sie wieder selbstbewusster werben. Andererseits, und das ist eine Lehre aus den drei Regierungsjahren: Überfordern wollen sie die Menschen damit auch nicht. Wie genau die Balance zwischen Beidem aussehen soll, ist noch nicht klar erkennbar.
Was sich abzeichnet: Ein Schwerpunkt wird der Verkehrssektor, wo in der Ampel unter der Verantwortung der FDP vieles liegen geblieben ist. Und: Die breite Masse soll nicht wieder den Eindruck bekommen, dass der Klimaschutz für sie unbezahlbar ist. Überhaupt wollen die Grünen durch einen Fokus auf soziale Gerechtigkeit Vertrauen zurückgewinnen. Nicht so sehr ums Bürgergeld soll es dabei gehen, sondern um Alltagsprobleme und finanzielle Sorgen bis weit in die Mittelschicht hinein. Das Geld soll unter anderem durch höhere Steuern für Reiche kommen – wobei große Teile des Partei-Establishments auf das Schließen von Steuerlücken setzen und andere eine Vermögenssteuer einführen wollen.
Migrationspolitik wollen die Grünen lieber nicht groß fahren. Ihre geschlossene Ukraine-Solidarität sehen sie weiter als Pluspunkt. In der Europapolitik werden sie mehr Integration fordern. Sich selbst verschreiben sie ein fröhliches Image: optimistisch, konstruktiv, anpackend – damit glauben sie, sich von Scholz auf der einen und Merz auf der anderen Seite abgrenzen zu können. Tobias Schulze
Das BSW setzt auf die Strahlkraft von Sahra Wagenknecht. Was im Rest Europas längst normal ist, erlebt Deutschland erstmals bei einer Bundestagswahl: Eine chancenreiche Partei, die nach ihrer Vorsitzenden benannt und auf sie zugeschnitten ist. Über ihre Kanäle erreicht Wagenknecht ein Millionenpublikum, das soll im Wahlkampf genutzt werden.
Doch auch eine One-Woman-Show braucht 16 Landesverbände. An diesem Wochenende wird der bayerische gegründet, fehlen noch Hamburg, Schleswig-Holstein und Meck-Pomm. Da die Partei für die Gründung jeweils nur eine Handvoll Mitglieder braucht, dürfte diese Hürde kein Problem werden. Bei der Aufstellung der Landeslisten dürfte sich zeigen, wie viel regionale Autonomie die Bundesspitze den Landesverbänden zugesteht.
Ihre Erststimme werden nicht alle WählerInnen dem BSW geben können: Ein Sprecher bestätigte der taz, dass man nicht in allen Wahlkreisen antrete. Wagenknecht, so hat es den Eindruck, ist die bundesweite Direktkandidatin.
Rund 1000 Mitglieder hat das BSW. Die geringe Zahl könnte im Wahlkampf zum Problem werden. „Man muss nicht Mitglied sein, um ein Plakat aufzuhängen“, heißt es dazu aus der Partei. Das BSW hat ein Netzwerk von UnterstützerInnen. Doch es häufen sich Beschwerden von Menschen, die auf ihre Aufnahme warten. Trotzdem will das BSW weiterhin langsam wachsen, um die Kontrolle zu behalten.
In Umfragen verlor das BSW zuletzt leicht und liegt bei sechs bis sieben Prozent. Beeindruckend für eine neue Partei, aber die Parteichefin will mehr. Vielleicht ist das der Grund, warum Wagenknecht in dieser Woche weniger über den Ukrainekrieg sprach und ihre Partei mit anderen Themen zu profilieren versuchte: mit Altersarmut und Mittelstandspolitik für „normale Leute“. Denn mit der Wahl Trumps könnte Wagenknecht ihr Alleinstellungsmerkmal, den Antiamerikanismus, verlieren.
Einen Hauptgegner im Wahlkampf hat das BSW nicht. Bei den Landtagswahlen im Osten und der Europawahl mobilisierte das BSW die Wut auf die Ampel, das fehlt jetzt. Weiterhin zielt die Partei auf Wähler fast aller Parteien: Frustrierte Ex-Linke, Nichtwähler, AfDler, Sozialdemokraten und CDUler. Das zeigen die Analysen der Wählerwanderung bei den Landtags- und Europawahlen. Kersten Augustin
Es ist unklar, ob Christian Lindner sich von diesem Fall erholt. Die Entlassung von seinem Traumjob als Finanzminister markiert für den FDP-Chef einen vorläufigen Tiefpunkt in seiner Karriere. Und die Aussicht, noch tiefer zu sinken, ist durchaus real. Mit Umfragewerten von vier Prozent sieht es derzeit so aus, als würden die Liberalen den Wiedereinzug ins Parlament verpassen. Kommt es so, hätte Lindner die Liberalen vom Gipfel der Macht wieder in die politische Versenkung manövriert.
Doch alle, die nun ihre Häme über die drohende Bedeutungslosigkeit der Liberalen zelebrieren, sollten sich in Acht nehmen. Die FDP ist wie kaum eine andere Partei geübt darin, die Fünf-Prozent-Hürde als Balancierstange zu nutzen – inklusive populistischen Ausrutschern einerseits und Schlussspurts andererseits. Um Fehlern in den Listen vorzubeugen, hielt die Bundespartei die Landesverbände an, ihre Aufstellungen noch in diesem Jahr fertigzustellen. Diese haben einige Termine von Landesvertreterversammlungen anberaumt – den ersten Aufschlag dazu machen bereits an diesem Wochenende die Schleswig-Holsteiner Liberalen.
Für die Bundespartei beginnt das politische Jahr mit der Dreikönigstreffen in der Stuttgarter Oper, dort dürfte Lindner den Ton für den kurzen Wahlkampf setzen. Zuletzt hatte er sich an Friedrich Merz rangeschmissen. Der CDU-Chef werde der nächste Kanzler, verkündete Lindner am Dienstag in Berlin. „Schwarz-Rot, Schwarz-Grün – das ist doch alles Ampel light“, findet Lindner.
Die FDP-Basis hatte zuletzt im Oktober eine aufwendige Kampagne für einen Mitgliederentscheid organisiert, der den Ausstieg der Liberalen aus der Regierung forcieren sollte. Diese Kampagnenmittel werden nun also umorganisiert. Der Wunsch der Basis nach Neuwahlen ist schneller in Erfüllung gegangen als gedacht. Cem-Odos Güler
Optimismus ausstrahlen ist das Gebot der Stunde bei der Linkspartei. „Wir sind startklar für die bevorstehenden Neuwahlen und haben die organisatorischen Aufgaben fest im Griff“, strotzt Jan van Aken vor demonstrativer Zuversicht. „Ein Wahltermin im Februar passt perfekt, und unsere vielen Neueintritte sind ein echter Wahlkampf-Booster.“ Seit Mitte Oktober steht der 63-jährige Hamburger gemeinsam mit der 35-jährigen Berlinerin Ines Schwerdtner der Linkspartei vor. Nun zieht van Aken zusammen mit der 36-jährigen Osnabrückerin Heidi Reichinnek, Gruppenvorsitzende der Linken im Bundestag, in den Bundestagswahlkampf. Sie wollten ihre Partei „sicher über die Fünfprozenthürde bringen“, sagte Reichinnek bei der Präsentation des Spitzenduos am Sonntag vergangener Woche.
Ein sportlicher Anspruch. In der Sonntagsfrage liegt die Linke kontinuierlich nur zwischen drei und vier Prozent. Mit einem stark auf soziale Gerechtigkeit und den Kampf gegen Ungleichheit konzentrierten Wahlkampf will die Partei den Absturz in die außerparlamentarische Tristesse verhindern. Hoffnung macht ihr dabei, dass sie sich seit dem Abgang von Sahra Wagenknecht und ihrer Kombattant:innen über eine Eintrittswelle freuen kann. Alleine seit dem 7. November, dem Tag der US-Wahl, sind rund 1.400 Menschen der Linken beigetreten, die damit inzwischen wieder rund 54.700 Mitglieder zählt.
Alleine darauf zu verlassen, die Fünfprozenthürde wider Erwarten überwinden zu können, will sich die Partei aber nicht. Sie setzt deswegen auf den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten, die ebenfalls zum Einzug in den Bundestag reichen würden. Hier ruhen die Hoffnungen auf Gregor Gysi im Berliner Wahlkreis Treptow-Köpenick und Bodo Ramelow in Erfurt, die am Mittwoch gemeinsam mit Dietmar Bartsch ihr „Projekt Silberlocke“ starten wollen, sowie Sören Pellmann in Leipzig und Ines Schwerdtner in Berlin-Lichtenberg. Auch Pascal Meiser in Friedrichshain-Kreuzberg-Prenzlauer Berg Ost werden Chancen eingeräumt. Pascal Beucker
Alice Weidel nennt Friedrich Merz nur noch „Ersatzscholz“ und greift die Union bei jeder Gelegenheit hart an. Auch wenn der lebensweltliche Feind der AfD die „Linksgrünversifften“ sind, ist es schon länger strategisches Hauptziel der autoritär-nationalradikalen Partei, die CDU zu zerstören. Vorbilder findet sie im europäischen Ausland, wo Mitte-Rechts-Parteien, die versuchten Rechtsradikale durch Einbindung oder Übernahme von Positionen einzuhegen, reihenweise implodierten.
Die Stoßrichtung für den Wahlkampf ist damit klar: Die AfD fährt rassistische Diskurse zu Migration und setzt auf volle Abschottung. Weil die Union sich nach dem Koalitionsbruch der Ampel weigert, Anträge zusammen mit der AfD durchzubringen, wutschnaubte Weidel: „Der nächste Messermord geht auf das Ticket der Union.“
Ein weiter Schwerpunkt wird unter dem Schlagwort „Deindustrialisierung“ das Ausmalen apokalyptischer Szenarien für Deutschlands wirtschaftlichen Niedergang – eine Paradedisziplin der designierten Spitzenkandidatin und marktradikalen Volkswirtin Weidel, die ein Herz für Spitzenverdiener:innen hat.
Dafür, dass die AfD ständig das Ende der Ampel-Regierung gefordert hat, ist sie für Neuwahlen organisatorisch bemerkenswert schlecht aufgestellt: Elf Landesverbände haben noch keine Listen gewählt, die Partei hat keine Agentur für die Wahlkampagne, geschweige denn ein Programm. Bundesvorstand und Landesverbände suchen händeringend nach Terminen für Parteitage, auf denen dann gewohnt erbittert um Listenplätze gekämpft wird. Gareth Joswig
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