AfD schlecht aufgestellt für Neuwahlen: Überfordert und überrumpelt
Erst hat die AfD das Ende der Ampel gefordert, jetzt ist sie von vorgezogenen Neuwahlen überfordert. Vor allem in NRW und Bayern gibt es Probleme.
Sie ruft dann etwas wie: „Die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers erst am 15. Januar zu stellen, ist unverantwortlich!“ Scholz müsse den Weg für Neuwahlen sofort freimachen. So jedenfalls schimpfte Weidel nach der Sonderfraktionssitzung der AfD letzte Woche im Bundestag nach dem Koalitionsbruch. Tenor: Die AfD sei allzeit für Neuwahlen bereit. Weidel sagte: „Wir waren als Partei auf dieses Szenario natürlich vorbereitet. Wir werden den Zeitstrahl straffen und den Bundesparteitag nach vorne ziehen. Das ist problemlos möglich.“
Doch stimmt das? Tatsächlich gibt es in der autoritär-nationalradikalen Partei viele, die von den vorgezogenen Neuwahlen komplett überrumpelt sind. Eigentlich war ein Bundesparteitag für Ende März im sächsischen Riesa geplant, dort sollte Weidel als Spitzenkandidatin bestätigt werden. Die Vorverlegung der Wahl vermutlich auf den 23. Februar stellt die Partei nun vor große organisatorische Probleme – zumal die extrem rechte Partei es schwer hat, Veranstaltungsorte zu finden. Derzeit hofft die Bundesspitze, einen Parteitag irgendwann im Januar irgendwo in Ostdeutschland auf die Beine zu stellen. Zuletzt wurde das Wochenende am 25. und 26. Januar gehandelt, fest sind Termin und Ort jedoch noch nicht.
Das Problem zieht sich durch bis in die Kreisverbände: Die AfD ist unvorbereitet – obwohl sie seit Monaten Neuwahlen fordert. In vielen Kreis- und Landesverbänden sind noch nicht einmal Delegierte gewählt, heißt es aus Parteikreisen – geschweige denn, dass überall Termine für die Listenparteitage stehen würden.
Es fehlen Listen und Termine
Mindestens 10 Bundesländer haben noch keine Listen für die Bundestagswahl gewählt. Aus Parteikreisen heißt es: „Auch wenn die Kommunikation nach außen eindeutig ist: Intern ist man noch nicht bereit.“ Erschwerend hinzu kommt, dass die Mandate bei der AfD traditionell hart umkämpft sind und die extrem rechte Partei auch für ihre Mitglieder bei Machtkämpfen eine Schlangengrube ist.
Einige Landesverbände haben noch nicht einmal Termine für die Listenaufstellung. In mitgliederstarken Bayern (knapp 7.000) etwa braucht es nun schnell einen riesigen Mitgliederparteitag, um eine Liste zu wählen – bei den bekannten Schwierigkeiten der Partei, Räume und Hallen zu bekommen. Einen Termin will die AfD Bayern auf taz-Anfrage noch nicht verraten. Ähnlich ist es in Niedersachsen, wo man einen für Ende Januar geplanten Delegierten-Parteitag nun vorverlegen muss.
Das größte Sorgenkind für die AfD ist derzeit jedoch der Landesverband Nordrhein-Westfalen. Auch hier braucht es kurzfristig einen neuen Termin für einen Delegiertenparteitag mit 500 Mitgliedern, der eigentlich für März geplant war.
Erschwerend hinzu kommen hier Grabenkämpfe verfeindeter Lager: Ein Konflikt um den ehemaligen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden im Landtag, Klaus Esser, könnte dort im für die AfD schlimmsten Fall sogar die Aufstellung für die Bundestagswahl gefährden, wie in Parteikreisen befürchtet wird. Gegen den ehemaligen Landesvize Esser läuft derzeit ein Parteiausschlussverfahren aus mehreren Gründen. Denn der soll nicht nur bei seinem Lebenslauf geschummelt haben, sondern auch bei der Mitgliederaufnahme in seinem Kreisverband Düren betrogen haben, wie Medien berichteten.
Laut einem der taz vorliegenden Schreiben des Landesvorstands an den Bundesvorstand kam es „vermutlich in bislang mindestens 8 bekannten Fällen“ zu Unregelmäßigkeiten: Neumitglieder in Düren hätten sich unter Scheinadressen angemeldet. Unterschrieben waren die Anträge jeweils vom Kreisvorsitzenden Klaus Esser.
Ein paar Mitglieder mehr können durchaus große Auswirkungen haben: Die Anzahl der Mitglieder bestimmen wiederum darüber, wie viele stimmberechtigte Delegierte ein Kreisverband zum Landesparteitag schickt. Stimmt etwas mit dem Verhältnis nicht oder es werden Unregelmäßigkeiten bekannt, kann eine Liste für die Bundestagswahl unter Umständen anfechtbar sein – vor allem, wenn in der AfD übliche Kampfkandidaturen sehr knapp ausgehen und es auf wenige Stimmen ankommt.
Während der Landesverband betont, alles im Griff zu haben, ist man im Bundesvorstand durchaus alarmiert über den als lapidar empfundenen Umgang. Aus Parteikreisen ist zudem die Befürchtung zu hören, dass durch die Unregelmäßigkeiten bei der Mitgliederaufnahme sogar die ganze Landesliste aus Nordrhein-Westfalen für die Bundestagswahl 2025 wackeln könnte.
Das wäre nicht nur für den Landesverband, sondern für die Gesamtpartei eine Katastrophe – ist der Nordrhein-Westfalen doch der mitgliederstärkste Landesverband. Sollte die AfD hier nicht antreten können, könnten der Partei bei der Bundestagswahl bis zu 6 Prozentpunkte fehlen.
Landeswahlleiterin hat Fragen
Auch die Landeswahlleiterin in Nordrhein-Westfalen interessiert sich bereits für das Thema: Der taz liegt eine Mail vor, adressiert an den Landesvorsitzenden Martin Vincentz. In dieser fordert die Landeswahlleiterin vom AfD-Vorstand eine „Stellungnahme zu den Vorwürfen der Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit dem Aufstellungsversammlungen ihrer Partei“ bis zum 15. November.
Vincentz Sprecher Kris Schnappertz betont, dass die Behauptungen die Listenaufstellung sei in Gefahr, „bösartige Falschmeldungen“ seien. Die Vorwürfe seien lanciert von Mitgliedern, die um ihre Aufstellung fürchten und nun mit Dreck werfen, so Schnappertz. Die Mitgliedschaften der unter falschen Angaben aufgenommenen Mitglieder – laut Schnappertz 12 Personen – seien bereits aufgehoben worden. Der Landesvorstand sei sicher, dass er eine rechtssichere Liste aufstellen werde, heißt es. Das werde man auch der Landeswahlleiterin antworten.
Gegen den Landtagsabgeordneten Esser laufe ein Parteiausschlussverfahren, das beim Schiedsgericht liege. Bis auf weiteres bleibe Esser jedoch Teil der Landtagsfraktion. Auch den möglichen Einfluss eingeschleuster Mitglieder auf die Aufstellungsversammlung spielt Schnappertz herunter: „Im Extremfall hätte der Kreisverband Düren durch falsche Aufnahmen 2 Delegierte mehr und der Kreisverband Euskirchen 2 Delegierte weniger. Mit einem Unterschied von 4 Stimmen kann niemand seine Machtbasis vergrößern – das ist lächerlich“, so Schnappertz.
Schnappertz vermutet hinter dem gesamten Vorgang eine Intrige des Lagers um den fraktionslosen AfD-Abgeordneten Matthias Helferich. Der hatte sich positiv auf den berüchtigten NS-Richter Roland Freisler bezogen und sich selbst als das „freundliche Gesicht des NS“ bezeichnet, wurde danach nicht in die Bundestagsfraktion aufgenommen. Auch weil er enge Verbindungen zu Identitären und Dortmunder Neonazis haben soll, wäre der Landesvorstand ihn gerne los. Der Vorstand um Vincentz setzt auf Verharmlosung der AfD als liberal-konservativ und will nicht wie Helferich offen rechtsradikal auftreten. Derzeit läuft auch ein Parteiausschlussverfahren gegen Helferich.
Zehn Landesverbände sind noch ohne Liste
Helferich will jedoch unverdrossen wieder in den Bundestag einziehen und hat durchaus Rückhalt im Landesverband, zuletzt wurde er auch als Beisitzer in den Landesvorstand gewählt – bevor er mit disziplinarischen Mitteln wieder aus dem Amt entfernt wurde. Helferich übt sich derweil in öffentlichen Kampfansagen: „Auch, wenn Vincentz tobt: Natürlich werde ich wieder kandidieren.“
Wann genau der Landesverband Nordrhein-Westfalen nun aber seine Landesliste aufstellt, bleibt unklar. Schnappertz sagt: „definitiv zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar“. In Parteikreisen wird derzeit gar ein Termin zwischen den Jahren gehandelt. Klar ist nur: die Liste wird heiß umkämpft sein – möglicherweise auch juristisch.
Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen sind nicht die einzigen Landesverbände, die noch keine Liste aufgestellt haben. Auch in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Hamburg und Thüringen muss die AfD noch eine rechtssichere Liste wählen, wie aus der Partei zu hören ist. Aus Bremen kam keine Rückmeldung. Lediglich fünf Länder haben ihre Landesliste bereits aufgestellt: Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Saarland und Sachsen-Anhalt.
Und auch wenn die AfD noch keine Agentur für ihren Wahlkampf hat, ist die inhaltliche Stoßrichtung bereits weitgehend vorgezeichnet: Die AfD wird weiter rassistische Kampagnen auf den Rücken Geflüchteter fahren – und will damit vor allem die Union unter Druck setzen. Am Dienstag schimpfte Weidel im Bundestag lauthals über Merz und die CDU, weil diese auch nach dem Ampel-Aus an der Brandmauer festhält und im Bundestag keine asylpolitischen Anträge zusammen mit der AfD durchbringen will: „Der nächste Messermord geht auf das Ticket der Union“, rief Weidel. Zuvor hatte sie erneut gefordert, die Vertrauensfrage auf diese Woche und den Wahltermin in den Januar vorzuziehen.
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